140
-
Im Dorf der Schmied.
Eine Geschichte aus dem Eljaß von Max Vogler.
Und daneben bewegte eine andere, seltsame Empfindung ihr| Herz, dasselbe weiche, wehmütige Gefül, das sich darin gerürt, als er an jenem Nachmittage mit ihr zusammengesessen und von sich und seinen Verhältnissen gesprochen und von den Wunden, die der Krieg auch ihm und den Seinigen geschlagen, und sie hörte dabei wieder den sanften, herzlichen Ton seiner Stimme und sah, wie seine dunklen, glänzenden Augen in einiger Rührung, so ehrlichen, treuen Ausdrucks, zu ihr hinblickten,-war es doch vielleicht eine leise, stille Teilname, die er ihr abnötigte, eine unmerklich und sacht auffeimende Ueberzeugung von der Ehrlich keit und Lauterkeit seines Wesens, zum Verzeihen und Vergessen.
Wenigstens fand sie sich jezt manchmal, wenn sie so still vor sich hinsaun, plözlich vor der Frage, was sie ihm denn eigentlich zu verzeihen, zu vergessen habe, was er ihr denn persönlich so herbes zugefügt, daß sie ihm so lange gezürnt, und es wurde ihr nach und nach warm um's Herz, und sie wußte nicht recht, was sie sich selbst darauf sagen sollte; das Nächste war immer, daß sie sich von ihren Gedanken loszumachen suchte, eine andere, sie mehr beschäftigende Arbeit aufnam, wie um einem Geständnis auszuweichen, das sie sich um alles, und wer's auch im Verborgensten, still vor ihrer eigenen Seele, nicht ablegen mochte...
-
Eine warme Fürsprecherin hatte Jakob Barthold an Helenens jüngerer Schwester Nannette. Sie hatte ihn schon sonst, da alle andern noch so falt und gleichgültig gegen ihn gewesen, immer freundlich angesehen und seinen Gruß mit fröhlicher Munterkeit erwidert,- wenn er eingetreten, ihm stets heiter und zutraulich seine Flasche und das Glas gebracht, und nicht selten war's gewesen, daß sie mit einem traurigen, fragenben Blick nach ihm hingeschaut, wenn er stundenlang still und stumm für sich auf seinem Blaze gesessen. Und gerade jezt tat sie das leztere gar oft, wenn er so trüb wie in heimlichem Schmerz vor sich niederblickte, wärend niemand ein Wort zu ihm redete, und sie hätte weinen können, sobald sie daran dachte, wie er unschuldig im Gefängnis gesessen und doch die Leute, manche wenigstens von ihnen, noch immer so hart und schlecht von ihm sprechen.
Möcht wissen, was sie nur immer gegen ihn haben," sagte sie dann wol manchmal zur Schwester ,,, or ist so still und friedsam und tut keiner Seel'' was zu leid". Wie tief und sonderbar diese Worte Helene'n in's Herz trafen, dieselben Worte, die er so ehrlich und warm zu ihr gesprochen!
-
Ich kenn' es am besten, daß er gut ist," fur Nanette bei einer solchen Gelegenheit einmal fort ,,, denn ich bin mit ihm zu sammengewesen, als ich noch eine fleine Dirn' war und zur Schule ging. Was er nur kont', hat er mir zu Gefallen getan, und mir ist's wie heut, als er mir im Herbst drüben in des Schmieds Garten die Goldäpfel vom Baum g'schüttelt, und g'wiß sobald ich ihn wiederseh, ich frag ihn, ob er's noch weiß!"
Und da ging eine brennende Röte über Helenen ganzes Gesicht, und ihr flirrten die Augen, und es war ein halb freudiger, halb ängstlicher und unruhig forschender Blick, mit dem sie zu Nanette aufsah.
Ja du kanst mir's schon glauben, Helene," rief diese dann wieder heftiger, und ich mein, der Vater müßt's noch wissen, wie ich damals häufig hinübergegangen und in's blizende Feuer geschaut, wenn der Meister Elsinger mit seinem Gesellen vor'm Ambos stand und den Hammer schwang!' s hat manches harte Wort gesezt, bis ich's ließ, weil der Vater meint',' s fönt' mir' was Uebles widerfaren beim Gluteisen und dem Blasbalg,- freilich du warst damals schon in dem großen Paris und bist vornem worden, seitdem daß dir's töricht ist, was ich schwäz'!"
Sie sezte die lezten Worte fast unmutig und verlezt hinzu, wie sie sah, daß Helene zu lächeln begann und es spöttisch um ihren Mund spielte. Freilich war sie eben so schnell wieder beruhigt, wenn die Schwester darauf ihm herzlich die Hand ent gegenstreckte und zutraulich sagte:
-
,, Mußt nicht gleich so mißtrauisch sein, Nanette, mich lockt's blos zum Lachen, wenn ich mir denk', was du damals, als die Mutter fortging, für ein kleines Ding warst, nnd jezt eine so große Dirn', just so groß und lang wie ich!"
