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Die Religion der Vergangenheit und der Zukunft.

Von Dr. A. Israel.

11. Kapitel. Heidnisches und Christliches in Goethe . Ein weiterer damit zusammenhängender Zug der Goetheschen Muse ist die gesunde, feigenblattlose Sinnlichkeit, wie sie sich z. B. mit klassischer Bracht in den römischen Elegien offenbart. Man fönte geneigt sein, diesen Zug mit der spinozistischen Etik unvereinbar zu finden. Mit Unrecht; denn die spinozistische Etik predigt keines wegs die Verachtung der Sinnenlust; sie lehrt blos die Herr schaft der Vernunft über die Affekte, die Zügelung der Sinnlich keit, daß sie nicht ausarte und die Glückseligkeit gefärde. Die Entsagung, welche der Spinozismus fordert, ist nicht die ab­solute Abkehr von den sinnlichen Freuden, es ist nicht die welt­feindliche schopenhauersche Abstinenz, sondern die sokratische Frei­heit und Unabhängigkeit des Geistes von der Despotie der Sinn­lichkeit, die des Sokrates Schüler, der Cyrenaiker Aristipp , treffend mit dem weisen Boumot kennzeichnete: ich habe, aber ich werde nicht gehabt." Wer aber aus dem Leben des Philosophen, das ein Muster von Mäßigkeit in Lebensgenuß war, den Schluß ziehen wollte, daß sich Sinnenfreude mit dem Spinozismus nicht verträgt, den wollen wir auf folgende Stelle der Etif verweisen: " Der Weise genießt daher die Dinge und erfreut sich an ihnen soviel als möglich( nicht zwar bis zum Ekel, denn das heißt nicht sich erfreuen.) Der Weise, sage ich, erfrischt sich an mäßiger und angenehmer Speise und Trank, sowie an Geruch und Lieb­lichkeit der Pflanzen, an Kleiderschmuck, Musik, Fechterspielen, Teater und andern dergleichen, welche jeder one irgend eines andern Schaden haben kann."( Nach Auerbachs Uebersezung.) Warlich, nur ein düsterer und trübseliger Aberglaube verbietet, sich zu erfreuen."

Goethes Leben zeigt am schönsten, wie man Sinnlichkeit mit Sittlichkeit harmonisch vereinigen, ja die Vollkommenheit des Geistes durch die leiblichen Freuden fördern, die Flamme des Genius mit sinnlichen Libationen nähren kann.

Diese sinnenfreundliche, genußfreudige Seite der Goethe'schen Dichtung ist vorzugsweise das, was man das Antike oder Heid­nische an derselben genant hat. In der Tat hebt sich die antike Richtung dadurch ganz besonders vorteilhaft von der mittelalter­lichen ab, daß sie das Fleisch nicht perhorrescirte, sondern in der Sinnlichkeit ebensosehr die Bestimmung des Menschen erblickte, wie in der geistigen Veredlung; wenn sie ihr auch mitunter zu großen Spielraum einräumte. Darum ist auch der antiken Sinn lichkeit die Frivolität fremd, welche erst mit der Zwietracht, die eine spätere Zeit zwischen ihr und der Sittlichkeit stiftete, sich ihr an die Ferse heftete. Die antike Sinnlichkeit ist unbefangen naiv, feusch, ja heilig( bildete sie doch da und dort einen Teil des Götterkultus). Aus diesem Grunde kante die antike Richtung auch nicht jene sittlich sein sollende Schen vor dem Nackten, welche in späteren Zeiten den Sinn für die Schönheit des Menschen­leibes, die herlichste ästetische Manifestation des Universums, ab­gestumpft hat und den Rytmus der Glieder, den Schmelz der Haut ängstlich zu verhüllen gebot*), so daß Goethe in seiner Schweizerreise mit Recht sich beklagt: Wie! sagte ich zu mir selbst, in welchem besonderen Falle finden wir uns, wir bürger­lich eingeschränkten Menschen? Ein bemoster Fels, ein Wasserfall hält meinen Blick so lange gefesselt, ich fann ihn auswendig; seine Höhen und Tiefen, seine Lichter und Schatten, seine Farben, Halbfarben und Widerscheine, alles stellt sich mir im Geiste dar, 10 oft ich nur will, alles tomt mir aus einer glücklichen Nach­bildung ebenso lebhaft wieder entgegen; und vom Meisterstücke der Natur, vom menschlichen Körper, von dem Zusammenhang, der Zusammenstimmung seines Gliederbaues, habe ich nur einen allgemeinen Begriff, der eigentlich gar kein Begriff ist. Meine Einbildungskraft stellt mir diesen herlichen Bau nicht lebhaft vor, und wenn mir ihn die Kunst darbietet, bin ich nicht imstande,

Es ist seltsam, daß ein hervorragender Aestetiker der Gegen wart, der keineswegs unter dem Einfluß kirchlicher Anschauungen steht, mit fomischer Rigorosität gegen die harmlosen Entblößungen auf Bällen und ähnlichen Festen eifert( S. F. T. Vischer , Mode und Cynismus). Also soll dem Auge gegönt sein!

