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Die Religion der Vergangenheit und der Zukunft.
Von Dr. A. Israel.
Zu der bereits bezeichneten Aufgabe wird sich darum die weitere gesellen müssen, die Läuterung der bestehenden Religionen und ihre Fortentwicklung in einem der Wissenschaft und der modernen Weltanschauung freundlichen Sinne kräftigst zu fördern.
Die drei großen Religionen der zivilisirten Welt mit allen ihren Sektionen und Sekten( einige freireligiöse Vereine ausgenommen, die aber bis jezt keine sonderlichen Erfolge zu verzeich nen haben und deren Existenz nur auf den Schultern genialer und energischer Leiter zu beruhen scheint, so daß ihre fernere Lebensfähigkeit keineswegs gesichert ist): Judentum, Katolizismus und Protestantismus , beruhen ganz und gar auf supranaturaler Grundlage. Von diesen dreien steht der Katolizismus dem Monismus am fernsten, so daß die Umgestaltung desselben zur monistischen Religion selbst in fernen Zeiten wol in den Bereich der Unmöglichkeit verwiesen werden muß. Eher könte man diese Erwartung vom Judentum hegen, sofern es in seiner reformatori schen Partei das Prinzip der Fortentwicklung vollständig und nach allen Richtungen anerkennt und betont, daß es eine Religion der Humanität sein will. Allein, wollte man auch optimistisch genug sein, zu hoffen, daß das nur sehr wenige Anhänger zälende ausgesprochene Reformjudentum, das überdies erst im Werden begriffen ist, sich aus dem mosaisch- rabbinischen Ceremonialismus unter schweren Kämpfen erst ins Dasein zu ringen hat, seine mächtige Gegnerin, die Orthodoxie in ihren verschiedenen Schattirungen schließlich doch bewältigen wird; will man ferner auch von der Minorität der Angehörigen der jüdischen Konfession absehen, so bildet der Monoteismus das Fundament des ganzen jüdischen Religionssystems, dermaßen, daß eine allmäliche Umbildung desselben im Sinne des Monismus kaum denkbar ist. Zwar hat eine neuere Schrift mit Glück den Nachweis zu liefern gesucht, daß der Schwerpunkt der alttestamentlichen Literatur nicht eigentlich im Monoteismus als in der Anerkenntnis des Sittengesezes liegt*). Allein diese Abstraktion mag wol von dem einen und andern festgehalten werden, die Mehrheit der Laien und der Rabbiner wird jederzeit an dem Monoteismus, mit dem das etische Prinzip nun einmal in jener Literatur eng verwachsen scheint und der im historischen Judentum eine so bedeutende Rolle spielte und mit dem Nimbus des Märtyriums behaftet ist, als der einzigen unantastbaren Grundlage des Judentums, festhalten. Wenn man nebenher noch betrachtet, wie die Reform gegenwärtig noch mit den äußersien Vorposten des überkommenen Glaubens, 3. B. mit Speisegesezen, einen hartnäckigen Ringkampf auszufechten hat, so wird man sich der Hoffnung, daß eine so kühne Reform, wie sie die zitirte Schrist im Auge hat, in nicht allzuferner Zeit die Vorwerke und schließlich die Festung selbst einnehmen wird, entschlagen müssen.
25. Kapitel. Der Protestantismus .
Eine Religion, welche nicht blos den kirchlichen Formalismus bis auf ein Minimum ausgestoßen hat, sondern auch die dogmatischen Fesseln mehr und mehr abstreift, mit der Wissenschaft und dem Leben sich stets in Einklang zu sezen sucht und weiß und den Kern der Sittlichkeit und Humanität immer mehr ins Auge faßt, ist der Protestantismus.( Wir denken hier natürlich nicht an die muckerisch- pietistische Richtung.) Was sie nun ganz besonders dafür eignet, auch einer monistischen Weltanschauung in ihren Hallen Raum zu geben, ist gerade dasjenige Element, welches den Monoteisten am Christentum von jcher am anstößigsten war: die Gottessohnschaft. Das protestantische Christentum, indem es einen weisen und edlen Menschen, ein Intelligenz- und Karaktergenie, als Centrum und Träger seiner Religion hat, ist nicht ausschließlich an den supranaturalen Monoteismus gebun> den. Es wird, one sich seines Hauptfundaments entäußern zu müssen, mit einer monistischen Weltanschauung sich vertragen könneu. Ein protestantisches Christentum ist immer noch ein solches, wenn es Jesus den Menschensohn als Lehrer und Vorbild anertennt. Sehr zu statten der freieren Regung komt auch im Pro
( Schluß.)
testantismus der Umstand, daß den Hauptakt des Kultus nicht liturgische Formeln bilden, sondern die freie Nede des Geistlichen, welche dem Subjektivismus einen sehr freien Spielraum läßt. Die reiche aus dem alten und neuen Testament sich zusammen sezende religiöse Literatur bietet auch für die vom Supranatura lismus emanzipirten religiösen Ideen passende Anknüpfung und angemessenen poetischen Ausdruck und die religiösen Mythen und Sagen lassen sich one besondere Mühe rationell( was uns nicht gleichbedeutend mit rationalistisch ist) behandeln.
