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stellen, muß die Vorstellung einer unmittelbaren Einwirkung transs cendenter Faktoren aufgegeben werden*), wie auch der tiefere Einblick, den die Wissenschaft in die physiologischen Prozesse gewann, die mittelalterliche Antropologie erheblich erschüttern mußte.
9. Kapitel. Goethe als Spinozist.
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Mit der Milch des Spinozismus wurde der größte Dichtergenius der Neuzeit genärt, welcher das ganze weite Gebiet der deutschen Geisteskultur mit seinem Licht überströmte und dessen Werke überall die spinozistische Denkart zurückstralen. Wolfgang Goethe sah die Welt mit spinozistischem Auge an, betrachtete die Natur und die Menschen sub specie Spinozismi und diese Weltanschauung verleiht seinen Dichtungen und Schriften jene maje stätische Objektivität, welche sich allem was ist, dem Ganzen wie dem Einzelnen, dem Größten wie dem Kleinsten, mit urgesundem Wolgefallen zuwendet, dem alle krankhafte Sentimentalität und Schwärmerei fremd ist und das Spinoza in seiner Sprache amor dei intellectualis nent. Die Kole der Philosophie hat sich bei Goethe zu poetischen Diamanten krystallisirt; oder um den Dichter durch einen Dichter karakterisiren zu lassen ,, die Lehre des Spinoza hat sich aus der matematischen Hülle entpuppt und umflattert uns als goethe 'sches Lied. Das ist so zart äterisch, so duftig beflügelt. Diese goethe 'schen Lieder haben einen neckischen Zauber, der unbeschreibbar. Die harmonischen Verse umschlingen dein Herz wie eine zärtliche Geliebte; das Wort umarmt dich, wärend der Gedanke dicht füßt."( H. Heine , Ges. W. Bd. 5. S. 232.) Wir wollen uns über den Einfluß der spinozistischen Weltanschauung auf die goethe 'sche Dichtung und auf die Poesie überhaupt noch etwas eingehender verbreiten. Es ist offenbar auch in ästetischer Hinsicht kein geringer Unterschied, ob man die Natur als etwas Hinfälliges, Verwelkliches betrachtet, als flüchtigen Schatten der transcendenten Welt des Geistes, als einen Komplex von Wesen, welche die Willkür des Schöpfers ins Dasein gerufen hat und die er nur anbläst und sie zerstieben", als Grund des sittlichen Uebels, oder gar als Werk der Finsternis; oder ob man die Natur als ewig, sub specie aeternitatis, betrachtet, als die lebendige, ewig junge und sich neu verjüngende Gebärerin alles Lebens, als die Quelle alles Großen, Schönen und Guten. Mit ganz anderem ästetischen Behagen wird der sein Auge auf
*) Die durch Kant in die Philosophie eingefürte Distinktion zwischen Noumena und Phänomena , welche bei seinen Nachfolgern die sonderbarsten spekulativen Blasen trieb und zulezt dem schopenhauerschen Ungeheuer, Weltwillen, das Dasein gab, hat dem Deismus eine neue Hintertür geöffnet. Unseres Erachtens ist jenes Fahnden nach dem metaphysischen Substrat der Erscheinungswelt ein durchaus müßiges Beginnen. Unser ganzes Denken operirt überall mit dem Begriff Sein. One diesen Begriff gibt es keinen Gedanken. Wir beziehen unsere Sinneseindrücke auf ein Sein und suchen uns die Merkmale des Ge samtseins und des einzelnen Seins( d. h. wie dasselbe auf uns wirkt) flar zu machen. Auch die Ichvorstellung ist nichts anderes. Die Vorstellung Sein aber ist soviel wie Substanz, Stoff, Materie, d. h. sie ist one die Vorstellung der Ausdehnung nicht denkbar. Wer dies bestreitet, der verwechselt das Wort Sein( die Reproduktion des Gehörsinns) mit dem Begriff Sein.( Ich habe an einem andern Ort gezeigt, daß der Umstand, daß wir mit Worten denken, um den Denkprozeß zu erleichtern, die meisten philosophischen Irrtümer veranlaßt. Denn das Wort( die Reproduktion der Gehörsvorstellung) ist nur die Etiquette des Begriffs, oder das Papiergeld des Gedankens; nicht der Begriff selbst. Sollen spekulative Irrtümer vermieden werden, so muß stets darauf geachtet werden, daß das Wort mit seinem Begriff kongruirt; denn nur wenn dies außer Acht gelassen wird, können Merkmale kombinirt werden, deren Kombination in einer Vorstellung ganz unmöglich ist. Hieraus entsteht das Bedürfnis der Definitionen. Mit Recht Mit Recht sagt daher Goethe:
und wiederum
Denn eben wo Begriffe fehlen
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten
Gewönlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen. Das beste Mittel, derartigen Verbalhallucinationen auszuweichen, ist die Umsezung der Berbalvorstellung in ihre Realvorstellung. Alles, was in unserem Bewußtsein nach gedanklichem Erfaßtwerden ringt, will nur auf ein Sein bezogen und mit den übrigen Seinsvorstellungen in Einklang gesezt werden; damit ist das intellektuelle Bedürfnis hinlänglich befriedigt. Was sich aber bis jezt von der Wissenschaft nicht enträtseln ließ, fann doch nur auf diese Weise enträtselt werden und gehört eigentlich in das Gebiet der Naturwissenschaft.