( 3. Fortsezung.)

weder etwas dabei zu fülen, noch das Bild zu beurteilen."( Brife aus der Schweiz , 1. Abteilung*).

Mit den antifen Elementen mischen sich aber in Goethe's Dichtungen diejenigen, womit die christliche( beziehungsweise jüdisch­christliche) Bildung die Weltkultur bereichert hat, das gute Korn in seiner Strohmasse: die aus- und durchgebildete, gefülsinnige ſittliche Gesinnung und Empfindung, insbesondere die universelle Humanität, das zarte Gewissen, die Würdigung des Weibes, der versöhnliche und milde Sinn gegen den Widersacher, die Hoch­schäzung der Arbeit, die Kraft der Entsagung und Resignation, die mit Seelenruhe, ja mit Heiterkeit den Umständen oder dem Sittengesez sich beugt, namentlich auch die möglichste Unabhängig­feit von äußerlichen Glücksgütern und das Ausfüllen des Daseins mit Idealem. Das liebliche Antlig der goethe'schen Muse wird besonders in der Iphigenie von der zartesten sittlichen Reinheit und Hoheit verklärt; aber nicht nur in diesem aus antiken und modernen Goldfäden gewobenem Drama, sondern überall ver­bindet sie höchsten sittlichen Ernst und Adel mit edler Grazie, auch in den Wahlverwantschaften", die nur Beschränktheit un­**). sittlich finden kann** Grade diese Verbindung des Heidnischen mit dem Christlichen auf dem neuen Fundament monistischer Weltanschauung macht das Wesen der modernen Kultur aus, und deshalb ist Goethe, der diese geschichtlich getrenten Elemente so anmutig zu verschmelzen und in Einklang zu bringen wußte, der poetische Leitstern des Zeit­alters geworden und wird es in Zukunft noch mehr sein als bisher***).

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*) Die Zucht verlangt, daß das Tierische beschränkt werde; die sinnliche Leidenschaft muß durch Vernunft gebändigt erscheinen; sie wird veredelt. Ein strengeres Verhältnis pflegt diese Reflexion zu begleiten. Wo aber die ware Veredlung eingetreten ist, wo die Sinnlichkeit in jeder Beziehung schön erscheint, natürlich ist und doch geistig geläutert, geistig und doch natürlich, da gibt es keine Scham im gewönlichen Sinne, die Verhüllungen braucht, um nicht den Eindruck der Sinnlich­keit oder die unwillige Abwehr gegen dieselbe zu erwecken. Da ist Nacktheit keuscher als ein Bersteden, das mehr darauf hinweist, daß etwas verborgen ist, als das Verborgene vergessen läßt.( Lemcke, Aeſthetik III, 6.)

**) Eine Seite der goethe'schen Poesie ist meines Wissens bisher

nicht beachtet worden, ich meine die Tierfreundlichkeit derselben. Mehrere

tierfreundliche Züge begegnen uns im Faust. Welches Wolwollen gegen das Tier spricht aus den Worten, die Faust an den Pudel in seinem Studirzimmer richtet; welches Verwantschaftsgefül mit allen lebenden Wesen aus dem Monolog in Wald und höle, wo er die sämtlichen Geschöpfe seine Brüder im stillen Busch, in Luft und Wasser" nent Auch in der herlichen Ballade der Fischer" offenbart sich in dem ,, kühl bis ans Herz hinan" und in den Worten der Nymphe: Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist so wolig auf dem Grund" eine innige Gefüls­regung. So findet sich auch im Westöstlichen Divan der schöne Bers: Als ich einmal eine Spinne erschlagen, Dacht' ich, ob ich das wol gesollt? Hat Gott ihr doch wie mir gewollt Einen Anteil an diesen Tagen.

So auch in dem Vers:

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Der Schöpfer sprach: Es sei! Es werde! Und rings lebendig ward die Erde Voll reifer Frucht: du nenst dich Kern, Betracht'st das Tier als Schale gern. Allein erinn're dich daran

Was darauf sagt ein weiser Mann: ,, Natur hat weder Kern noch Schale, Alles ist sie mit einemmale."

Drum achte die Schale auch nicht gering,

Denn alles ist ja ein göttlich Ding.

***) Wir bemerken, daß wir damit keineswegs der Größe und Be­deutung Schillers irgendwie zu nahe treten wollen. Steht derselbe auch Goethe in dem einen nach, so ist er ihm doch wieder in dem andern

fongenial und die Dichtungen Goethe's finden in den Schiller'schen ihre Ergänzung. Schön und war sagt D. Strauß ( der alte und der neue Glaube. Erste Zugabe. Nr. 91): Jezt sind wir ihm( Goethe) schon so ferne gerückt( zeitlich), daß wir bestimt ermessen können, wie selbst der ansehnlichste Gipfel neben ihm, nämlich Schiller, troz seiner an sich beträchtlichen Höhe, die seinige bei weitem nicht erreicht. Er tritt uns jezt entgegen als das Urgebirg, das unsern Horizont beherscht und durch die ihm entströmenden Quellen und Bäche weithin unsere Fluren tränkt."

1882.