Heinrich v. Kleift.( Schluß.) Das erquickende Leben auf dieser einsamen Insel dauerte jedoch nur zwei Monate; schon im Juni erkrankte Kleist und mußte diesen Aufenthaltsort verlassen. Schließlich kam seine Lieblingsschwester, pflegte ihn und nam ihn im Herbst mit nach Deutsch­ land  . Auf dieser Reise besuchte er Schiller in Jena  , Goethe in Weimar  und weilte dann längere Zeit bei Wieland in Osmannstedt, dort förmlich als ein Glied der Familie betrachtet und behandelt.

Schiller   empfing Kleist sehr freundlich; Goethe konte sich mit ihm jedoch nicht befreunden: Mir erregte Kleist  , bei dem reinsten Vorsaz einer aufrichtigen Teilname nur Schauder und Abscheu, wie ein von der Natur schön intentionirter Körper, der von einer unheilbaren Krank­heit ergriffen wäre" So schrieb der weimarer Altmeister deutscher  Kunst gelegentlich einer Besprechung der tieckschen ,, Dramaturgischen Blätter" noch nachträglich über den Dichter des ,, Zerbrochenen Krugs". Dieses Stück hatte er als Direktor des weimarer Teaters auch ver­stümmelt aufgefürt, die Penthesilea  " gänzlich verworfen das alles und dann noch der heiße, sehnsüchtige Wunsch Kleists  , Goethe und Schiller zu überflügeln, veranlaßte schließlich offene Feindschaft zwischen beiden ersteren, wenigstens machte Kleist, der sich, wenn auch nicht ganz mit Grund, beleidigt fülte, in stachlichen Epigrammen gegen Weimar   und Goethe seinem Herzen Luft.

Wieland, an den er von dessen Sohn aufs Wärmste empfolen war, hatte ihm dagegen nicht nur, als er erfur, in welch materiell be­drängter Lage er sich in Weimar   befand, in der freundschaftlichsten Weise seine Gastfreundschaft angeboten, er ermunterte ihn auch zum poetischen Schaffen. Lezteres gelang ihm zwar erst dann, als er mit Mühe und Not, von dem betreffs seines poetischen Tuns sehr schweig­samen Kleist erfaren, daß er mit der Abfassung eines Dramas, den Guiskard" beschäftigt sei, von dessen einzelnen Bruchstücken, die lezterer seinem alten Gastgeber aus dem Gedächtnis vortrug, Wieland aller­dings begeistert war. Außer der Teilname und der Freundschaft, die man ihm in dieser Familie entgegenbrachte, wurde ihm das Bleiben bei diesen braven Leuten wol um ein Bedeutendes angenemer durch die Zuneigung, welche er für die schöne Tochter des Hauses hatte und die auch Erwiderung gefunden. Er hoffte wieder einmal eine zeitlang mit seiner Familie auf eine glückliche Wendung seines Geschicks, aber trozdem trieb ihn die innere Unruhe, die Jagd nach seinem Jdeal, auch hier wieder nach kurzer Zeit fort, zunächst nach Leipzig  , von dort nach Dresden  . Und er ließ die osmannstedter Freunde nicht allein one jede Nachricht, er war auch später nicht mehr zu bewegen, den an ihn ergangenen Einladungen Folge zu leisten.

