Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

19,

1882.

Erscheint wöchentlich.

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Im Kampf wider alle.

Roman von Ferdinand Stiller.

Nachdem die Herren noch über manche andere ihnen am Herzen liegende Frage, die im öffentlichen Leben eine hervorragende Rolle spielte, ihre Meinung ausgetauscht hatten, kamen sie auch auf die vor der Tür stehende Reichstagswal zu sprechen. Der Domherr war voller Zuversicht auf einen großen Erfolg feiner Partei in ganz Deutschland . Der Konsistorialrat dagegen gab seinem Unbehagen über die fatale Stellung, in welcher sich die protestantische Geistlichkeit befinde, unverholenen Ausdruck.

" Unser Herz," sagte er, zieht uns an die Seite des kato­lischen Klerus. Wenn es irgendwo in der Welt natürliche Bundes­genossen gibt, so sind wir es. Leider ist nur zu offenem Bünd­nis die Zeit noch nicht gekommen."

Der Domherr lächelte.

" Freilich nicht. Würden keine Heeresfolge finden, die dereinst protestantischen Priester, welche tapfer genug wären, in den Schoß der römischen Kirche zurückzukehren. Könte auch ruhig fortbe­stehen, das Gebäude der evangelischen Kirche, verwaltet durch Geistliche, deren Herz," er lächelte wieder der Konsistorialrat bemerkte es und warf dazwischen: Façon de parler- sagen wir: deren Kopf!" Der Domherr nidte: Eh bien! beren Stopf also römisch katolisch ist, wärend ihr Ornat protestantisch geblieben ist. Wenn nur nicht die Nüchternheit des protestantischen Ritus wie die Einfachheit und Verständlichkeit der protestantischen Tra­ditionen die Macht der evangelischen Kirche über die Gemüter des Volkes schließlich ganz zunichte machen müßte. Augu­ ſtiner , als er sich unterfing, die Kirche zu reformiren, der gesamten christlichen Religion und nicht dem römischen Unwesen, wie er

meinte."

Der Konsistorialrat zuckte die Achseln.

Hat der

" Geschehne Dinge sind nicht ungeschehen zu machen. Ueber dies hat die Reformation der katolischen Stirche den unermeßlich großen Dienst erwiesen, sie aufzurütteln und zu zwingen, all' Menge in unlösliche Fesseln schlagenden Traditionen und in ihrem gemütsberauschenden Ceremonial geborgen liegt, zu entfesseln, und die

( 18. Jortsczung.)

in dessen Schatten und Schuz vielleicht schon über ein kleines alle zurückkehren werden, welche nicht alles verlieren wollen, was überhaupt Religion heißt."

Wird Ihre Partei in dem buchenfelser Walkreise einen eigenen Kandidaten aufstellen?" fragte der Domherr, indem er zu dem Tema zurückkehrte, dessen praktische Wichtigkeit ihn weit mehr fesselte, als die Zukunftsmusik der lezten Rede des Konsistorialrats.

,, Sie wissen, daß mein Rat entscheidet. Ich werde raten, was wir gemeinschaftlich für gut befinden. Sie sind über die Stimmung in jenem Walkreise weitaus besser unterrichtet als ich. Hat Ihr Kandidat Chancen?"

,, Unser Kandidat muß siegen, gleichviel ob er von vornherein Chancen hat oder nicht. Die katolische Bevölkerung ist, wie Sie wissen, in jenem Walbezirke ziemlich zalreich. Allein aber kann sie uns den Sieg umsoweniger sichern, als ein Teil aus Beamten besteht, die von der Regirung und aus Handwerkern und Ar­beitern, die vom Fürsten Waldkirch abhängen und der wie sie wissen, selber kandidirt. Hätte unsre Kandidatur im ersten Wal­gange nur einen Gegner, so wäre unsre Niederlage zweifellos, selbst wenn dieser eine Gegner der Kandidat der Arbeiterpartei wäre."

Der Arbeiterpartei?" fragte der Konsistorialrat. Sind die Arbeiter im Kreise Buchenfels wirklich verwegen genug, einen

eignen Kandidaten aufzustellen?"

" Sicherlich. Einen Schuhmacher, der sich seit einem Jare in

Buchenfels niedergelassen hat. Ein' Mensch, der sich als Hand­werksbursche und Agitator durch die halbe Kulturwelt geschlagen

und unterwegs allen Respekt vor geistlicher und weltlicher Her­schaft verloren hat. Und diese Kandidatur ist keineswegs die ungefärlichste. Alle Hungerleider im Bezirk sind ihre offnen oder heimlichen Gönner. Daß die Arbeiterpartei die Partei der Hung­rigen und die der Arbeitnehmer ist, daraus läßt sich ein respet­

tables Kapital schlagen. Der Bauer, der sich mit Brot und

Kartoffeln den Bauch füllt, zält sich mit Stolz zu den Satten,

der Handwerker, der Lehrlinge oder Gesellen für sich frohnen läßt, fült sich als Arbeitgeber und erträumt sich eine Fabrikantenzu­

kunft. Wenn man darum sagt, daß sie zu der reaktionären Masse gehören, welche die sozial- politisch radikalen Arbeiter befeinden, so schlagen sie an ihre Brust und danken dem Himmel, daß sie nicht sind, wie jene Zöllner. Das Kapitalisiren dieses Dünkels

zu vervollkommen. Wie der weltliche Despotismus nicht leben kann one Revolutionen, so kann die Religion nicht bestehen one Kezerei und Schisma. Nur aus dem Stampfe erblüt das Leben, Herr Bruder, seien wir darum dem gewaltigen Mönche von Witten­ berg dankbar- im Namen des römisch- katolischen Christentums, Kandidat im buchenfelser Kreise ist ein Jurist­

VII. Stuttgart , 4. Februar 1882.

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ist das Geschäft der Kapitalistenpartei der Liberalen. Deren ein Kreisgerichts­