dicht am Fenster auf einen Stul niedergelassen hatte und den Kopf in die Hand gestüzt regungslos zuhörte. Er mußte die Lehrerin aufmerksam beobachtet haben, denn er erriet sofort, was sie in dem Momente, wärend sie pausirte, dachte.

" Sie unterbrechen den Vortrag, liebes Fräulein, sich zu über­zeugen, ob die Klasse demselben gefolgt ist und ihn recht begriffen hat?" fragte er in einem Ton, der jedem, welcher ihn gekant hätte, sonderbar warm erschienen wäre.

Friederike berürte der Ton sowol als der Inhalt der Frage angenehm. In der Tat, Herr Schulinspektor, wollte ich um die Erlaubnis bitten, einige Fragen an die Mädchen zu richten," antwortete sie.

,, Ganz recht," nickte dieser.

Sie fragte nun nach diesem und jenem, was sie eben erzält hatte, ließ sich über den Sinn des Gesagten Rechenschaft geben und schließlich eine der Schülerinnen im Zusammenhange das Gehörte wiederholen. Dabei hatte sie Glück die Mädchen gaben fast alle klare und treffliche Antworten und keine einzige zeigte sich unaufmerksam oder unverständig.

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Darauf wollte Friederike Haßler ihren Vortrag wieder auf nehmen; aber der Schulinspektor fiel ihm in's Wort und erfun­digte sich in freundlichster Art, ob sie nicht frageweise einen Teil dessen repetiren wolle, was die Kinder im ganzen Semester ge­lernt hätten. Das junge Mädchen hatte der bisherige Erfolg so zuversichtlich gemacht, daß sie dieser Wunsch nicht im mindesten beirrte. Mit fast mutwilliger Sicherheit durchstreifte sie nun mit ihren Fragen das ganze Gebiet der brandenburgischen Geschichte bis zur Zeit Friedrich II. , bald nach den Namen der Kurfürsten und anderer geschichtlich hervorragender Männer oder den Daten

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der Kriege und Schlachten, der Ländererwerbungen und Eroberun­gen forschend, bald von den Kulturfortschritten des Volkes er­zälen lassend und überall tüchtige Kentnisse und scharfen Ver­stand beweisend. Auch die Schülerinnen bestanden diese etwas bedenkliche Probe nicht schlecht, wenn sie sich auch nicht ganz so gut beschlagen zeigten, als kurz zuvor."

Der Schulinspektor war ersichtlich ungemein befriedigt. Er erhob sich, richtete einige warme Worte der Anerkennung an die Lehrerin, lobte auch die Klasse und verabschiedete sich.

Friederike Haßler geleitete den hohen Vorgesezten bis zur Tür, dort wante sich dieser noch einmal rasch um, reichte dem jungen Mädchen die Hand und sagte:

,, Gott befolen, liebes Fräulein. Auf Wiedersehen!"

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Das Mädchen fülte, daß sie bei dem flüchtigen Händedruck des Mannes und seinen Worten noch mehr aber unter dem Blicke, der blizartig und sengend aus seinen sprechenden Augen schoß, errötete, ohne daß sie sich klar zu werden vermochte, wes­halb dies eigentlich geschah. Sie hatte auch keine Zeit, darüber nachzudenken in der Klasse brach die lange niedergehaltene Aufregung über das glücklich bestandene Kleingewehrfeuer des improvisirten Examens nun mächtig hervor und die Lehrerin hatte alle Mühe, wieder den nötigen Ernst und die gebürende Ruhe in die lebendige Gesellschaft der meist noch recht kindlichen Mädchen hineinzubringen.

( Fortsezung folgt.)

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Judenhezen in Rußland .

Von E. Lübeck .

Das mit der Gründung der Judenkolonien geschaffene Ver­hältnis dauerte bis zum Regierungsantritt Alexander II. , der den beständigen und zeitweiligen Aufenthalt der Juden in Kiew selbst erleichterte und den jüdischen Kaufleuten erster und zweiter Gilde den festen Wohnsiz in der Stadt gewärte, ihnen auch er­laubte, sich eine gewisse Anzal von jüdischen Kommis, Kontoristen und Verkäufer, sowie zum Hausgebrauch die erforderliche jüdische Dienerschaft zu halten. Auch die Kaufleute erster und zweiter Gilde anderer Städte, die in Kiew Geschäfte mit der Regierung hatten, durften das nötige Personal mitbringen, dasselbe mußte aber sittlich rein dastehen, nicht zu entehrenden Strafen, auch nicht wegen Schmuggel verurteilt sein.

