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Der Diener entfernte sich und Stein erhob sich vom Schreibtisch. | Eine Erwiederung meiner Visite von vor acht Tagen. Doch habe ich mich begnügt bei dem Herrn Generaldirektor meine Karte abzugeben, gerade wie bei dem Fürsten und dem Bischofe, und auf einen wirklichen Gegenbesuch nicht gerechnet. Nun, ein paar allgemeine Phrasen und die Sache ist in einigen Minuten überstanden."
So dachte er, als er sich nach dem Salon begab.
Doch er sollte sich getäuscht haben.
Der Generaldirektor von Höfer, der oberste Beamte des alten Fürsten von Waldkirch- Buchenfels, war ein älterer Herr von vornehm: m Aeußern und von rückhaltendem, aber wenn es not tat, sehr entschiedenem Benehmen. Er war gewohnt, wenig und langsam, aber mit viel Bedacht und vielleicht noch mehr Gewicht zu sprechen. Höflich war er immer und gegen jedermann, freundlich sah man ihn selten und herzlich war er wol niemals gewesen.
Als Franz Stein in seinen Salon trat, in dem sich der Generaldirektor eben auf ein Fauteuil niedergelassen, stand dieser von seinem Plaze auf, trat auf den Herrn des Hauses zwei Schritte weit zu und streckte ihm freundlich die Hand entgegen. Hätte Stein seinen Besuch genauer gekant, so wäre ihm jezt schon flar gewesen, daß dieser etwas besonderes mit ihm vorhaben müsse.
Die Herren nahmen einander gegenüber Plaz. Stein bot dem Generaldirektor eine Cigarre. Dieser nickte gnädig mit dem grauen Haupte, warf einen Kennerblick auf das Rauchnecessaire, welches der Hausherr herbeizog, und zündete sich die dargebotene Regalia mit aller Muße an. Franz Stein fing an zu ahnen, daß dieser sein Besuch doch nicht so rasch an ihm vorübergehen werde, als er anfänglich gehofft; um sich bald zu vergewissern, fragte er, ob er sich erlauben dürfe, dem Herrn Generaldirektor mit einem Glase Wein aufzuwarten.
Es gereichte ihm keineswegs zur Genugtuung, daß der Gast wiederum freundlich nickte und dieser stummen Bejahung die Worte hinzufügte:
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" Ich bin nach einer Reihe von beinahe 50 Studienjaren so eine Art Kenner der herrlichen Gottesgabe geworden, die man Wein nent, wenn ich Ihnen damit einen Gefallen erweisen kann, mein werter Herr Stein, so will ich Ihnen über ein paar Sorten Ihres Kellers auf Kavalierparole meine Meinung sagen." Franz Stein blieb anstandshalber nichts übrig, als diese ihm gerade heute höchst unerwünschte Liebenswürdigkeit freundlichst dankend zu acceptiren. Sein Keller sei so leidlich assortirt, sagte er, und stehe in allen seinen Marken dem geehrten Gaste zur Verfügung. Wenn derselbe erlaube, daß er zunächst ein Glas Johannisberger, dann eine Probe angeblich ganz echten Portweins und ferner von etwaigen anderen Wünschen abgesehen- einen Kelch Veuve Cliquot serviren lasse, so werde er sich ihm sehr verbunden fülen. Der liebenswürdige alte Herr war einverstanden, Franz Stein flingelte seinem Diener und bestellte den Wein.
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Bis derselbe kam, war eine Unterhaltung über Steins Fabrik etablissement und seine wie der Generaldirektor vermutete vorzüglichen Zukunftsaussichten in Gang gekommen. Herr von Höfer bot dem jungen Industriellen seine volle Unterstützung an; Franz Stein wußte, daß das eine gar nicht zu verachtende Bundesgenossenschaft war, wenn es der, welcher sie bot, mit ihr ernst meinte.
Herr von Höfer verfügte fast unumschränkt über die riesigen finanziellen Mittel und, wo ihm daran lag, auch über die gesamten, sehr weitreichenden politischen und gesellschaftlichen Mittel seines Chefs, des Fürsten . Zudem war es ein öffentliches Geheimnis, daß der Generaldirektor wärend des Menschenalters, das er im Dienste des Fürsten zugebracht, sein eigenes Interesse nicht vernachlässigt hatte. Freund und Feind schäzten sein Privatvermögen auf mindestens eine million Taler, one damit die Möglichkeit ausschließen zu wollen, daß der kluge Herr zweioder dreimal mehr sein wolerworbenes Eigen nannte.
Franz Stein hatte also alle Ursache dem Entgegenkommen dieses Mannes gegenüber sich nicht ablehnend zu verhalten. Auch die Ratschläge, welche ihm der ausnahmsweise gesprächige alte Herr in reicher Fülle gab, konten ihm nur nüzen; denn so weltund landeskundig wie jener waren sicherlich nur wenig Menschen noch.
Nachdem das Gespräch ein halbes Stündchen etwa um allerlei Geschäftsangelegenheiten sich gedreht, der Generaldirektor nun zum Champagner überging, Franz Stein mußte seinem Gast
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natürlich Bescheid tun geriet die Unterhaltung anscheinend völlig ungezwungen völlig ungezwungen auf politischen Boden.
