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Freiheit in Fesseln schlagen wollte, fliehend, indem er sich durch Gift den Tod gab, den Scheideblick auf sein geliebtes Athen warf. Im Norden grenzt die stille Bucht von Eleusis den Blick ein, im Osten eine Hügelkette. Und da liegt Athen , das stolze Athen , noch heute zwischen den vier Hügeln, dem Aegialeos im Nordwesten, dem Parnos gegen Norden, dem Pentelikon im Osten und dem Hymettos im Süden. Aber die heutige Stadt liegt im Norden der Akropolis , wärend die alte Stadt sich rings­herum erstreckte. Damals zälte sie noch 11 Tore, unter denen im Süden diesseit des Ilissus, der nachher in westlicher Richtung den Kophissos erreicht, die porta Ionica und die porta Diecharis zumi Stadion, dem Rennteater, wo die Rennwettkämpfe ſtatt­fanden, und zu der berühmten Quelle Kallirhoe fürten, wo Athens Jungfrauen das Wasser zum Brautbade schöpften, von wo klas­sische Gestalten den Krug graziös auf dem Haupte balancirend heimkehrten, wo Liebesverhältnisse angesponnen wurden, und Liebesgepflüster sich mit den Lauten der Philomele vereinigte, zu jener reizenden Partie, wo einst Platon angesichts einer himm­lischen Schönheit der Natur seinen Phädrus dichtete( Phaedr. 5.) Der Jlissus verliert jezt fast jeden Sommer sein Wasser, die Kallirhoe trocknet aus, nur der Kephissos schleppt ein mühsames Dasein träge dahin; dieser Mangel an Wasser, resp. Niederschlag, ist begründet durch die traurige Forstwirtschaft im Lande der Grazien und Musen. Jeder dumme Junge", sagt M. Busch, ,, der einen Zahnstocher zu haben wünscht, schlägt die erste beste und schönste Eiche um!" In diesen par drastischen Worten ist alles gesagt! Für Nachwuchs ist nie gesorgt; so mußte das Land veröden.

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,, Dort", zeigte der Senator nach einer langen Pause, in der wir stumm die Umgebung gemustert ,,, lag der Tempel der Ceres etwas weiter südlicher; hier intra muros, unmittelbar südlich von den Ruinen des Odeums und Bacchusteaters, lag der alte Markt, die Agora, auf welcher die järlichen Märkte abgehalten wurden. Später freilich verlegte man den Markt nach Norden von der Akropolis und zierte den neuen Plaz mit Prachthallen oder Stoen, unter welchen besonders die Stoa Basilii, die Stoa Macra, die Stoa Hadriani, die Stoa Attali und die Stoa Poikile( b. i. die bunte) glänzten, daneben stand das Prytaneion oder Rathaus und das Gymnasium Ptolamaei. In der Halle Poifile zeigte man mit vielem Stolz die berühmten Bilder der größten Maler Griechenlands , besonders diejenige des Polygnotus von Thasos !" Ungefär einen Büchsenschuß weit westlich vom Berge der Retropia so heißt auch die Akropolis mit ihrem älteren Namen erhebt sich jenseit des Weges ein zweiter Felsen von der Höhe seines Nachbars, es ist der Berg des Areopagus.- Macht die Afropolis einen erhebenden, freundlichen Eindruck, so ergreift uns hier ein schauerliches Gefül auf dem kahlen Felsen. Hier trat das nächtliche Gericht der Heliaea- eine Art von Geschworenen­gericht bestehend aus den Edelsten und Erfarensten des Volkes, besonders auch aus den abgegangenen Archonten, zu­sammen und sprach im Dunkel der Nacht Recht über Leben und Tod. Die Züge des Verbrechers sollten eben die Richter nicht rüren. Hier verurteilte man unerbittlich einst einen Knaben, der Wachteln die Augen ausgestochen. Später freilich verlegte man das Gericht in die Stoa Ptolomais oder Königshalle, woselbst auch der Prozeß des Sokrates entschieden ward, und überließ den Areopag den Rednern und Sophisten. Auf demselben hielt auch Paulus einst voll Ernstes und Eifer die Rede über den un­bekanten Gott und die Zeit der Unwissenheit, über den Ewigen, der Himmel und Erde geschaffen. Die Volksversamlungen pflegte man auf dem dritten von hier sichtbaren Hügel, dem Pnyx, süd­westlich vom Areopag, abzuhalten; später freilich wurden auch diese Versamlungen in die Stoen verlegt. So trug mir John aus seinem Guide of Greece bruchstückweise vor, wärend der Senator düster in die Landschaft hineinstarrte. Endlich gewann er wieder Leben und begann:

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,, Sehen Sie, Gentlemen, dort im Südosten fürte die Porta melitta zum Sepulcrum( Grabmal) Cimons. Und dort- nach Nordosten zeigend lag Marathon, wo Cimons Vater Milti ades mit 10 000 Mann Athenern den Sieg über 120 000 Perser davontrug. Dort aber am hellschimmernden Theseustempel und dem Hügel der Nymphen vorüber fürte die Porta Piraica nach dem Piraeus , der samt dem Munychia und Phaleron, durch die von Thomistoklos mit Klugheit erbauten sogenanten ,, langen