der Natur und ihren Erscheinungen verweilen lassen, der sie als ursächlich begreifbar betrachtet, als Inbegriff und Wirkung nie und nirgends gestörter Gesezmäßigkeit, als Manifestation ewiger | Kräfte, die überall und immer nach denselben Regeln wirken, als ein immer logisches und vernünftiges Wesen- als derjenige, dem die Natur als Spiel regelloser Willkür, oder als Marionette erscheint, die ein hinter der Coulisse des Himmels verborgener transcendenter Gott nach seiner Laune in Bewegung sezt. Wärend dem Dualisten viele Erscheinungen an sich kein Interesse einflößen, wärend viele sogar abstoßend auf ihn wirken, oder sein Interesse nur fesseln, sofern er sie mit dem Geistes- oder Gefülsleben in Beziehung zu sezen vermag, in seiner Naturpoesie daher ein reflektiver und sentimentaler Zug vorherschen wird, ist dagegen der Monist geneigt, die objektive Wesenheit der Natur anzuschauen, aufzufangen und wiederzuspiegeln; alles Verschwommene, Mystische, fieberhaft Eraltirte wird ihm widerstreben; nur das Klare, Bestimte, Helle sagt ihm zu. Ihm wird auch das Unscheinbare zum Bedeutenden werden, da es einen Teil der ewigen Substanz und ihrer Kräfte repräsentirt, die Reflexe des Universums von ihm ausstralen. Noch in anderer Hinsicht ist die spinozistische Weltanschauung auf die Poesie, besonders auf die dramatische, von hohem Einfluß. Zufolge der deterministischen Auffassung der menschlichen Handlungen wird sie sich auch in Bezug auf die menschlichen Karaktere eine ungetrübte Objektivität bewaren; sie wird leichter Menschen schaffen können, wie sie sich auf der Büne des Lebens bewegen und wird eher imstande sein, Karaktere und Handlungen in ihren Wurzeln bloszulegen, das innerste psychologische Geäder durchschimmern zu lassen und sie wird damit nachhaltiger auf die Masse wirken, als der Subjektivismus und Indeterminismus. Darum aber ist Shakespeare der größte Dramatiker, weil er, obgleich fast ein Jarhundert vor Spinoza lebend, die menschlichen Handlungen, Karaktere und Schicksale als notwendige Resultate ihrer psychologischen Komposition aufgefaßt hat.( Vgl. hierüber Kuno Fischer , Geschichte der neueren Philosophie, 24. Vorlesung. 3.)-
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10. Kapitel. Aus Goethes Werken.
Wir haben von Goethe gesprochen. Aus„ Warheit und Dichtung" wissen wir, welchen gewaltigen Eindruck die Werke Spinoza's auf den jungen Dichter machten. Dieser Geist", heißt es im 3. Theil Buch 14, der so entschieden auf mich wirkte, und der auf meine ganze Denkweise so großen Einfluß haben sollte, war Spinoza . Nachdem ich mich nämlich in aller Welt um ein Bildungsmittel meines wunderlichen Wesens vergebens umgesehen hatte, geriet ich endlich an die Etik dieses Mannes. Was ich mir aus dem Werke mag herausgelesen, was ich in dasselbe mag hineingelesen haben, davon wüßte ich keine Rechenschaft zu geben, genug, ich fand hier eine große und freie Aussicht über die sinnliche und sittliche Welt aufzutun 2c." Und im 16. Buch Th. 4. erzält der Dichter in ergözlicher Weise, wie er später abermals zu Spinoza hingetrieben wurde, und färt dann fort:„ Ich erinnerte mich noch gar wol, welche Beruhigung und Klarheit über mich gekommen, als ich einst die nachgelassenen Werke jenes merkwürdigen Mannes durchblättert. Diese Wirkung war mir noch ganz deutlich, one daß ich mich des Einzelnen hätte erinnern könen; ich eilte daher abermals zu den Werken, denen ich so viel schuldig geworden und dieselbe Friedensluft wehte mich wieder an. Ich ergab mich dieser Lektüre und glaubte, indem ich mich selbst schaute, die Welt niemals so deutlich erblickt zu haben u. s. f." Sehen wir uns ein wenig in goethes Werken um. Spinozistischen Pantheismus( um diesen in poetischer Hinsicht berechtigten Ausdruck zu gebrauchen) atmen die Worte Fausts über den Makrokosmos:
Wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem andern wirkt und lebt; Wie Himmelskräfte auf und niedersteigen Und sich die goldnen Eimer reichen! Mit segenduftenden Schwingen Vom Himmel durch die Erde dringen, Harmonisch all' das All durchklingen.
und die des Erdgeistes:
In Lebensfluten, im Tatensturm Wall' ich auf und ab,
Webe hin und her! Geburt und Grab, Ein ewiges Meer,