Wenn die Geister des Aeschylos  , Sophokles   und Shakespeares sich vereinigten, eine Tragödie zu schaffen, sie würde das sein, was Kleists  Tod Guiskards des Normannen, sofern das Ganze demjenigen entspräche, was er mich damals hören ließ," schrieb Wieland am 10. April 1804 über das mehrerwänte große Drama und der Dichter desselben hätte mit diesem Urteil zufrieden sein können. Jeden andern hätte es auch zum neuen ausdauernden Schaffen ermutigt und angespornt, nur Kleist nicht. Dieser hatte die krankhafte Idee, ein ihm wol auch nur dunkel vor­schwebendes Ideal zur Wirklichkeit zu gestalten und ging daran zu­grunde. Hätte er sich wie andere mit dem Kleinen begnügt und seinem bedrängten Innern durch Produktionen, die er zu schaffen die Kraft hatte, Luft und Erleichterung geschaffen, so wäre alles gut geworden und er wol am Ende auch mit seinem Lieblingswerke zustande gekommen. So aber kam bei seinem eigenwilligen Vorhaben seine lebhafte Phan­tasie, wie sein gereifter Geist mit seinen praktischen Erfarungen, d. h. mit seinem hierzu mangelhaften Können in Konflikt die Ausfürung ver­mochte dem fühnen Fluge der Phantasie nicht zu folgen, und daran scheiterte sein geträumter dichterischer Beruf. Zweimal hatte er den Robert Guiskard  " bereits vernichtet, aber nimmer ließ ihm sein Ehr­geiz Ruhe, immer wieder begann er daran seine Arbeit, forthezte es ihn von Ort zu Ort, um die Ruhe, die Muse zu finden, deren freundliche Hilfe zur Gestaltung seines Wertes ihm so nötig war. Dieses Werk ward ihm zur fixen Idee und sterben wollte er nach seiner Vollendung. Aber als ihm dann ein Versuch nach dem anderen mißglückte, ward er irre an sich und seine Kräfte verzehrten sich mit der zunemenden Verzweiß lung und er ging seiner völligen Auflösung mit sicheren Schritten entgegen. In Dresden   war sein Zustand wirklich bedenklich und einer seiner besten Freunde, Pfuel, bewog ihn zu einer Reise, die er in seiner Gesellschaft nach der Schweiz   machen sollte. Die Abwechslung, die Natur, so hoffte der uneigennüzige Freund, würden in Gemeinschaft mit seinem Einfluß schon das ihrige tun und dem krankenden Gemüt Kleiſts  , Gesundheit und Liebe zum Schaffen bringen. Sie gingen meist zu Fuß, zunächst nach der Schweiz  , wo Kleist   in Bern   und Thun   der glücklichen Stunden seiner Muse gedachte und auch kurze Ruhe und Lust zur Arbeit fand, Bon da gingen sie durch die Täler der Schweiz  bis nach Mailand  , wo aber Kleist von solcher Scheu vor den Menschen ergriffen wurde, daß er nicht einmal einen alten guten Freund auf­suchte. Nachdem die Reisenden nach Bern   und Thun   zurückgekehrt waren, gingen sie durch das Waadtland nach Genf  . Wie ein Brif vom

bruch. Er sah ein, daß seine Sträfte zur Verwirklichung seines Ideals unzulänglich waren, und verzichtete für immer auf den lange und heiß erfehnten Ruhm. Sie reisten von Genf   über Lyon   nach Paris  , in ſeiner

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anders, als er habe sich in die Seine gestürzt und suchte ihn unter den aufgefundenen Toten. Mit dem festen Willen jedoch, sich als gemeiner Soldat anwerben zu lassen, war dieser weiter und weiter gegangen und wurde durch einen zufällig getroffenen Bekanten auf die Lebens­gefar aufmerksam gemacht, in welche derjenige damals geriet, der one Paß in Frankreich   zu reisen wagte. Er erhielt dann einen Paß von preußischen Gesanten ausgestellt, der aber direkt nach Potsdam   lautete.

Auf der Rückreise wurde er jedoch in Mainz   von einer gefärlichen Krankheit befallen, aus der er nur durch die liebevolle Pflege seines Arztes gerettet wurde. Sechs Monate lang erfur keiner seiner Ange­hörigen und Freunde eine Silbe von ihm über sein Befinden und seinen Aufenthalt und er soll in dieser Zeit sogar die ernste Absicht gehabt haben, sich in Koblenz   bei einem Schreiner zu verdingen. Im Juni 1804 stand er eines Abends plözlich vor Pfuel, der von Paris   zu seinem Regiment nach Potsdam   zurückge ehrt war, und bei dem Er­scheinen des verschollen geglaubten bereits im Bett lag. Kleist, der völlig geknickt war, gab, willenlos wie ein Kind, dem Verlangen der herbeigeeilten Schwester nach und versprach das Dichten zu lassen und nun in den Staatsdienst zu treten. Er bedauerte zwar bald, der Schwester nachgegeben zu haben, hielt jedoch Wort und bereitete sich zu einer Stellung vor. Nachdem sich verschiedene Projekte zerschlagen und er gelegentlich seiner Gesuche beim Hofe manche Demütigung er­faren, und er außerdem in Berlin   die Bekantschaft Varnhagens, Chamissos, Fouques und anderer gemacht, trat er die Stellung eines Diätars der Domainenkammer in Königsberg   an. Dort fand er we­nigstens Pfuel, der gleichfalls in Ostpreußen   Stellung genommen ha te und auch seine frühere, von uns erwähnte Braut, die dort verheiratet war. Durch Vermittlung eines Verwanten bekam er in dieser Zeit von der Königin Luise   eine Pension. Aber auch das Bedürfnis zum Dichten erwachte wieder in ihm. Er schrieb neben kleineren Gedichten die Novelle: Die Marquise von D....", übersezte und bearbeitete den ,, Amphitryon" des Moliere, vollendete den Berbrochenen Krug" und legte wol auch schon den Grund zur Penthefilea" und zum ,, Michael Kohlhaas  ".

