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Geschichtliche Gespenster.

Streifereien im alten und neuen Athen  . Von Karl Kassau.

Ich erwachte; mein Freund John Smith beugte sich liebe- Destlich dagegen streckte sich das große Maulbeerbaumblatt der voll über mich:

,, How are you now, dear Charles?"*)

Mein Kopf war leicht, der Puls ging ruhig; ich war zu einem neuen Leben erwacht, das gräßliche Gespenst der Seekrank­heit überwunden,

" Ich danke dir, John, es geht mir besser; wo sind wir?" " Im Busen von Salamis, armer Freund, der du so wenig gesehen hast, auf historischem Grunde!"

Ich sprang auf.

Nun stand alles wieder klar vor meiner Seele, was ich in den lezten Tagen erlebt und nun dem geehrten Leser nachträglich erzälen muß:

Es war ein Jar nach meinem Aufenthalt in Rom  , als mich ein Brif John's für die nächsten Sommerferien nach Venedig  , der alten Dogenstadt, zitirte. In der Tat fürte mich auch bald die Eisenbahn dahin, wo mich John mit Herzlichkeit empfing. Ich habe aber heute nicht die Absicht, die Herlichkeiten dieser Königin der Meere zu beschreiben; nicht den schönen Markusplaz, die Säulen und den Löwen von San Markus, oder die hohe Kirche gleiches Namens, die vielen Kanäle in der Stadt und das Treiben der Gondoliere, die Seufzerbrücke und den Dogenpalast: ich dachte hald an ein schöneres Ziel.

Von der beabsichtigten Gemäldetrilogie meines Freundes, Nero  vor der Leiche seiner Mutter Agrippina  , Nero   im Cirkus  , Neros Tod, waren die ersten zwei Bilder fertig und bereits um schweres Geld verkauft. John zeigte mir gleich bei meiner Ankunft in Venedig   einen Brif des reichen Senators Kneurosphyllos aus Athen  , der im Besize der beiden Bilder war, die um 24000 Drachmen, etwa 19 200 Mark, die Drachme zu 80 Pfennige gerechnet, in seine Hände übergegangen, und den Künstler einlud, allein oder in Begleitung eines Freundes nach Athen   zu kommen, um das dritte Bild von dem er durch die Zeitungen gehört zu vollenden und gleichzeitig in seinem Auftrage ein par Gemälde anzufertigen; er sicherte John für jedes Jar seines Aufenthaltes daselbst 15 000 Drachmen aus seiner Privatchatulle zu.

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Gut also, dear Charles," meinte John in seiner ruhigen Weise, du hast jezt noch 26 freie Tage, brauchst 7 Tage davon inklusive Erholung zur Rückreise und köntest demnach noch über 19 freie Tage verfügen. Komm, fare mit mir nach Athen  ; die sezte er lachend hinzu vielmehr Kosten übernehme ich, odersezte er lachend hinzu vielmehr Herr Kneurosphyllos; ich mache nur die erste Auslage!" Nach Athen  ! Mir pochte das Herz. Ganz betäubt von dem Gedanken, den Hauptsiz der Kultur des Altertums zu sehen, dachte ich nach. Es ging ja recht gut; also eingeschlagen denn.

" Topp!" sagte ich, wärend wir im Straßengewül dahindrängten, " topp, ich nehme an!"

" Well!" meinte John, der heutige Tag bleibe also der Lagunenstadt gewidmet; morgen früh jaren wir direkt ab nach Brindisi  , um dort den Postdampfer zu besteigen, der uns bis zum Piraeus  , dem Hafen Athens  , bringen wird!"

Ich will schweigen von der Herlichkeit Italiens  , das ich jezt an seiner Ostküste mit dem Dampfroß durcheilte; unser Weg fürte, die hohe Wand der Apenninen stets zur Rechten, über Bologna  , Ancona  , Pescara  , Foggi, Bari  ; übrigens lebten wir in unserem Salonwagen ganz wie in einem farenden Hôtel. Brindisi   erreichten wir in 48 Stunden, um sogleich den Dampfer Girgenti zu be­steigen, der uns weiter füren sollte. Schon am nächsten Morgen packte mich die Seekrankheit auf eine so fürchterliche Weise, daß ich mir mehr als einmal den Tod wünschte; John aber blieb als jeegewohnter Britte von der scheußlichen Krankheit verschont und übernahm getreulich meine Pflege. So lag ich bis zum andern Tage, um welche Zeit ich gesund angesichts der Inseln Aegina  und Salamis morgens gegen 8 Uhr erwachte.

Ich sprang also auf, machte schnell Toilette und ging dann auf's Deck, wo mir ein überraschender Anblick zu teil ward. Unser gutes Schiff durchschnitt die blaugrünen glatten Fluten eines ruhigen Meeres; links breiteten sich zwei Felseneilande mit hohen Bergen aus, südlich Aegina( Engina), nördlich Salamis( Koluri.)