Aus Konkurrenzgründen erhob sich auch gegen die Juden in Kurland und Livland ein Sturm. Hier waren sie schon seit mehr als zweihundert Jaren, also schon zur schwedischen Zeit, ansässig gewesen. Im Jare 1797 betrug die Zal der männlichen Bevölkerung nach amtlicher Zälung 4581, wovon 896 den Städten und 3685 dem Lande zugeschrieben waren. Die Lage dieser Juden war im allgemeinen eine äußerst kümmerliche. Aus amt­lichen Berichten ersieht man, daß sie sehr arm waren, kaum die allernotwendigste tägliche Narung zu sich nahmen und sich meiſten­teils durch Kleinhandel und unerlaubte Maklergeschäfte ernährten. Auf den Farmen unterhielten sie Schenken oder waren Bächter der adligen Brantweinbrennereien, ein Teil von ihnen betrieb verschiedenartige Handwerke. Die Geschichte dieser kur- und liv­Die Geschichte dieser kur- und liv­ländischen Juden ist eine sehr traurige, sie haben hier viel er­dulden müssen. Sie sollten ausgetrieben werden, doch widerstand die Regierung mit Rücksicht auf die alten Rechte der Juden dem Drängen ihrer Feinde. Am 14./26. März 1799 wurden jedoch schon nach dem Beispiele anderer Gouvernements die Bedingungen aufgestellt, unter denen sie bleiben fonten. Sie sind bezeichnend für die Motive dieser Heze. Um bürgerliche und kaufmännische Gewerbe zu treiben, war es nötig, sich als Bürger oder Kauf ann einschreiben zu lassen. Wer dies tat, wurde doppelt so hoch als die Christen besteuert. Wer sich nicht einschreiben lassen konte oder wollte- von ersteren allein kann ja nur die

( 3. Fortfezung und Schluß.)

Rede sein, erhielt das Recht der Emigration wenn er die zweifache dreijärige Abgabe im voraus entrichtete. Wer diese Abgabe nicht zu entrichten vermochte, der sollte einfach zwangsweise hinausgetrieben werden. Die auf dem Lande wohnenden Juden hatten in den Städten zu erscheinen, ihr Ge­werbe anzugeben und einer Gemeinde sich zuschreiben zu lassen. Im übrigen unterlagen sie den gleichen Bestimmungen wie die städtischen Juden. Es wurden ihnen nach Entrichtung der doppelten Steuer Pässe erteilt; wer keinen Paß besaß, wurde ausgewiesen. Die Juden, welche allen Verpflichtungen nachkamen, erhielten volle Kultusfreiheit und das Recht, Schlachthäuser und eigene Fried­höfe zu errichten. In Kurland erging übrigens auch das Verbot, Juden zu Leibeigenen zu machen. Diese gefezliche Regelung der Judenfrage genügte jedoch den christlichen Konkur renten nicht. Es kam zu ungleich schärferen Maßnamen, bei denen namentlich das Schicksal der Ausgetriebenen, die ein anderes Asyl sich suchen mußten, ein höchst beklagenswertes war. Der Jude, welcher keiner Gemeinde in einem andern Gouvernement sich zuschreiben lassen konte, sollte und wurde, soweit er kräftig war, in's Militär gesteckt, wärend man den Schwächling nach Sibirien zu schicken befal. Nachträglich gedachte man der Familien und widerrief oder milderte wieder. Es war ein trostloses Da­sein, das diesen Juden beschieden war, es illustrirt auf das grellste die Brutalität und Unvernunft des damals herschenden russischen Regierungssystems. Regierungssystems. Jezt ist in Kurland und Livland wenig­stens denjenigen Juden der Aufenthalt erlaubt, welche nach der Bälung vom 13./15. April 1835 diese Gouvernements zuge­schrieben waren. Die Uebersiedelung der Juden von andern Gouvernements nach Kurland und Livland ist untersagt.

Wir könten ähnliche Verfolgungen von Wilna , von Kameniez­Podolsk, von Kowno melden. Wir verzichten darauf, um uns wieder einer großen Brutalität zuzuwenden, welche die Juden vieler Gouvernements traf.

Fast brutaler und rücksichtsloser noch als durch die Austreibung der Juden vom flachen Lande in die Städte wegen ihres angeblichen unheilvollen Einflusses auf die Landbevölkerung ging man gegen