Dies die Grundsäze des Gesundheitsamts für eine über das ganze deutsche Reich ausgedehnte Organisation der öffentlichen Gesundheitspflege!

Wir sind damit zum Schlusse der über 17 Druckspalten in Groß- Quart umfassenden Denkschrift gelangt.

In diesem Schlusse wiederholt das Gesundheitsamt u. a. die Versicherung, daß es sich um die Ausbildung der Hygiene zu einer wirklichen Wissenschaft durch Zentralisation des gewonnenen wissenschaftlichen und Erfarungsmaterials und Verarbeitung des­selben zu einem Ganzen besonders bemühen werde.

Außerdem erklärt es sich für verbunden, das ärztliche Ver­einswesen zu fördern und gewälte Vertreter des ärztlichen Stan­des als außerordentliche Mitglieder des Gesundheitsamtes" zur Mitarbeiterschaft heranzuziehen.

Ueberhaupt brauche es eine erhebliche Verstärkung, um mit seinen Arbeiten in zweckentsprechender Weise auf dem Laufenden zu bleiben, und zwar nicht nur durch Spezialärzte verschiedener Fächer, sondern auch durch höhere Verwaltungs- oder Polizeibeamte,

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dann einem Chemiker, einen Baubeamten und einen Fachgelehrten für das Apotekerwesen, insgesamt 10 Personen.

Auch Laboratorien zu chemischen, physikalischen, physiologischen und patologischen Versuchen, ebenso wie zu Untersuchungen inbe­treff Vertreibung und Vorbeugung der Viehseuchen seien ihm einzureichen.

Im Vorstehenden ist all' das zusammengefaßt, was das Kai­serliche Gesundheitsamt leisten will und es sind darin gleichzeitig im großen und ganzen die Mittel angegeben, welche es bei seinen Arbeiten zu benüzen gedenkt.

Ehe wir zu der Untersuchung vorschreiten, wie weit das ge­lehrte Amt der selbstgestellten gewaltigen Aufgabe in den vier Jaren seit Abfassung seiner Denkschrift gerecht geworden ist, wollen wir uns in einer der nächsten Nummern über die Stellung klar zu werden suchen, welche dieses kaiserliche Gesundheitsamt mit seinen Zielen und Wegen zur Wissenschaft, wie sie bisher sich entwickelt hat und betrieben wurde, einnimt. ( Fortsezung folgt.)

Die Katastrophe im wiener Ringteater und deren Folgen.

Von Friedrich Nauert.

Das durch verbrecherischen Leichtsinn im Dezember vorigen Fares im wiener Ringteater hervorgerufene Unglück, dem hun­berte von Menschenleben zum Opfer fielen, hat nicht nur das Entsezen und die Teilname der gesammten zivilisirten Welt her­vorgerufen, sondern auch eine Menge Vorschläge zutage gefördert, um solchen schauerlichen Ereignissen vorzubeugen. Auch hat man bereits in fast allen größeren Orten die Teater untersucht und da, wo es noch an den nötigen Vorsichtsmaßregeln fehlte, diese angeordnet. Ob die Ausführung derselben gesichert ist, könte man mit Recht bezweifeln. Leider hat man im Ernst nur immer solange an solche verhütende Maßregeln gedacht, als der Schmerz über ein großes Unglück noch in den Herzen des Pu­blikums nachzitterte; mit dem Verschwinden dieser Gefülsregungen waren gewönlich auch die guten Grundsäze und berechtigten Maßregeln vergessen. So erschien noch im vorigen Jare nach dem Brande des Teaters zu Nizza  , der einer großen Bal Men­schen das Leben raubte, in der Desterr. Verbands- Feuerwehr­Beitung" eine Serie von Artikeln, die mit großer Sachkenntnis geschrieben, unter dem Titel Teaterbrände und deren Verhütung" Im Separatabdruck vorliegen. Diese Schrift ist für den geringen Preis von 40 Pfg. zu haben, also jedermann zugänglich. Sie rügt gerade die Uebelstände, welche wesentlich, wenn nicht ganz bas schreckliche Unglück im Ringteater noch in demselben Jare

beranlaßten.

