Hast du den Jubel voll geschaut?
fomm' mit mir nur wenig Schritte Und horch', welch tiefer Jammerlaut Erschallt aus dieser nied'reu Hütte! Dort steht die Leiche aufgebaut, Daneben in der Kammer Mitte
Drückt an ihr Herz, mit bitterm Weinen, Ein Weib die vaterlosen Kleinen.
J. A.
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Heinrich von Kleist. ( Fortsezung.) Solche lästerlichen Ansichten waren denn allerdings in dem Munde eines preußischen Offiziers etwas bedenklicher Natur und so war es denn am Ende wol auch für beide, für die Arme wie für Kleist, besser, sie trenten sich. Sein erster Biograph*) meint nun zwar inbezug auf die eben mitgeteilte Stelle ,,, die Spizfindigkeiten, mit denen er( Kleist) ein vermeintes Disharmoniren der Menschen- und Standespflichten des Soldaten dartun will, zeigen jedoch, wie früh er die schneidend einseitige Verstandesrichtung gewonnen hatte, die uns später in seinen reifsten Geisteswerken stört" und Wilbrandt **) sagt darüber: Wie jugendlich war es freilich, wenn Kleist auf den militärischen Beruf die ganze Gehässigkeit der Konflikte übertrug, die fast in jedem Berufe wiederkehren;" aber meiner Meinung nach tun beide dem Kleist unrecht. Denn die von ihm geschriebene Stelle zeugt weder von einseitiger Verstandesrichtung" im Gegenteil offenbart sich in dem ganzen Brife eine überquellende Fülle von Gemüt noch waren diese Argumentationen so jugendlich wie der leztere Schriftsteller meint, der zudem in dem folgenden selbst den Beweis antritt, daß Kleist nur allzu recht hatte. ,, Dem gebildeten Manne mußte doch vor der russischen Barbarei dieses ganzen friegerischen Wesens schaudern," ,, wenn er die scheußliche Sklavenjagd der Werber sah;" wie man den Gemeinen stieß, mit Füßen trat, bei jedem elenden Anlaß fuchtelte und entwürdigte oder ihn durch die Spießrutengasse trieb; und wie die Masse der Öffiziere noch immer an den rohen Sitten aus Friedrich Wilhelms I. Zeit und an der alten harsträubenden Ungelehrtheit, an der Verachtung alles Wissens festhielt: da fonte es nicht schwer und noch weniger eine zimperliche Schwäche sein, sich mit Widerwillen gegen das entadelte zu erfüllen." Also doch!
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Kurz, Kleist glaubte sein gutes Recht zu haben, einen ihm widerwärtigen Stand den Rücken zu kehren und er tat dies denn auch. Zu Ostern 1799 kam er in seiner Baterstadt an, wo er seine Studien, zunächst alte Sprachen und Philosophie, fortzusezen gedachte. Allgemein wird behauptet, daß Kleist hier nun die angenemste Zeit seines Lebens verlebt hätte und so fleißig er auch studirte, so verlebte er mit seinen Geschwistern und Befanten, zu welch lezteren namentlich die Familie des Generals von Zenger gehörte, seine freien Stunden recht vergnügt und heiter. Er gab den jungen Damen den ihnen sehr bedürftigen Unterricht in der Muttersprache, verschaffte ihnen Lektüre und las auch selbst vor und als er einst die Absicht hatte, Professor zu werden, ließ er sich ein Kateder bauen und hielt der Gesellschaft Vorlesungen über Kulturgeschichte. Dabei arangirte er ihnen auch Spiele und sorgte sonst für Vergnügungen. Besonders wird aber schon aus damaliger Zeit seine große Zerstreutheit erwänt, die sich auch später noch, z. B. als er bei Wieland zum Besuch war, an ihm des öfteren zeigte. So soll er, wenn er auch in seinen Studien noch so vertieft war, sobald sein Bruder eine Melodie zu singen begann und in der Mitte aufhörte, dieselbe weiter gesungen haben. Einmal kam er aus dem Kolleg, wollte zu Hause seinen Rock wechseln, 80g sich aber in der Zerstreutheit bis aufs Hemd aus und wurde nur bon seinem dazu kommenden Bruder unter schallendem Gelächter abgehalten, ins Bett zu steigen.
