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Es war ja war, auch er hatte zuerst Jakob Barthold, als er wieder in's Dorf gekommen, mit Mißtrauen und einigem Unmut angesehen, auch er war sehr kalt und noch wortkarger, wie man's überhaupt an ihm gewohnt, gegen ihn gewesen. Konte er doch die bittere Stimmung, in die auch ihn die Folgen des Krieges versezt, nicht so schnell überwinden, mußte er doch immer wieder schmerzvoll den herben Verlust, den ihm dieser durch den Tod seines einzigen Sohnes zugefügt, empfinden, aber den wilden Fanatismus der meisten anderen Dorfbewohner, denselben Fana­tismus, der auch das Herz Helenens so sehr eingenommen, hatte er nie geteilt. Er war eine jener Naturen, die sich in jede Lage fügen lernen, wenn sie einsehen, daß nichts daran zu ändern. Helenens heißen Schmerz um den Bruder, den der Kampf in der Blütezeit seines Lebens hinweggerissen, wußte er zu ehren, es tat ihm wol, sie an dem Kummer, der sein eigenes Herz er= füllte, so tief teilnehmen zu sehen, und er verstand auch den be­sonderen Haß, der in ihrer Brust gegen die Feinde glüte. Wenn sie sich mit Friz Kolin, in welchem sie die gleiche Erbitterung fand, hätte verbinden wollen, so würde er nichts dagegen gehabt haben; war doch sein Vater vermögend und die Heirat darum nach landläufigem Ermessen eine vorteilhafte und günstige. In demselben Grade aber wie der Tod des Holzbauern und der Anteil, den jene an der Ursache desselben gehabt, ihn mit Abscheu gegen sie erfüllte, in dem gleichen Maße fühlte er sein ehrliches Herz sich in aufrichtigem Mitgefühl Jakob Barthold zuwenden, und er war schon lange völlig mit ihm ausgesöhnt, bevor der heiße Drang ihres Empfindens Helene'n denselben Weg gezeigt. Und wenn der Meister nun seine Tochter zum Weibe begehrte, und wenn diese ihn plözlich liebte, so war ihm dies gewiß nur gerade recht. Soviel er Jakob Barthold kante und ihn besonders in der lezten Zeit beobachtet hatte, fonte er sich keinen bravern, fleißigeren Eidam wünschen, als ihn. Und besaß er nicht jezt auch die Schmiede und noch manches dazu, was in gutem Ver­hältnis zu der Mitgift, die seiner Tochter zufiel, stand,- war nicht also diese Heirat auch in jenem, zumeist den Ausschlag gebenden Sinne eine vorteilhafte zu nennen?

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So sprach denn der Traubenwirt mit Freuden seinen Segen über die Beiden. Daß das der Holzbauer nicht mit erlebt! dachte Jakob Barthold gerührt bei sich selbst, wie Helenens Vater mit ernstem Gesicht ihre Hände ineinanderlegte und ihm sein Mädchen selig in die Augen nickte.

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Und an einem der Fenster in der Wohnstube des Meisters stand in blank geschliffenem Glase ein üppiges Zweiglein rot­blühenden Flieders und ein zierlicher Strauß klarblauer Vergiß­meinnicht daneben; der Schmied hatte sie selbst in's Wasser ge­stellt, und die gute Marie war nicht wenig erstaunt, wie sein erster Gang am andern Morgen in der Frühe nach dem Fenster war, wie er die Blumen sorglich herausnahm und ihnen am Brunnen frische Nässe gab, dann sah er so still beglückt auf sie nieder, lange, lange, und sie mußte ihn zweimal bitten, daß er, vom Fenster zurücktretend, an den Tisch kam, drauf der Morgen kaffee dampfte. Sie hatte ihm ja so oft schon Blumen ans Fenster und auf den Tisch gestellt und zulezt einen großen Strauß von Maiblumen, schlanker, lichter Maiblumen mit einer grünen Ein­fassung frischer, glänzender Blätter, und er hatte nie danach hin­gesehen, wie sie es erwartet, sondern war immer gleichgiltig daran vorübergegangen, ach, jede Freude, die sie ihm zu bereiten dachte, wurde von ihm verschmät. So meinte sie wenigstens jezt, wie sie die Blumen betrachtete, die aus einer andern Hand ge kommen, als der ihren. Und wenn das ihr einziger Kummer an diesem Tage geblieben wäre!... Sie mußte an demselben auch die große Botschaft von des Meisters Verlobung hören, freilich glaubte sie zuerst nicht daran, so unmöglich dünkte ihr ein solches Geschehnis; aber es gab ihr doch einen heftigen Stich durch's Herz und sie hatte sich fragen müssen, wie sie's tragen wollte, wenn sie's für Warheit hielt, was man ihr gesagt.

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Schon in den nächsten Tagen freilich blieb ihr kein Zweifel mehr übrig. Die Hochzeit wurde rasch vorbereitet, und es war ein gar festlicher Tag im Dorfe, als man sie hielt: im Augusttag.