Aber noch lauter spricht für endliche gewissenhafte Durchfü­rung von Sicherheitsvorrichtungen in Teatern die Statistik der Teaterbrände selbst.

stattgehabten Brande des Royal- Teater zu Quebec   in Canada  gab es 200 Tote; 1847 beim Brand des Hofteaters in Karls­ ruhe   63 Tote und 200 Verwundete, bei dem des kaiserlichen Opernhauses zu Moskau   1853 11 Tote. 1867 brannte das Teater deli Eguidolli in Livorno   ab und das Resultat war 100 Tote und 200 Verwundete; in demselben Jare wurde das American- Teater zu Philadelphia   von dem gleichen Schicksale betroffen, wobei 13 Personen umkamen und 16 verwundet wur­den. Der Brand des Teaters zu Tientsin   in China  ( 1872) for­derte 600 Menschenopfer; der zu Broklyn( Ver. St. 1876) 283 und eine noch größere Zal Verwundeter und beim Brand des Teatre des Variétés zu Wontpellier kamen 400 Menschen in den Flammen um. Das sind in ca. 100 Jaren 5404 Tote und 2516 Verwundete. 2516 Verwundete. Die Toten von Nizza   und vom wiener Ring­teater sind nicht mit inbegriffen; man kann sie jedoch ganz ruhig auf 1000 veranschlagen. Damit erhält man eine Summe ver­nichteter Menschenleben, die doch hinreicht, um so dringlich wie möglich zur Vorsicht zu mahnen.

Aber der Leichtsinn, welcher leider noch eine viel zu große Herschaft in den manigfaltigsten Verhältnissen des Menschenlebens befizt, ist es auch hier, und zwar in noch viel höherem Grade als sonstwo, der die größten Unglücksfälle verschuldet. Man faßt das Teater als eine Vergnügungsanstalt auf und stürzt sich mit demselben Leichtsinn hinein wie z. B. in ein Tanzvergnügen auf freiem, gefarlosen Rasenplaz. Leichtsinn bei der Gebäude­anlage, Leichtsinn bei den Schuzmaßregeln, Leichtsinn in der Be­dienung derselben bei einem ausgebrochenen Brande, Leichtsinn von Seiten der Behörden bei Ueberwachung derselben, kurz Leicht­sinn an allen Ecken. Der ganze Plunder des modernen Teaters, das hauptsächlich auf den Sinnenreiz, den materialistischen Sinnen­fizel spekulirt, ist davon durchweht, das Publikum jauchzt ihm ebenso leichtsinnig zu ist es denn da ein Wunder, wenn ein Fünkchen des realen Elements diesen saft-, kraft- und gehaltlosen Bunder streift, ihn entzündet und die ganze Budike inklusive Zu­schauer vernichtet! Bricht dann über diese Gesellschaft das Unglück herein, dann ist es die Kopflosigkeit, welche das ganze System so schlagend karakterisirt, und das Malheur noch im höchsten Grade verschlimmert. Wo soll aber Kopf im Unglück herkommen, wenn unter normalen Verhältnissen keiner vorhanden ist? Und

So bringt Foelsch, der in einem größeren Buche dieses trau­rige Kapitel behandelt, darüber folgende Balen: Teaterbrände fanden statt im 16. Jarhundert 2, im 17. Jarh. 16, im 18. Jarh. 59, im 19. Jarh. von 1800-1810 16, von 1810-20 14, von 1820-30 31, von 1830-40 33, von 1840-50 44, von 1850 bis 60 74, von 1860-70 98 und von 1870-1880 118. Man sieht also, daß in demselben Grade, wie die Teater an Zal zuge­nommen, wie die Teatergebäude selbst an glänzender und groß­artiger Ausfürung und räumlicher und ästetischer Hinsicht ge­wonnen und in demselben Grade, wie sich die technischen Wissen­schaften gehoben haben, sich also unser Können inbezug auf Ver­hütung von Unglücksfällen gesteigert hat, auch die Gefar gewachsen treten, oder sonst in einer Weise um sein Leben gebracht zu wer­ben. ( 1772) 19 Menschen das Leben, der des Coliseo zu Saragossa  der des Teaters in Capo d'Istri( 1794) 1000, der des Grand- geberden?!- ( 1778) 137, der des Opernhauses im Balais Royal( 1781) 21, Teaters zu Nantes  ( 1796) 7, der des Teaters zu Richmond( Ver. St.

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sprechen nicht gerade die vielen Teaterbrände mit ihren Hekatom­ben von geopferten Menschenleben- geopfert troz aller War­nungen, troz aller Vorschläge der Fachmänner zu Gegenmaß­regeln, für die permanente Kopflosigkeit der Herren, die sich als Repräsentanten und Schüzer des Teaters so gern oft öffentlich

Man geht wol nicht fehl, wenn man hierin und in dem Ka­

rafter des modernen Teaters den Hauptgrund für die grauen­

( 1836) 800, und der des städtischen Teaters zu Sinigaglia( Uncona haften Unglücksfälle sieht. Die Zeitgenossen Sophokles   und Shake­

1838) 2 Menschen das Leben. Dagegen zälte man, als 1845 in Canton das chinesische Teater ein Raub der Flammen wurde,

nicht

speares gaben sich noch mit dem Genuß des Dichterwerks one

all und jeden Bünenaufwand zufrieden und es mag dahingestellt sein, ob sie nicht schließlich einen höheren Genuß an den Kunſt­