Aus diesem gesellschaftlichem Umgang entspann sich zwischen ihm und Wilhelmine von Zenger ein Liebesverhältnis, das uns eine Anzal von Brisen hinterlassen hat, die am meisten geeignet sind, über das Denken und Fülen sowie über den Entwicklungsgang der eigenartigen Natur Kleists Aufschluß zu geben. Schon bei seiner Verlobung zeigte er sich in seiner ganzen Eigentümlichkeit.
Gegen die in seinem Stande übliche Konvenienz hatte er sich bereits früher aufgelehnt. In seinen Briefen an die Braut wirft er seinen ganzen Stand weg. So schreibt er ihr den 13. November 1880: Weg mit allen Vorurteilen, weg mit dem Adel, weg mit dem Stande gute Menschen wollen wir sein und uns mit der Freude begnügen, die die Natur uns schenkt. Lieben wollen wir uns und bilden, und dazu gehört nicht viel Geld," ,, Also ich wünsche es mit meiner
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ganzen Seele und entsage dem ganzen prächtigen Bettel von Adel, Stand, Ehre und Reichtum, wenn ich nur Liebe bei Dir finde."- Und da er sich seinen und ihren Unterhalt mit Unterrichtgeben verdienen will, färt er fort:„ Lächle nicht, und bemühe Dich nur, alle Vorurteile zu bekämpfen. Ich bin sest entschlossen, den ganzen Adel von mir abzuwerfen. Viele Männer haben geringfügig angefangen und fönig
Eduard v. Bülow: Heinrich von Kleists Leben und Brise Berlin , 1848.
1863.
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lich ihre Laufbahn geschlossen. Shakespeare war ein Pferdejunge und ist die Bewunderung der Nachwelt. Wenn Dir auch die eine Art der Ehre entgeht, wird Dir doch vielleicht einst eine andere zu Teil, die höher ist." Man darf nun nicht etwa denken, daß solche Geringschäzung gegen seinen angebornen Adel lediglich der Ausfluß seines Verliebtseins gewesen seiman hat in seinem Verkehr mit der Braut vielmehr wieder den einseitigen Verstandesmenschen entdeckt! es ist wol mehr der Einfluß der Zeit, namentlich aber der von Frankreich herübergekommenen Ideen. Mit seiner Braut unterhielt er sich öfters über Rousseau, er hatte ihr den ,, Emil" zu lesen gegeben, und so geht man wol nicht fehl, wenn man annimt, daß es auch die Lektüre dieses Schriftstellers gewesen, die seine Anschauung über Welt und Menschen bestimte. Später werden wir noch greifbarere Anhaltspunkte finden. Daraus wird nun aber auch sein Verhalten bei seiner Verlobung erklärlich.
Er meinte nämlich, daß, wenn zwei Liebende sich für einander bestimt hätten, so sei dies lediglich ihre Sache und die Eltern brauchten davon garnichts zu wissen, da für ihn auch außerdem ein solches Verhältnis allen Reiz verliere, wenn erst die Basen und Oheims sich hineinmifchten. Das mag zu weit gegangen sein, aber so ganz unrecht hat er doch nicht. Die Schwester seiner Braut war Mitwisserin und auch Ulrike, Kleists Schwester, übrigens das einzige Glied seiner Familie, dem er seine Geheimnisse ganz anvertrauen fonte und die ihn auch verstand.