*) Wie befinden Sie Sich nun, bester Kart?

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Halbinsel Morea aus mit zahllosen Buchten und Busen. Be­kantlich komt der Name Morea von moros Maulbeerbaum her. Genauer fesselte mich der Anblick des Piraeus  , eines der drei Häfen des alten Athen  , jezt eine Stadt von sechstausend Einwohnern, meistens albanesischer Abkunft, mit erträglichem Ver­fehr, früher fast eine Vorstadt der blühenden Kapitale Attikas. John stand schon, den Guide of Greece in der Hand, neben mir. ,, Siehst du, Charles," meinte er ,,, dort rechts die Felsenspize? Sie muß der Vorsprung des Aegaleos sein, auf dem in der Schlacht bei Salamis der Tron des Xerres stand, damit der Tyrann in Ruhe der Vernichtung des griechischen Elements zu­schauen könne. Dort im Süden hielt die aegyptische Flotte, den zweiten Ausgang der salamischen Bucht sperrend, hier standen die persischen Schiffe im Halbkreis aufgestellt. Dort am Lande rechts lagerten persische Fußsoldaten und Söldlinge. Im Norden, vor uns, hielten die Griechenschiffe, von Temistokles angefürt. Und nun begann ein Kampf der Gewantheit mit der physischen Kraft; die großen plumpen persischen Schiffe wurden von den beweg­licheren kleineren griechischen Farzeugen in den Grund gebort, so daß Abends die Flotte vernichtet, der stolze Xerxes   selbst, Dank der List des Temistokles, auf der Flucht nach-seinen Weibern war!"

" Ja, lieber Jobn; aber, nicht war? man muß hier stehen, um die Geschichte förmlich zu sehen, zu erkennen, daß alles so kommen mußte!"

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You are right, my dear Charles!"

Indessen hatte sich die Girgenti dem Hafen schnell genähert; wir sahen den Quai und an ihm entlang Menschenmassen, wie die Flaggen aller Nationen; gegen hundertachzig größere Schiffe zälte ich, doch kann der Hafen deren vierhundert fassen. Da­gegen fanden im Phaleron und in Munychia, den übrigen beiden Häfen Athens  , jezt, weil versandet, ganz one Bedeutung, nur je fünfzig Schiffe Plaz. Der Verkehr beruht heute allein auf dem Piraeus  , von wo eine Eisenbahn, zehn Kilometer lang, nach Athen  fürt, die einzige Eisenbahnlinie im ganzen Griechenland  . Für 60 Lepta, 100 Lepta auf die Drachme gerechnet, für 48 Pfennige also, furen wir in einer Viertelstunde in einem bequemen Waggon zweiter Klasse den Kaphissos, den Fluß Athens  , passirend und den Aegalaos links liegen lassend auf dem Bahnhof in Neu- Athen ein. Er liegt westlich des Plazes dicht an den Boulevards, welche die ganze Stadt umgeben. Von ihm sieht man die zwanzig Minuten lange Hermesstraße hinab, welche die Stadt vom Westen nach Osten durchschneidet, so daß sie gerade auf das königliche Schloß zu mündet, welches der Straße die Vorderfronte zuwendet, hinten aber von einem Orangenhain, der reiche Düfte ausströmt, und dahinter von den Boulevards umgeben ist. Unser Weg fürte übrigens durch schlecht angebaute Gegenden, wie denn die Agri­fultur hier sehr im argen liegt. Der Bauer ist in der Entwick­lung stehen geblieben und ackert gerade noch so, wie zur Zeit Homers  . Daß wir uns übrigens nicht mehr in jenen Zeiten be­finden, beweisen die schmucken Soldaten des Königs in der Wache am Tor, au derselben Stelle etwa, wo früher die Porta Piraica gestanden und vor zweitausend Jaren scytische Bogenschüzen die Wache hielten. Doch ich habe ganz vergessen, unsern Empfang im Piraeus   zu beschreiben; holen wir also nach:

Uns war selbstverständlich eine Depesche an Herrn Senator Kneurosphyllos vorausgeeilt, die demselben unsere Ankunft be­fant gab. So wurden wir denn vom genanten Herrn im Piraeus  erwartet. Kaum hatten wir unser Schiff verlassen, so fragte eine fett klingende Stimme überlaut nach Mr. John Smith and com­panion.*)

,, Here!" rief John mit seiner Stentorstimme, um die ich als Schulmann ihn schon oft beneidet. Sofort wälzte sich ein großer starker Mann von einem außerordentlichen Embonpoint, aber mit einem sehr intelligenten Gesichte, auf uns zu:

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Welcome, gentlemen! You are zu John gewendet certainly Mr. Smith, I see it on the phisiognomie; and this

*) Nach Herrn John Smith und Begleiter.