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Die leidigen Reichstagswahlen, welche vor der Tür stünden, würden auch diesmal wieder ihren störenden Einfluß auf den Gang der Geschäfte, insbesondere auch auf den guten Geist der Arbeiter ausüben. Darauf möge sich Franz Stein immer vor bereiten. Es sei da schwer, one Konflikte mit seinen Leuten auszukommen und bedürfe es zu keiner Zeit größerer Energie, um Torheit und Unheil zu verhüten.
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denke
Stein wagte den Einwurf, er- für seine Person sich das nicht gar schlimm. Er stehe seinen Arbeitern als ganz neugebackener Fabrikant noch so fern, daß er mit ihnen sowol nach demselben Ziele gehen, als auch weit von den ihren abliegenden zustreben könne, one eine persönliche Beleidigung irgend welcher Art voraussezen zu dürfen.
Der Generaldirektor war eben daran den Champagnerkelch bis auf den Grund zu leeren, aber er brach mitten in dieser gewiß interessanten Beschäftigung ab, als habe er etwas recht Verwunderliches gehört.
" Gestatten Sie mir, mein bester Herr Stein, die Versicherung," sagte er in nachdrücklichstem Tone, daß ich Sie da nicht ganz auf richtigem Wege glaube. Es ist freilich sehr schwierig in unserm verworrenen, von tausend neuen und verkehrten, meist sich überstürzenden Ideen belebten Zeiten für den Industriellen sowol als für den Grundbesizer seinen Arbeitern gegenüber die richtige Position zu finden, und es ist ganz unmöglich, wenn man einen Grundsaz nicht dabei von vornherein fest im Auge behält, den, daß die große, ungebildete und unerzogene Masse zu ihrem eigenen Wole und zum Besten des Staates stets der Bevormundung bedarf. Sehen Sie, mein bester Herr Stein," fur er mit möglichster Wärme fort, ich habe seit mehreren Jarzehnten die sogenante soziale Frage zu meinem Lieblingsstudium gemacht, ich kenne alle Teorien, die ihre Lösung im Sinne haben, ich kenne auch aus einer ebenso reichen als langjärigen Erfarung das Volk selbst, seine Wünsche und Bedürfnisse, seine Tugenden und Schwächen, und es ist das Wort eines alten Kavaliers darauf, bester Herr Stein, für einen Mann von unserer sozialen Stellung, unserer Bildung und unserem Vermögen, die einzig richtige Aufgabe, den ihm Untergebenen aus dem Volke ein guter, aber gerade deshalb ernster und strenger Vater zu sein."
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Der Generaldirektor hatte diese ungewöhnlich lange Rede, in Anbetracht seiner Gewohnheit kurz zu sein, mit allem nur möglichen Nachdruck gesprochen. Dieselbe hatte auch ihren Eindruck auf den Hörer nicht verfehlt; aber der gleichen Meinung wurde dieser darum noch keineswegs.
" Ich respektire eine solche Auffassung auf das höchste," entgegnete er,„ und ich erlaube mir auch nicht zu bestreiten, daß eine derartige Mahnung zu seinen Arbeitern einem Manne von Ihrem Ansehen und Ihren Erfahrungen, geehrtester Herr Generaldirektor, angemessen sein mag, aber ich bin bei weitem nicht anmaßend genug, um mich selbst auf eine ähnliche Position erheben zu wollen."
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Der Generaldirektor schüttelte das graue Haupt. " Sie sind ganz unnötig bescheiden verzeihen Sie einem alten, an Erfahrungen in der Tat überreichen Manne diese Kritik, bester junger Freund, und Sie werden binnen Kurzem durch die Verhältnisse sich gezwungen sehen, die von mir gekennzeichnete Haltung zu Ihren Arbeitern einzunehmen, wenn Sie nicht den unumgänglich nötigen Respekt überhaupt einbüßen wollen."
Franz Stein neigte höflich das Haupt, one zu antworten. Diese Art der Unterhaltung schien ihm unfruchtbar; er wäre gern zu einem andern Tema übergegangen.
Aber der Generaldirektor war anderer Meinung. Unbeirrt fur er fort:
„ Nehmen wir nur die einfachsten politischen Vorgänge, z. B. die Reichstagswahlen. Werden Sie da anders können und dürfen, als Ihren Arbeitern mit Rat und Tat beistehen, bester Herr Stein?"
„ Mit Rat und Tat?" Franz Stein war wirklich ein wenig verwundert. verwundert. Wenn ich das tun sollte, fäme ich wirklich in arge Verlegenheit. Ich habe mir noch keine für mich selbst maßgebende politische Meinung gebildet,- die Parteiverhältnisse unserer Zeit sind so verworren und unklar, der politischen Fragen so viele und teilweise so neue, wie die Verhältnisse, aus denen sie hervorgehen, neu und vielfach noch auf ihren Wert und ihre Haltbarkeit nicht genügend geprüft; ich stehe all dem noch wie ein Schüler gegenüber, lernbegierig aber erkentnisarm, ich werde