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die Juden vor, als der Verdacht gegen sie sich regte, daß sie in den verschiedenen Grenzdistrikten Schmuggel trieben. Es ist, wie wir schon mehrfach gesehen, alles originell, alles gewalttätig in der russischen Verwaltung. Weil die Bauern durch die Brant­weinfabrikation der Edelleute litten, mußte man zur Hebung des Uebels den jüdischen Händlern das Handwerk legen, wärend es den Hauptübeltätern nach wie vor gestattet blieb. Man mußte so gar alle Juden vom flachen Lande in die Städte treiben. Da an den Grenzen Schmuggel getrieben wurde, mußten natürlich wieder die Juden dafür leiden und dafür verantwortlich gemacht werden, obwol es amtlich feststand, daß nicht nuc Juden, sondern auch zalreiche Christen daran beteiligt waren, von denen auch viele abgefaßt wurden. Ein zivilisirter Staat, an dessen Grenzen der Schmuggel blüht, wird entweder zu seiner Verhütung die

Zölle, die dazu hauptsächlich Anlaß geben, ermäßigen oder die Grenzüberwachung verschärfen. In Rußland aber fing man das Da von einzelnen Juden konstatirt war, Ding anders an. daß sie Schmuggel trieben, waren alle Juden dafür in Strafe zu nehmen. Historisch entwickelte sich die Angelegenheit folgender­maßen: Der Gouverneur von Volhynien erhob die Anklage gegen die Juden", daß sie Schmuggel trieben, und es erfolgte darauf im Jare 1812 gegen die volhynischen Juden ein Ukas, der ihnen, d. h. allen Juden, gleichgültig, welches auch ihr Beruf war,- das Wohnen in der Entfernung von fünfzig Werst von der Grenze verbot. Nur der Aufenthalt auf Grund von Pässen war gestattet. Es mag bei aller Brutalität nicht leicht gewesen sein, diesen Ukas durchzuführen, vier Jare später( 1816) wenigstens wird er auf Anraten des Senators Siebers von neuem wiederholt, bez. seine

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Der Kaffee des Leiermanns.( Seite 120.)

sofortige Vollstreckung angeordnet. Es wurde zur Motivirung dieser Maßnamen besonders darauf aufmerksam gemacht, daß die Juden an der Grenze Schenken unterhielten, die sowol der Stapelplaz der eingeschmuggelten Waren, als auch der Aus gangspunkt aller Schmugglerzüge seien. Die jüdischen Schmuggler traf man zweifellos, denn unter den auszutreibenden Juden" mußten wol auch diejenigen stecken, welche Schmuggel getrieben hatten. Das komt natürlich auf das gleiche heraus, als wenn man für Diebstähle und Verbrechen, welche einzelne Christen ver­üben, alle Christen verantwortlich machen und sie summarisch abstrafen wollte. Die Christen würden sich das entschieden ver­bitten. Den Juden gegenüber machen sie es jedoch im all­gemeinen wie die Russen. Der Fehler eines Einzelnen, sein un­moralisches Handeln wird einfach auf Rasseneigentümlichkeiten zurückgefürt und die ganze jüdische Volksklasse als mit denselben behaftet hingestellt.

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Bis zum Jare 1821 wurde die harte Maßregel durchgefürt. Sie beraubte diesmal ganz besonders in den Städten und Flecken

zalreiche Juden ihrer Existenzmittel und brachte sie an den Bettel­stab. Darauf trat eine Ruhepause ein, eine Lockerung der Ab sperrung der Juden von den fünfzigwerstigen Grenzlinien, und von diesem Zeitpunkt an beginnen sie wieder auf ihre alten Bläze zurückzukehren. Längeres Weilen darin, die feste Niederlassung wurde ihnen jedoch nicht gestattet. Es wärte nicht lange, dann kam man in Petersburg auch in Betreff der andern Gouver nements zu der Ansicht, daß an den schlechten Zolleinnamen und dem Schmuggel eigentlich auch nur die Juden Schuld seien, denen der Minister die Neigung zum Schmuggel nachsagte. Für Volhynien wurde neuerdings die Vollziehung der Austreibung angeordnet, derselbe Ukas aber zugleich auf alle westlichen Gouver nements ausgedehnt, so daß das russische Reich im Westen eine fünfzigwerstige judenfreie Grenzlinie erhielt. Der ursprünglich auf Volhynien berechnete Ukas hatte von der Austreibung die jüdischen Grundbesizer ausgenommen und sie nur gegen Pächter, Wirte, Einsassen in Anwendung gebracht. Der neue Ukas, welcher vom 11./23. April 1824 datirt, richtete sich auch gegen die