Und sie lachte gutmütig und die Schwestern waren wieder ausgeföhnt und jede ging ihrer eigenen Arbeit nach. Aber die
( 10. Forfezung.) Jüngere ahnte nicht, wie sie durch ihre Worte auf Helenen gewirkt, und daß diese oft noch stundenlang an nichts anderes dachte, als was sie ihr gesagt..
Das Tauwetter, welches im Februar eingetreten war, hatte längere Zeit hindurch angedauert und allmälich alle Spuren des Winters von der Erde verwischt. Dann waren die Märzwinde gekommen, scharf und brausend und hatten Schmuz und Kot hinweggetrocknet, und nun, in der Mitte des Aprilmonds, sah es überall glatt und sauber aus, würdig zu seinem Empfang gerüstet, schien die Erde still zu harren auf den nahenden Lenz. Hatte er doch schon seine froh willkommenen Vorboten vorausgesandt: die kleinen Sänger, die lustig in den Gärten und um die Häuser flatterten und sich gleichmäßig von ihrer Reise erzälten, und dann die bescheideneren, löblichen Geister, die im lichten Gewand der Marienblümchen und Himmelschlüssel sich den froh verwunderten Menschenkindern in den Weg stellten und ihre selig aufatmenden Herzen weich und hold und süß ansprachen in der Veilchen zartem Duft. Und die Weiden im Tal schmückten sich schon mit ihren silbernen Blütenkäzchen, und die Spinnen webten über dem Türgesims und an der Hofmauer luftigen, durchsichtigen Schleier zusammen und heiter schwärmende Mücken hielten über warmen, sonnenbeschienen Steinen munteren Tanz. So rürte und regte sich alles in frohem Erwachen und spann in beglückender, spielender Arbeit die ersten losen Fäden ineinander zu einer stillen, reizvollen, wundersamen Geschichte, die das Menschenherz alle Jar' erlebt, und die es aufhellt und erwärmt und erhöht, auch wenn's vorher noch so trüb und traurig und öd' darin gewesen: ,, Wenn der Lenz komt," ist sie überschrieben, und wer Augen dafür hat, mag diese Ueberschrift wol finden in den hellen, grünen Streifen, die sich durch den Wald ziehen, am lichten Morgen und in geheimnisvoll dämmernder Abendstunde, oder sie lesen im seligen Blau des Himmels und in den weißen, duftigen Wölklein, die lautlos langsam dahinziehen um stille Mittagszeit.
-
Mutter Elsinger, die immer noch Tag um Tag an dem Fenster saß, das auf den einsamen Hof mit den mächtigen Nußbäumen hinausgeht, hoffte nicht viel von des Frühlings frohem, leuchtenden Einzug; sah' sie doch nichts von all' den tausend süßen Wundern draußen, und wenn sie die Schwalben am Fenster vorbeischwirren hörte und anderes loses Vogelvolt an die Scheiben pickte, so wünschte sie immer wieder still bei sich selber, daß es der Engel wäre, der gekommen, sie abzurufen und fortzutragen, ihren Leib zur Ruhe und ihre Seele zur Seligkeit.
Des Holzbauern Schicksal hatte auch sie tief erschüttert und trüb gestimt, und als sie den Jobbi fortgefürt, war's ihr gewesen, als neme man ihr von dieser Welt vollends alles, was sie noch besaß. Nun freilich hämmerte und schweißte und schmiedete er wieder draußen; aber sie wußte ihn traurig und niedergedrückt, und sie trug sein Leid, als wär's ihr eigenes. Endlich ließ der Himmel die Ruhe auf sie niedersinken, die sie so lange begehrt.
Es war in den lezten Apriltagen, als ein schwarzer Trauerzug das Haus des Schmieds verließ und in den stillen Friedhof, welcher der Herberge zur„ gold'nen Traube" fast gegenüberliegt, einbog, und es war Meister Elsinger's blinde Wittib, die man zu Grabe trug. Der Traubenwirt und seine jüngere Tochter hatten ihr das Ehrengeleit gegeben auf diesem lezten, stillen Weg Helene hütete derweilen das Haus und jah, wärend drüben auf dem alten, grauen Kirchturm ernst und feierlich die Glocken gingen, vom Fenster aus dem reichlich mit Blumen geschmückten Sarge nach. Das herbe Geschick, in ihrem Alter noch das Augenlicht zu verlieren, hatte allenthalben das Mitleid mit ihr erregt; drum war man auch überall besorgt gewesen, ihr leztes Ruhebett schön zu zieren, und das halbe Dorf war dem Sarge ge folgt, und jeder hatte ihr eine Hand voll frischer Erde zum Lebewohl ins Grab hinabgestreuet.
Freilich hinderte das nicht, daß man gleich nachher anders von ihr redete, als es im Trauerhause und vor ihrer Gruft ge schehen; denn sie hatte vielen nicht recht getan mit ihrem lezten Willen, und einigen wenigen erschien es gar als wirkliche Sünde, was sie darin bestimt. Das hat sie dem falschen Fremden, dem heimlichen Spion, der das Land mit hat verwüsten und unsere
-11