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Wir halten vielmehr die auf dem Boden der Wirklichkeit sich bewegende Historie für weit wirkungsvoller. Auch halten wir solche Erzälungen für eindrucksfähiger, die wirklich historisch sind oder doch an anziehende historische Personen und Fakta sich anlehnen.
Eine unfehlbare Panacée aber ist die Tätigkeit, die Arbeit. Wie ohne sie kein wares Glück bestehen kann, wie sie das Sal; des Lebens ist und es vor Fäulnis schüzt, das Glück bewart, daß es nicht schal und abgestanden wird, das Schiff des Lebens als nüzlicher Ballast im Gleichgewicht hält, daß es nicht ein Spiel der Wellen und Winde, ein Raub gefärlicher Affekte wird, welche aus der Brust des Glücklichen aufsteigen, so ist sie die beste Medizin für alle Leiden der Seele. Das schlimme Geschick mag noch so grimmig toben, ihn, der einer edlen Tätigkeiten dürften sich z. B. populäre und anziehend abgefaßte Lebensfeit mit Fleiß, Ernst und Eifer obliegt, wird es nicht brechen, nicht beugen fönnen.
Tätig will ich sein und handeln, sonst verzehrt Verzweiflung mich singt Tennyson und Jean Paul sagt mit Recht:„ Ernste Tätigfeit söhnt zulegt immer mit dem Leben aus."
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Dritter Abschnitt.
Der Monismus als Volksreligion.
23. Kapitel. Poesie und Kunst die Vermittler der Ideen. Baumaterial allein ist noch kein Tempel, und eine Weltanschauung ist noch keine Religion. Will sie zur solchen werden, will sie zur Pulsader des individuellen und sozialen Lebens sich erweitern, so muß sie nach allen Richtungen ausgearbeitet und durchgebildet werden. Sie muß von geschickter Hand schematisch geordnet, prägnant und doch lichtvoll, mit populärer Faßlichkeit formulirt und in ihren vielfachen Beziehungen auf die einzelnen Lebensverhältnisse beleuchtet werden. Aber auch dann noch wird sie des poetischen Ausdrucks bedürfen; denn
Nur durch das Morgentor des Schönen Dringst du in der Erkentnis Land.
oder mit Goethe zu sprechen
Gott sante seinen rohen Kindern
Gesez und Ordnung, Wissenschaft und Kunst, Begabte die mit aller Himmelsgunst,
Der Erde grasses Loos zu mindern.
Sie tamen nackt vom Himmel an Und wußten sich nicht zu benehmen; Die Poesie zog ihnen Kleider an Und keine hatte sich zu schämen.
( Schiller.)
„ Nur der Gedanke, der in poetischer Gewandung erscheint, und die einfache, leicht faßliche Sprache des Volkes spricht, kann die Massen anziehen." Diese poetische Behandlung wird eine mehrfache sein müssen. Die Ideen werden zunächst nach didaktischer und lyrischer Darstellung drängen. Unter ersteren verstehen wir ihre Darstellung in fuapp geschürzten Gnomen, mit epigrammatischem Lakonismus, welcher die Pointen scharf hervortreten läßt; unter dem andern ihre Behandlung in sangbaren, zur Komposition sich eignenden Liedern im leichten Volkston sowol wie in der höher stilisirten Kunstlyrik. Anderseits aber und noch mehr bedürfen sie der epischen Einkleidung. Der abstrakte Gedanke will in Personen und Vorgängen sich inkarniren, in typischen Gestalten sich veranschaulichen.
Richtig sagt E. Geibel:
Willst du den Unsinn überwinden,
Lern ein Symbol der Warheit finden. Die Welt wird nie das Abgeschmackie Aufgeben für das blos Abstrafte.
Sämtliche Religionen verdanken ihre Ausbreitung weit mehr ihrer Mytologie und Sagengeschichte als ihren Lehren, und mit den Fasern jener wurzeln sie im Herzen des Volkes*). Damit boten auch die Religionen der bildenden Kunst reichlichen Stoff, welche leztere wiederum das Kapital mit reichlichen Zinsen vergilt, indem sie ihrerseits nicht wenig dazu beitrug, die Völker für die Religion zu gewinnen.
Wir glauben indessen nicht, daß in den religiösen Geschichten das märchenhafte, phantastische Element erforderlich ist.
