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dem westlichen Mitteldeutschland zunächst als Muster vor. Ein warmer West koste mit den träumenden Blütentnospen des deutschen Dichtergenius, so daß sie unter dem linden Hauch sich erschlossen zu Duft und Glanz. Die erste Blüte der deut schen Literatur, namentlich der Lyrik, trat mit Macht in die Erscheinung. Den Mittelpunkt bildete, wie bei aller Lyrik, die Geschlechtsliebe; was Maria für den Himmel war, das wurden Frauen und Mädchen für die Erde. Es war eine Verwirklichung jenes Dichterworts:
Freilich soll keinen Augenblick in Abrede gestellt werden, daß es sich hier im wefentlichen um eine bevorrechtete Gesellschaftsklasse handelte, welche für sich allein diesen Himmel auf Erden baute. Und so kam denn dem Weibe des Volkes die neue Herlichkeit nur spärlich zu gute. Aber einerseits stiegen auch Ritter herab zu niederer Minne", und andererseits erfaßte die Zeitströmung gewiß auch einen
großen Teil der mittleren Gesellschaftsschichten, warscheinlich aber kamen die neuen Anschauungen und Gedanken allgemach auch in die Tiefen des Volks und beeinflußten dieselben in der angegebenen Richtung.
Siegfried, wie er seine Kriemhilde bläut, fing an, dem guten Ton der ritterlichen Gesellschaft zu widersprechen, und so sank das ganze alte Epos im Geschmack dec Nibelungensage in der Achtung: die ritterliche Gesellschaft schuf sich ihr eigenes,
neues Epos, in
Wir wollen hier auf Erden schon Das Himmelreich errichten.
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hundertelang das Lasttier der Gesellschaft. Mit seiner niedrigen Stellung und schweren Arbeit hatte er, der die vornehme Gesellschaft ernärte, zu dem Schaden auch noch den Spott, eine alte und doch heut noch nicht veraltete Geschichte!
Betrachten wir das Leben der Frauen etwas näher. Zu dem altüblichen Erlernen der häuslichen Geschäfte und weiblichen Künste kommen jezt auch die sogenanten geistlichen Fächer, Lesen und Schreiben, auch fremde Sprachen, Zungen" wie die Zeit es nante. Ferner wurden ihnen von ihren Meisterinnen oder auch von farenden Sängern und Musikern Lauten-, Citer- und Harfenspiel gelehrt, auch Singen stand in hohen Ehren. Die
Das Innere einer Wapischianna- Hütte.( Seite 180.)
dem alles fein höfisch hergehen mußte. Auch die Liebe ward mit einem feinen Mystizismus durchsezt. Parcival starrt auf drei Blutstropfen im Schnee und versinkt in tiefes Minnegrübeln, so daß er der Feinde nicht achtet, welche auf ihn losschlagen. Wäre Parcival Schüler des alten Hildebrand, des Schwertmeisters Dietrichs von Berne gewesen, er hätte jezt etwas derbes hinter die Ohren bekommen!
Der ganze neue gute Ton der ritterlichen Gesellschaft fürte den Namen der„ Höfischheit", des höfischen Wesens, des Betragens, wie es sich bei Hofe sehen lassen kann. Den Gegensaz dazu bildete die„ Dörgeskeit"; deren Träger war der Bauer, jar
obgedachte Kunst des Lesens und Schreibens war in jenen fehdeLustigen Zeiten überhaupt mehr frauliche als ritterliche Kunſt. So fonte Wolf ram von Eschen bach , der tiefsinnige Denker und gefeierte Sänger des Parcival , nicht schreiben, noch lesen; er diktirte seine Gedichte einem Schreiber. Auch der deutsche Donquirote Ulrich von Lichtenstein mußte ein Büchlein d. i. einen Brif seiner Angebeteten wochen
lang mit sich herumtragen, one seinen Inhalt zu kennen, bis sein schreib- und lesekundiger Bote
wiederkehrte.
Auch des Dichtens beslissen sich die Damen; wird doch sogar farender Dichtersängerinnen gedacht! Genugsam be fant ist nach der Hymnendichterin Awa die schriftstellernde gandersheimer Nonne Hros witha, welche mit ihrenhöchstmoralisch gemeinten, uns aber überaus anstößigen Dramatisirungen von Heiligengeschich ten den lateinischen Lustspiel
dichter Terenz von dem Repertoir der Klosterschultheater verdrängen wollte. Im Jare, 789 schon wird den Nonnen verboten, minileod scribere vel mittere d. h. Liebeslieder zu schreiben und zu senden, eine Tatsache, welche auf weltlich- dichterische Kunstübungen hinweist. Psalter und dergleichen Schriften wurden immer heimischer in den Behausungen der Frauen und galten rechtlich als zur Gerade, dem eingebrachten Frauengut gehörig. Die großen Heldenlieder, sowie auch die zierlichen Büchlein der Minnesinger fehlten nicht in den Kemenaten( caminato= heizbares Frauengemach) der vornehmen Burgen, die dann zuweilen von besonders dazu gehaltenen Mädchen des Hofstaats vorgelesen