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Die Ueberzeugung.
Von Dr. Richard Ernst.
Die Warheit ist eine spröde Dame, sie schenkt ihre Gunst nicht jedem, der um sie wirbt. Oft glaubt der Mensch, sich ihres Besizes zu erfreuen und es ist nur ein Trugbild, das er umarmt, wie es einst Paris nach des Euripides Tragödie mit der schönen Tyndaridin erging*). Sowol über rein teoretische wie über praktische Fragen gab es zu allen Zeiten verschiedene Meinungen und Ansichten, über diese wie über jene haderten und bekriegten sich die Menschen. Besonders heftig pflegt der Kampf der Meinungen zu entbrennen über Fragen, welche für das allgemeine Kulturleben von großer Bedeutung sind, welche das materielle oder geistige Wol der Gesammtheit betreffen. Wärend rohe Naturvölker keinen andern casus belli fennen, als das Mein und Dein, entzweien sich gesittete Kulturmenschenleider häufig nicht minder über Mein und Dein wie ihre stierfellbekleideten Ahnen, aber auch über Wissenschaft, Kunst, Religion, Politik, mitunter freilich auch über minder wichtige Dinge, z. B. über die Güte des Biers, oder die Tugend einer Primadonna.
Die Gewißheit, womit eine Ansicht als richtig erkant wird, nennen wir Ueberzeugung. Ein problematisches Urteil wird zum apodiktischen, die Meinung wird zur Ueberzeugung, wenn sie sich auf Gründe stüzt, welche für unumstößlich gehalten werden und jeder Einwand gegen sie beseitigt scheint.
Würde der menschliche Geist in seiner Operation sich immer von den Gesezen der Logik leiten lassen, so daß er nicht etwa die Kreuz und Quer irrlichtelire hin und her", so gäbe es, wenigstens über rein teoretische Fragen, keinen Streit der Meinungen und Ueberzeugungen. Sehr häufig aber achtet der Geist nicht oder zu wenig auf diesen Kompaß, oder er läßt sich von der Sirene Phantasie abseits locken und hält die Fata Morgana, welche sie ihm vorzaubert, für greifbare Wirklichkeit. Besonders das leztere ist die Ursache, daß dieselben Jdeen, Teorien und Systeme den Einen als Weisheit, den Andern als Torheit erscheinen, daß man hier verhöhnt, was dort als vortrefflich und ehrwürdig gefeiert wird, denn
Phantasie sich halben Leibs zum Himmel hob, Einen Stern
Faßte sie und schwang ihn, daß es Funken stob Nah und fern.
Fiel der Wiz
Wie ein Bliz
Drüber her und faßt den Schein
In die kleinen Taschen ein.
Phantasie zur Wolke, die vorüberflog,
Streckt die Hand,
Sich die Wolfe purpurn um die Schulter zog, Als Gewand.
Wiz verstect
Drunter steckt;
Wo sich nur ein Fältchen ruckt
Wiz hervor mit Lachen gudt.
Phantasie mit Donnersturm tut auf den Mund, Wiz verstummt;
Schweigt die Riefin, tut sogleich der Zwerg sich kund, Pfeift und sumt.
( Rückert.)
Bei Ansichten, welche sich nicht lediglich innerhalb des Teoretischen bewegen, sondern die Gestaltung des praktischen Lebens zum Gegenstand haben, wo es sich darum handelt, ob eine Handlungsweise als heilsam zu empfehlen sei, wie die eine oder andere Einrichtung am zweckmäßigsten gestaltet werden, ein Mißstand beseitigt, einem Bedürfnis entsprochen werden könne, komt noch der Umstand inbetracht, daß der menschliche Geist, auch der scharfblickendste und weitsichtigste, unmöglich alle in Frage kommenden realen Verhältnisse überblicken, alle Faktoren in Rechnung bringen, alle Momente beachten, alle Einflüsse erwägen, alle Wirkungen berechnen kann; daß unser Wissen in der Tat Stückwerk ist. Je nachdem daher ein Gegenstand ins Auge gefaßt, je nachdem mit den realen Verhältnissen gerechnet wird, erscheint dem als ausfürbar, was jener für unmöglich hält, dünkt
Bgl. Eurip. Helena 537 ff, wonach Helena niemals von Paris entfürt wurde, sondern eine von Zeus in ihrem Ebenbild geschaffene
Luftgestalt.
dem einen ein Sandkorn was dem andern als Berg erscheint, hält der für Gift, was jener als Balsam preist, heißt dem Verschlechtern und Zerstören, was jener Verbessern und Veredeln nent.