Eine kräftige liberale Ausbildung des Protestantismus wird daher dem Ziele, das wir im Auge haben, immer näher rücken. Die Kirche wird allmälich dahin gelangen, daß sie sich nicht mehr lediglich an das alt- und neutestamentliche Schrifttum anlehnt, sondern auch andere klassische Dichtungen und Schriften in ihrer Sphäre zuläßt und das Volk mit ihnen bekannt macht; ja sie wird vielleicht auch zuweilen populär- wissenschaftliche Vorträge mit Predigten abwechseln lassen. Das Gebet wird sich in seiner Fassung mehr und mehr als lyrischer Ausdruck der Empfindungen oder der Gesinnungen und Vorsäze kennzeichnen und die Lieder werden mit geringen Abänderungen ihres superstitiösen Amalgams entledigt werden fönnen. Die Kirchen werden alsdann die Stätten eruster Sammlung und idealistischer Volksbildung im schönsten Sinne des Wortes sein und ihre gotischen Formen werden keinen prinzipiell architektonischen Gegensaz mehr bilden zu dem heiteren Stil der Antike und der Renaissance*); beide werden zwei sich ergänzende und mit einander harmonirende Seiten des Menschendaseins ausdrücken. Die Religion, statt den Menschen für ein fabelhafies Dasein nach dem Tode würdig zu machen, wird ihn vielmehr im idealistischen Sinne vervollkommnen und veredeln, zum Waren, Schönen und Guten erziehen.
26. Kapitel. Der Religionsunterricht in der Schule.
Es erübrigt noch, von dem Religionsunterricht in der Schule zu sprechen. Hier ist bedauerlicherweise auch der Protestantismus noch ziemlich tief im Ueberkommenen befangen und es kann da her nicht Wunder nehmen, daß in Volksfreisen der krasse Aberglaube noch eine starke Macht entfaltet, da der Geist der Jugend mit superstitiösen Substanzen durch den Religionsunterricht gejättigt wird. Eine Reform des Katechismus ist schon gegenwärtig ein dringliches Bedürfnis. Auch eine andere Auswal des Memorirſtoffs ist sehr zu wünschen. Was sodann den Unterricht in der biblischen Geschichte betrifft, so möchten wir diese keineswegs aus der Schule verbannt wissen. Wir schließen uns vielmehr der Ausführung eines neueren Schriftstellers an, die wir nach dem Wortlaut anführen wollen**):„ Aber ebensokräftig erklären wir uns gegen das Ansinnen, die biblische Geschichte vom Lehrplan der Volksschule zu streichen; das hieße bie Schule ihres kostbarsten Schazes von Sagenpoesie berauben. Diese naiven Erzälungen sind ein warer Kindergarten voll der anmutigsten Pflanzen, Blumen und Blüten und ihr Wert ist um so größer, weil sie meistens nicht wie das Mährchen und die Fabel dem Gebiet des Unmöglichen, rein Phantastischen, angehören, sondern auf dem Boden der Wirklichkeit sich bewegen. Dabei spielen fie
*) Ich fasse den gothischen Stil keineswegs als architektonischen Ausdruck des supranaturalen Spiritualismus, sondern als Ausdruck innerer Sammlung, sittlichen Ernstes, des Abgezogenseins vom Sinn lichen, der geistigen Erhebung auf. Darum entsproß er dem deutschen We sen ganz besonders. Auch die ästetische Wirkung des Kreuzes ist eine ähnliche und diese seine ästetische Wirkung verleiht ihm unseres Erach Reminiscenz.( Diejenigen, welche es absurd finden mögen, von einer tens weit mehr Bedeutung, als die mit ihm verknüpfte christologische ästetischen Wirkung des Kreuzes zu sprechen, verweisen wir auf die sehr richtige Bemerkung Desers in seinen„ Aestetischen Brifen" über den goldenen Schnitt. S. 133.) Die abfällige Aeußerung Goethes über dasselbe ist, sofern von ihm blos die symbolische Bedeutung ins Auge gefaßt wurde, erklärlich. Wie sehr der Heide" Goethe sich für den gothischen Stil interessiren und erwärmen fonte, beweisen seine be fanten Aeußerungen über den Straßburger Münster . ** E. Molchow, Egypten und Palästina( Zürich 1881. Verlags
*) Molchow, E. Jesus , ein Reformator des Judentums,( Zürich , Magazin.) Anhang: Die Behandlung der biblischen Geschichte in der 1880 Verlagsmagazin) S. 22 ff.
Schule.