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*) In den neuen Blättern aus Süddeutschland, Jargang 1880, finden sich folgende sehr beherzigenswerte Säze aus den Schriften eines sehr kirchlich gesinten Autors( A. Vinet): Was ist in der Moral ein System? Ein wol zusammengefügtes Ensemble von Begriffen, dessen Busammenhang wol dem Geiste gefallen kann, das aber für sich selbst teine Eroberung an den Willen macht. Wer uns zu irgend einer Handlung bringen will, wer insbesondere unser ganzes Leben einer Regel unterwerfen will, muß zum voraus in unserer Seele eine ihren Geboten entsprechende Neigung vorfinden, oder sie darin schaffen. One einen solchen Einfürer wird niemals ein System von Geist in die Seele dringen. Uns unsere Pflichten lehren ist nichts, wenn man sie uns
Sollte nun die Literatur- und Kulturgeschichte nicht genügenden Stoff hierfür bieten? Wir meinen, daß dieselbe wicht weniger reich ist an geeignetem Material als die Mytologie und Sage der Kirche. Außer hervorragenden weltgeschichtlichen Persönlich
bilder eines Spinoza, eines Goethe und Schiller nach Lewes und Palleske, mit Ausscheidung alles kritischen und literarhistorischen Materials, hierfür ganz vortrefflich eignen. Das Leben der Heroen unserer Kultur und Literatur bietet warlich des Interessanten und Fesselnden ebensoviel dar, ist an edlen zur Nacheiferung anspornenden Zügen ebenso reich, als das der antiken und biblischen Heroen.
Man hört so manchmal darüber klagen, daß die moderne Kunst gegen die antike und mittelalterliche im Nachteil sei, weil es uns an geeigneten Sujets fehlt, in welchen die Zeitideale sich verkörpern und die zugleich allen Kreisen der Nation ehrwürdig und heilig sind. Diese Klage scheint uns nicht gerechtfertigt. Die Gallerie der Kultur und Literatur ist warlich nicht arm, und die Kunst dürfte nur ins volle Leben derselben hineingreifen, um hinlänglich Stoff für das zu finden, was die Gegenwart bewußt oder ahnungsvoll erfüllt und bewegt. Wie viele Ausbeute für die Kunst bieten nur die goethe'schen und schiller'schen Dramen, Balladen und Erzälungen! Bis jezt freilich stehen die breiten Volksmassen diesen Sujets noch mehr oder weniger fern; denn die Stätte, wo die unteren Klassen ideale Bildung empfangen, die Kirche, ist diesen Gegenständen noch verschlossen, dieselbe ist lediglich der Tummelplaz der biblischen Figuren und Sagen. Aber ist es nicht zugleich die Aufgabe der Kunst, für die neuen Götter, wenn ich so sagen darf, das Volk zu erobern, sie aus dem geschlossenen Kreis der Gebildeten in die weite Deffentlichfeit zu verpflanzen? Ich glaube nicht, daß der Demos in Athen einen sonderlichen religiösen Entusiasmus für Pallas Athene empfand, bevor Phidias das Partenon geschaffen hatte; erst durch dieses nationale Kunstwerk wurde die jungfräuliche Göttin vom Volk ins Herz geschlossen und dasselbe wird man vielleicht auch von den raphael'schen Madonnen behaupten dürfen. Die popu läre Literatur freilich wird der Kunst den Weg bahnen, beziehungsweise Hand in Hand mit ihr gehen müssen.
Der Monismus kann, wir sind dessen sest überzeugt, nicht blos zur Religion der Gebildeten, sondern auch mit der Zeit zur Volksreligion werden, wenn er einmal literarisch und poetisch in unserem Sinne ausgestattet sein wird*); wenn wir auch nicht verkennen, daß er erst dann zur Volksreligion werden kann, wenn die Volksbildung überhaupt bei verbesserten politischen und sozialen Zuständen sich beträchtlich gehoben haben wird.
24. Kapitel. Entwicklung aus den bestehenden Religionen. Katolizismus und Judentum.
Mit dem Vorstehenden wäre die Richtung angedeutet, in welcher diejenigen, die für die Ausbreitung des Monismus tätig zu sein bestrebt sind, vorzugsweise wirken sollten.
Es wäre indes, wie wir glauben, eine Täuschung, wenn man die Ausbreitung des Monismus zur Volksreligion von seiner literarischen und künstlerischen Ausbildung allein erwarten wollte. Logische und historische Gründe machen es warscheinlich, daß dieses Ziel erst allmälich auf dem Wege der Entwicklung aus den herschenden Religionen oder aus einer derselben erreicht werden fann; ein Prozeß, der dem Monismus onehin in vielen Beziehungen zu statten kommen wird.
nicht lieben lehrt. In der Moral wie in der Politik wird eine Nation nur durch Tatsachen erneuert. Man erwartet gegenwärtig alles von Teorien und das ist ein Fehler. Die Gesellschaft hat niemals auf dauerhafte Weise als eben nur zwei Antrieben gehorcht: der Notwendig. keit und der Neigung.... Wollt ihr, daß die Moral eine lebendige Kraft werde, verlangt sie vom Herzen selbst des Menschen, aber begint damit, diesem Herzen einen andern Grund zu liefern, um sich hinzugeben, als Abstraktionen und Syllogismen. Gebt der Seele eine Tatsache, die sie bewegt, die sie gefangen nimt und sie unterwirft. Das ist das Fundament der Moral.
*) Als einen in mancher Richtung gelungenen Versuch eines kurzeu Lehrbuchs der Vernunftreligion können wir das unter diesem Titel vor mehreren Jaren im Verlagsmagazin in Zürich erschienen von P. Am( Schluß folgt.) brosius bezeichnen.