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Er konte es jedoch nicht auf die Dauer überwinden, unter Vorge­jezten zu arbeiten, die geistig tief unter ihm standen und so nam er 1806 seinen Abschied und ging im Januar 1807 nach Berlin  . Hier wurde er aber von den Franzosen verhaftet und nach dem Schlosse Jour bei Pontarlier   als Gefangener gebracht. Dort war er vom 5. März an internirt, später in Chalons  , von wo aus er im Juli Unter entlassen wurde. Ueber Berlin   ging er nun nach Dresden  . anderen machte er hier die Bekantschaft mit Körner, dem Vater des Dichters, später auch die des L. Tieck und mit Adam Müller  , der ihn für seine frömmelnden Zwecke benüzen wollte und mit dem er auch die Zeitschrift Phöbus" herausgab. In dieser Zeitschrift veröffentlichte Kleist mehrere seiner bereits früher begonnenen Arbeiten, schrieb neue dafür, wie u. a. auch das Stück des Guiskard", das auf uns gekommen ist. Sein Vermögen war aufgezehrt und so lebte er von dem Gelde, das er sich als Schriftsteller verdiente.

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Ein Liebesverhältnis zu einem Mädchen, das er aber durch seinen Eigensinn auflöſte, gab ihm die Veranlassung zu seinem Kätchen von Heilbronn"; außerdem vollendete er die Penthesilea  ", auf die er große Stüde   hielt, warscheinlich, weil er darin seine Herzensstürme dargestellt. Schon in Königsberg   hatte er die Niederlagen seines Vaterlandes vorausgesagt, jezt, wo der Unabhängigkeitstrieb und die Opposition gegen Bonaparte allmälich erwachte, gehörte sein Denken und Fülen ganz der Befreiung seines Volfes. Diese Empfindung mag ihn auch veranlaßt haben, nach Desterreich zu gehen, wenigstens hoffte er von dort die Errettung und wollte durch eine patriotische Zeitschrift ,,, Ger­ mania  ", die er in Prag   herauszugeben beabsichtigte, sein möglichstes tun. Später ging er nach Berlin   und dichtete dort seine ,, Hermanns­ schlacht  " und den Prinz von Homburg  ". Jezt atmete seine Poesie, namentlich das erstgenaute Stück und die vollendete Novelle vom Kohlhaas  " nur Rache gegen den fremden Usurpator, den er sogar durch ein Attentat beseitigen wollte meist ist jedoch diese Stimmung nicht zu Gunsten des Kunstwerks, doch kann dies hier nicht untersucht werden. Mit dem Ungestüm, das ihn sein Leben lang beherschte, hatte er auch wieder seine patriotischen Arbeiten begonnen und das Alles oder nichts", das früher immer sein Grundsaz gewesen, kam auch hier bei ihm wieder zur Geltung. Die Nichterfolge, die er auch wieder mit man fürchtete die ,, Hermanns­seinen vaterländischen Werken hatte schlacht" wegen ihres freisinuigen Geistes aufzufüren! dann wol auch seine miserable materielle Lage raubten ihm vollends jeden Halt. Er gab in Berlin   die ,, Abendblätter" heraus, jedenfalls um sich sein Dasein zu fristen, aber der Streit, den er mit v. Raumer wegen Subvention seiner Zeitschrift hatte, zeigt uns, daß er seine Selbstän­digkeit vollends eingebüßt, wenigstens spürt man in seinem Betragen nicht die Spur mehr von dem Kleist, der die Armee verläßt und sich gegen eine Stellung im Staatsdienst sträubt. Zu seinem Unglück lernte er noch ein mit Selbstmordgedanken umgehendes Menschenkind kennen und damit war sein Untergang besiegelt.

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Mit Selbstmordgedanken war er schon oft umgegangen, namentlich aber seitdem er an sich und seinem Dichterberuf verzweifelt. Verschie­dene seiner Freunde hatte er aufgefordert, sich in Gemeinschaft mit ihm das Leben zu nemen, keiner hatte ihm diesen Freundschaftsdienst er­

Papiere und entfloh one Baß aus Paris  . Der Freund dachte nicht wiesen, ihn im Gegenteil immer wieder zur Bernunft zurück gebracht