Der Kampf der Ueberzeugungen gehört zu den interessantesten Episoden der Kulturgeschichte; nicht nur deshalb, weil in diesem Stampfe die Schlachten des Geistes in zallosen Gefechten geschlagen werden, das Wachstum und die Gestaltung der Zivilisation durch ihn entschieden wird, sondern auch wegen der mannigfaltigen teils edlen teils verwerflichen Eigenschaften, die er in der Person der Kämpfer zutage treten läßt, und wegen der tiefen Tragik in dem Schicksal derer, die für ihre Ueberzeugung eingetreten sind. Denn nicht nur nachteilig, sondern gefärlich war es häufig, seine Ueberzeugung zu bekennen, zu vertreten, für sie einzustehen, für sie zu kämpfen und ganz besonders hievon gilt das Wort Mirza Schaffy's :
Wer die Warheit liebt, der muß
Schon sein Pferd am Zügel haben Wer die Warheit denkt, der muß
Schon den Fuß im Bügel haben Wer die Warheit spricht, der muß Statt der Arme Flügel haben!
( Und doch singt Mirza Schaffy :
Wer da lügt, muß Prügel haben!)
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Jede Ueberzeugung ringt nach Anerkennung und Verallgemei nerung. Wer von einer Idee erfüllt ist, der will, daß auch Andere ihr huldigen. Würde sich nun dieses Streben auf der Arena des Gedankens allein betätigen, würde nur mit Gründen und Gegengründen gestritten werden, so wäre es ganz gut. Allein gewönlich ist dem nicht so. Die Vertreter einer Ueberzeugung bemühen sich nicht blos, der entgegengesezten mit Argumenten zu Leibe zu rücken, sie gehen auch häufig darauf aus, die Vertreter der Gegenüberzeugung an deren Ausbreitung gewaltsam zu verhindern. Das leztere geschieht in der Regel da am meisten, wo das Unvermögen, die gegnerische Meinung mit Beweisgründen zu entkräften, lebhaft gefült wird. Da wird denn der Kreis gedanklicher Auseinandersezung, logischer Erörterung verlassen und der Weg persönlicher Anfeindung und Verfolgung beschritten. Diese wird häufig dadurch eine erbitterte, daß die Vertreter einer Ueberzeugung sich in die Anschauungsweise der andern nicht zu versezen vermögen und darum dem Gegner die bona fides*) aberkennen. Man wänt, der Gegner beharre bei seiner Ansicht nicht aus logischen, sondern aus verwerflichen Motiven, aus Halsstarrigkeit, Böswilligkeit, persönlichem Interesse. So gesellt sich denn die Leidenschaft hinzu, welche den Gegner verdächtigt und in der Achtung der Mitbürger herabsezt. Der Kampf der Ueberzeugungen wird darum häufig zur Machtfrage, die Minoritäten werden von den Majoritäten gehaßt und verfolgt.
Am gefärlichsten ist dieser Kampf der Ueberzeugungen für die Minoritäten, wenn es sich darum handelt, längst bestehende Einrichtungen zu erschüttern und umzugestalten, Vorstellungen und Formen abzuändern oder zu beseitigen, welche im grauen Altertum wurzeln und sich Jarhunderte lang unangefochten erhalten haben.
Das Bestehende ist vielen auch dann noch unantastbar, wenn der Grund seines Daseins längst geschwunden, sein Geist entflohen und es nur noch eine Mumie iſt.
Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht, Und die Gewonheit nent er seine Amme. Weh dem, der an den würdig alten Hausrat Ihm rürt, das teure Erbstück seiner Ähnen! Das Jar übt eine heiligende Kraft;
Was grau für Alter ist, das ist ihm göttlich.
Das Denken ist nicht jedermanns Sache. Nur wenige haben
ihren Geist gewönt, überall dem Gesez der Kausalität nachzuspüren, die Gründe des Bestehenden aufzusuchen und die Berech tigung seiner Fortexistenz danach zu bemessen. Die Meisten hul
digen dem Kanon der Stabilität:
*) Gute Absicht.