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Mauern", welche 40 Ellen hoch aus Quadern errichtet waren ( 457 v. Chr. G.), mit der Stadt verbunden war. Hier im Nordwesten fürte die Porta Thrasia, auch Porta sacra oder Porta Ceramica auf die Via sacra nach dem Hügel Keramnikos, wo einst Platon um 3000 Drachmen, das Lösegeld, für welches ihn Annikeris vom Sklavenstande losgekauft, als ihn Pollis, der spartanische Gesante, auf Befehl des Dionysios des älteren von Syrakus nach Aegina geschleppt, von Akademos die sogenante Akademie erworben, auf welcher er dann gegen 40 Jare lang lehrte. lehrte. Weiter ging der Weg nach Eleusis , wo das Heiligtum der Demeter ( Ceres) stand!"

,, Wo lag das Gymnasium Cynosarges, woselbst die Cyniker unterrichteten?" fragte ich.

,, Dort im Nordosten! Man gelangte dorthin durch die Porta Acharnica, die Porta Diomeis oder die Porta Aegei, durch welche man auch nach dem Lykeion, zu dem Gymnasium der Peripa­tetiker, gelangte; dort lehrte der kluge, kritische Aristoteles als Nebenbuhler seines Lehrers Platon . Beide Gymnasien lagen am Abhange des Hügels Lykabettos!"

Wir stiegen langsam wieder hinunter und kamen in das Tal, welches im Altertum ,, Tal der Eumeniden" hieß. Hier war der Eingang zur Unterwelt; hier stand auch der Tempel der Eumeniden", hier spielen Aeschylus Eumeniden", hier stand auch der Tempel des Ares oder Mars.

Nun statteten wir erst noch dem Theseustempel einen Besuch ab, maßen und beschauten den schlanken Bau und wanten uns dann dem großen botanischen Garten zu, der umgeben von einem am Flusse Kephissos entlang laufenden Orangenhain mit diesem um die Wette Düfte ausströmte.

Die Hermesstraße fürte uns schließlich zum Mittagsmal wieder in das gastliche Haus des Senators zurück, wo wir bereits er­wartet wurden.

Die Küche des Hauses war gut verwaltet, denn wir speisten ganz, als ob wir in Berlin , Wien oder Paris dinirten, nur war der Wein ein heimisches, schweres Gewächs. Die Damen waren diesesmal schon viel zutraulicher und daher die Unterhaltung bald im Fluß. Ich ward besonders durch den Senator gefesselt, der einen Feldzugsplan für den Abend verabredete, da ihn morgen eine Senatssizung von unserer Fürung abhalten würde. Wir wollten also ins Teater und verabredeten daher, bis 6 Uhr eine kleine Siesta zu halten, dann aber alle um 7 Uhr bereit zu sein. Sie werden freilich keine Tragödie des Sophokles zu hören bekommen, sondern nur ein französisches Stück les Fourcham­baults" baults" diese Manie grassirte damals eben aber gleichviel, Sie sollen Sich amüsiren!"

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Was mir bei Tische besonders auffiel, war die wunderbare Schönheit Cyanens, von der das reizende Mädchen gar keine Ahnung zu haben schien; mit Erstaunen sah ich denn auch den sonst so gemessenen John auf dem besten Wege, sich zu verlieben.

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Pünktlich 7 Uhr abends brachte uns dann der Wagen in das hübsche neue Teater, das Athen alle Ehre macht und im Geschmack der Teater größerer Städte hergerichtet ist. Man spielte französisch, und die onehin mir bekante Handlung ver mochte mein Interesse nicht zu fesseln. Eine desto größere Auf­merksamkeit wante ich dem Publikum zu. Jezt allgemeines Er­heben von den Sizen: Se. Majestät König Georgios hatte seine Loge betreten; die Majestät, welche einen sympatischen Eindruck macht, winkte aber gnädig mit der Hand und alles nam wieder Pla. Uebrigens richteten sich auf uns beide nordischen Blon­dins die Gläser vieler Schönen, wir dagegen sahen nicht weniger interessirt uns die vielen südlich scharf geschnittenen Gesichter an. Der eigentlich klassisch schöne griechische Typus scheint aber ganz geschwunden zu sein, nur Fräulein Cyane Kneurosphyllos scheint noch eine Wiederholung jener edlen graziösen, klassisch schönen Frauengestalten zu sein, wie wir sie so oft auf alten kostbaren Krügen von Terracotta und dergleichen bewundert haben. Hernach gedachte ich der Zeit, als Aristophanes noch durch seine mit attischem Salz gewürzten Komödien die Bewohner Athens , die so gern etwas Neues hören mochten, lachen machte, als Aeschylos und Sophokles noch die freien Bürger der ersten Stadt Griechen­ lands durch ihre Tragödien rürten, und die Verse eines Euri­pides, einer Sappho die kritischen Zuhörer ergözte. Und nun?-- Sic transit gloria mundi!

( Fortsezung folgt.)