Man hat nun andererseits auch bemängelt, daß er in den Brisen seiner Braut wieder zu sehr als trockner Pädagog aufgetreten sei. Er schreibt ihr nämlich über Pflicht Eigennuz und dergleichen und zwar oft in etwas trocknem Ton. We, nu man aber bedenkt, daß das Mädchen eine anspruchslose und genügsame Natur war, die aber Kleist durch ihr liebevolles Wesen fesselte, erhob und anspornte, so daß er gerade durch ihre Liebe begeistert und zur Tätigkeit angeregt wurde, so ist es nur zu erklärlich, daß er ihr seine liebsten Pläne und Gedanken, alles was ihn selbst beschäftigte, mitteilte. Man darf nur die Stellen, wo er ihr die Pflichten des Weibes nach seiner Anschanung klar macht, lesen, wo er sein Ideal in dem einen Gedanken, in der vornemsten Aufgabe der Frau sieht: Mutter zu werden und ihre Pflicht als solche zu erfüllen, und man wird gern die Passagen, die er im Katederton geschrieben, vergessen oder mit in den Kauf nemen. Seiner Schwester Ulrike hat er übrigens auch solche belehrende Brife geschrieben.
Im Sommer 1800 siedelte er nach Berlin über, um einesteils seine Studien fortzusezen und um wol auch andererseits sich bei der Regierung nach einer Stelle umzusehen. Ernsthaft um die leztere war es ihm nicht zu tun, aber er mag sich den Anschein gegeben haben, um seine werdenden Schwiegereltern günstig zu stimmen, die schließlich doch mit seinem Geheimnis befant geworden waren. Hauptsächlich beschäftigte er sich in Berlin mit der kantschen Philosophie; er hatte außerdem den Plan, nach Südfrankreich zu gehen, dort Unterricht in der deutschen Sprache zu erteilen und, wenn er der französischen genügend mächtig, die Philosophie des großen fönigsberger Denfers dort zu ver breiten. Vorläufig machte er aber erst eine Reise nach Würzburg , über Dresden und Bayreuth und zwar in Gemeinschaft mit seinem Freund Brockes . Der Zweck dieser Reise wurde sehr geheim gehalten, weder die Braut noch die Schwester erfur ihn und auch der Nachwelt ist kein sicherer Anhaltspunkt geblieben, da eine Schrift, die er in Berlin verfaßte unter dem Titel ,, Die Geschichte meiner Seele" und die bestimte Angaben enthalten haben soll, verschwunden ist. Wilbrandt schließt wol nicht ganz mit Unrecht aus den verschiedenen geheimnisvollen Andeutungen in seinen Brifen, daß er auf dieser Reise nichts weiter gesucht habe als die Dichtkunst. Hatte er anfangs seine Bestimmung zur Poesie nur dunkel geahnt, so war ihm der Dichterberuf allmälig zum Bewußtsein geworden und um ihn zum erstenmale mit Erfolg üben zu können, trieb es ihn hinaus aus dem Gewül der prosaischen märkischen Wirklichkeit in die freie, schöne Natur, deren Mannigfaltigkeit ihn denn auch derart entzückte, daß alle seine Brife von dieser Reise von poetischen Hause durchweht sind. Wenn er aber einen solchen Zweck seinen pedantischen Angehörigen verschwieg, so hatte er guten Grund, denn diese wären ganz sicher von Entsezen ergriffen worden, wenn sie in Erfarung gebracht, daß er nun nicht einmal ein Brotstudium ergriffen. Er mag daher den Plan. gehabt haben, vor seiner Familie erst mit einer vollendeten Tatsache, d. h. mit einem Werk hinzutreten, das seinen dichterischen Ruhm unwiderruflich begründete. Aus diesem Grunde mag er später auch seine Stücke nicht unter seinem Namen haben drucken laffen.
Durch das Studium der kant'schen Philosophie war er, der so eifrig nach Warheit gesucht, zu der Ueberzeugung gekommen, daß wir Menschen diese nicht finden können und er schreibt nach dieser ihn niederschmetternden Entdeckung der Braut: ,, Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe keines mehr." Abscheu ergreift ihn gegen die Wissenschaft und er faßt den Entschluß, eine Reise zu machen und zwar nach Paris . Seine Lieblingsschwester, der er längst das Versprechen gegeben, nur mit ihr ins Ausland zu reisen, geht mit, zwar gegen seinen Wunsch, er schwankt, ob er noch reisen soll, aber endlich treten sie beide in Gemeinschaft eines Dieners im April 1801 ihren Spaziergang, wie Kleist die Tour nante, an.( Schluß folgt.)