Die Eltern des Meisters hatten aus dem Schwarzwald dazu herüberkommen müssen, und die alten Leute waren froh verwun dert, überall anheimelnd deutsches Wesen zu finden; von den

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weißgetünchten schwäbischen Häusern und der ihrer eigenen ver­wanten Tracht an, bis auf die Sprechweise der Bewohner, aus deren Munde ihnen die trauten allemannischen Laute der Heimat entgegenklangen, und selbst aus den offenen Fenstern der Dorfschule heraus hörten sie, wie drinnen die Kinder in deutscher Zunge buchstabirten und dem Lehrer ihre Antwort gaben. Sie hatten sich das alles ganz anders gedacht, da der Sohn bei Heimkunft aus dem Dorfe, am Beginn des Kriegs, ihnen gesagt, daß drüben" alles wälsch" und" französisch" sei. Nun fanden sie auch die meisten der Bewohner, mit denen sie zusammen­kamen, gar herzig und liebenswert; und in der Tat war im ganzen die Stimmung unter denselben Jakob Barthold gegenüber wärend der lezten Monate viel günstiger geworden, denn das gerechte Geschick, welches die beiden Kolin ereilt,- sie waren zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt hatte die erbittertsten seiner Widersacher verstummen oder doch zurückhaltender werden Tassen und viele andere, die ihm nun mit einemmale so lange Unrecht getan zu haben glaubten, auf des Meisters Seite ge­bracht. Sah man doch in dem, was sich in der jüngsten Zeit alles ereignet, gleichsam eine durch höhern Willen herbeigefürte Wendung, bestimmt, den waren Menschenwert der zunächst dabei Beteiligten zu zeigen Beteiligten zu zeigen und da mußte auch das allgemeine Urteil notwendig in demselben Grade zu Gunsten des stillen, fleißigen, unschuldig verdamten Schmiedes umgestimt werden, wie man in einem großen Teile der Dorfbewohner jezt über die beiden Mörder, und zumal der alte Kolin war ja schon von jeher manchem, der sich vor seinem im Orte erlangten gewichtigen An­sehen nur widerwillig duckte, im Stillen verhaßt gewesen, wärend der auf so schmähliche Weise ums Leben gebrachte Holzbauer sich fast allgemeiner Beliebtheit erfreut hatte one Scheu und one Furcht den Stab brach, und dies um so unbedenklicher und entschiedener, als man ja nun auch das unsaubere Mittel, das ihnen zu so schnellem Wolstand verholfen, kante.

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Das war ein stattlicher Hochzeitszug, welcher dem jungen Pare zur Kirche folgte. Auch Helene hatte sich aus Anlaß dieser Feier ländliche Festgewandung herrichten lassen und allen Braut­schmuck, den der Familienschaz von ihrer Mutter, Großmutter und von länger her barg, angelegt; sie war bestrickend schön in all' dem glänzenden Geschmeid und buntem Tücherschmuck, und auch Jakob Barthold nam sich in der roten Weste, dem steifen, hohen Halskragen, dem langen, mit blanken Knöpfen gezierten Rocke und dem breiten schwäbischen Hute, den er heute auf dem Haupte trug, sehr vornem und achtungheischend aus. Unter der großen Linde neben der Kirche hatten sich die Bläser und Streicher aufgestellt, die mit Würde einen heiter tönenden Marsch bliesen; zur Seite standen größere und kleinere Bursche, das Brautpar mit knatternden Ehrensalven begrüßend, und Meister Barthold mußte seinen Hut schier fort und fort über dem Haupte halten, um mit seligem Lächeln auf dem ganzen Gesicht hier hinüber und da hinüber den Kopf neigend für all die ihm und seiner Braut erwiesene Aufmerksamkeit zu danken. Und die leztere wußte kaum noch, wie sie alle die großen und kleinen Sträuße, mit denen man sich von allen Seiten an sie herandrängte, be wältigen sollte; auch ihr Antliz glüte und stralte vor Glück und Freude. Wie die Kirchtür, so war auch das Innere des Gottes­hauses mit frischen Kränzen und Guirlanden reich geschmückt, und als die beiden in all dem Duft und festlichem Gewoge zum Altar schritten, wie die Mütter ihre Kinder emporhoben, um ihnen das schöne Par zu zeigen, und wie dieses endlich an den Stufen des lezteren niederkniete und der Priester unter feierlichem Wort die Hände auf beider Häupter legte, da kam es wol manche junge, blühende Dirn' süß und wundersam und selig bange an, wie die mit dem Hochzeitskranz geschmückte jungfräuliche Braut selber, daß sie sich still und heimlich vornam, ehestens nach St. Ottilien hinunter zu faren und das Wagnis, dessen Ueber­stehung die Hochzeit binnen eines Jares verbürgt, zu versuchen: das Wagsnis nämlich, neunmal den schmalen gefärlichen Pfad hinauf und hinunter zu schreiten, welcher dorten zu der auf dem äußersten Rande des Felsensprungs gelegenen Engelkapelle hin. fürt.... fürt....

( Schluß folgt.)

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