abendlichen Nebel zu durchdringen; ich starrte durch die Wagenfenster auf das Trottoir, wo zalreiche dicht vermumte Gestalten schweigend aneinander vorüberschossen. Da flopfte der Kondukteur auf meine Achsel, ich war am Ziele, stolperte über den Tritt auf das Straßen­pflaster und taumelte, vom Sizen steif geworden, in das hell erleuch­tete Lokal. Es war wie immer gut gefüllt und nur in einer einzigen ziemlich ungemütlichen Fensterecke stand noch ein Stul leer, den ich rasch einnahm. Ein dichtes Gewölf von Tabaksqualm füllte die Zimmer und es gehörte schon eine ungemein feine Nase dazu, um die Gaben des Abendtisches aus diesem nikotinreichen Aroma herauszuriechen; eine schwere Anstrengung, zu der man aber genötigt war, da der Wirt, ein Mann der alten Schule, feine Speisekarte niederschrieb und die beiden dienstbaren Geister so beschäftigt waren, daß man oft geraume Zeit warten mußte, ehe man von ihnen genaue Auskunft erhalten fonte.

Nachdem ich also mein Anregungsmittel vor mir stehen und den erwünschten Braten endlich auch erhalten hatte, suchte ich in der Ge­sellschaft nach einem meiner Bekanten. Leider hatte sich an diesem Abend feiner eingefunden und mir blieb nichts anderes übrig, als mit meinem unbekanten Tischnachbar eine Unterhaltung anzuknüpfen. Mir gegenüber saß nämlich ein Herr, der nicht zu den Stamgästen ge= hörte und von diesen deshalb nicht auss freundlichste angesehen wurde. Diesem Umstande nur hatte ich den leeren Plaz und Stul an dem Tische zu verdanken. Der Fremde stand im reiferen Lebensalter und sein Antlig trug Spuren geistiger Arbeit, das Vorherschen da in dem­selben war aber doch ein starker Zug von Unzufriedenheit. Nach meiner unmaßgeblichen Meinung gehörte er zu jener Klasse von Statsange­hörigen, welche Schiller in seinem Fiesko ,, Mißvergnügte" nent. Das Gesicht zeigte eine düstere, leberkranke Farbe; die Lippen hatte der Mann fest zusammengefniffen. Man foute ihn für einen Rektor oder Gymnasiallehrer halten, der wegen mißliebiger politischer Ansichten vom Ministerium hart getreten, in der Beförderung übergangen und noch nicht wieder in Gnaden angenommen worden war. Nebenbei zeigte sich etwas von einem provinzialen Anstrich in seiner ganzen Garderobe. Der Mann konte sich vielleicht Jare lang abgemüht haben, Schulrat zu werden und nun genoß er mit dem lezten abschlägigen Bescheide in der Tasche seine Henkersmalzeit.

Ich sollte nicht länger müßige Hypotesen aufstellen. Der Herr warf mir einen durchdringenden Blick zu und sagte: Entschuldigen Sie, mein Herr, man hat mir gesagt, daß dieses Lokal eines der be­suchtesten in München sei."

,, Da hat man ihnen nur die Warheit gesagt!" antwortete ich dem unbekanten Mißvergnügten.

,, Und in einem solchen Lokale findet man keine Abgeordneten?" fragte er mit grimmigem Tone und Stirnrunzeln.

,, Nein, mein Herr," bemerkte ich lächelnd ,,, hier versammeln sich nur Bürger und sogenante kleinere Leute, für den Stand der Abgeord­neten ist dieser Ort zu gewönlich; die Herren Landtagsboten müssen Sie in den Fraktionsweinhäusern aufsuchen."

,, Aber grade hierher, wo sie von der Stimmung und den Ansichten des Volkes sich unterrichten können, sollen sie gehen, gerade hier er­warte ich den lernbegierigen Abgeordneten," rief der Mann mit einer Heftigkeit, die mich an seinem Verstande etwas irre machte. Ich schwieg wirklich und sah ihn nur fragend an, denn jezt mußte es zu einer Er­flärung kommen.

Ich bin ein alter Pädagoge und Inhaber einer Erziehungsanstalt," sagte der Herr und nahm einen reichlichen Schluck Bier zu sich ,,, aber ich beschränke meine Erziehung nicht nur auf die heranwachsende Gene­ration, ich suche überall einzugreifen, wo ich bemerke, daß die Mensch­heit einen Anlauf nimt, neue Bildungsstoffe zu verarbeiten, neue Fächer der Wissenschaft, neue Stände der Gesellschaft zu bilden. Sie werden nicht leugnen, denn Sie sehen wie ein gebildeter Mann aus, daß sich augenblicklich in München zwei Korporationen befinden, die beiden Kammern, die der Reichsräte und die der Abgeordneten, mit denen sich ein Pädagog sehr stark beschäftigen kann. Erstere haben freilich in meinen Augen feine sonderliche Zukunft; ich will also nur von den Abgeordneten reden, aus denen etwas werden kann, etwas wer­den muß.

,, Sie scheinen Ihrer Rede nach mit unsern Abgeordneten nicht sonderlich zufrieden zu sein," fragte ich mit einiger Vorsicht.

,, Um des Himmels willen, fann ein Pädagog, der in jüngern Jaren auf seine Beredsamkeit sich etwas zu gute tun durfte, mit ihnen zufrieden sein?" rief der Herr und schlug heftig auf den Tisch; ,, ich verfolge die Kammerverhandlungen aufmerksam, habe auch schon früher und auch bei meinem diesmaligen Besuche den Sizungen beigewohnt, aber zufrieden bin ich mit den Herren nicht."

,, Nun, ich sollte meinen, gerade in der Hauptsache, in der poli­tischen Gesinnung, zeigte sich doch ein allmälicher wesentlicher Fortschritt?"

" Ich rede nicht von der politischen Gesinnung, ich bin Pädagog und nicht Staatsmann, aber ich sag' Ihnen, mein Herr, es fehlt noch sehr viel, ehe ich mit diesen alten Knaben, den Abgeordneten, zufrieden sein kann, wie mit meinen Jungen."

,, Sie stellen einen ganz neuen Gesichtspunkt auf!" bemerkte ich; ,, bitte erklären Sie sich etwas näher, in welchen Punkten sind Sie be­sonders mit den Abgeordneten unzufrieden?"

In welchen Punkten? in allen sage ich Ihnen, nehmen Sie ja nicht diese Herren in Schuz! Aber ich will Ihnen die Sache aus­sürlicher erzälen. Zuerst bin ich als Schulmann im Punkte Ihres

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häufigen Schwänzens sehr unzufrieden. Wann ist die Kammer jemals vollzälig? Wie oft komt es nicht vor, daß nicht dieser oder jener, wie hinter die Schule, hinter die Sizung geht. Sobald ein Abgeordneter sich durch seine Abstimmung mißliebig bei seinen Wälern zu machen fürchtet, überfällt ihn das Sizungsfieber; er legt sich zu Bette, schreibt einen Entschuldigungszettel an den Präsidenten und bleibt, wenn der Fall bedenklich ist und die Wächter zuhause ihn schon im Verdacht haben, 8-14 Tage auf dem Sopha liegen."

Was ist aber dagegen zu tun?"

,, Nichts leichter als das, mein Lieber. Man braucht nur, gleich dem ersten besten vereideten Teaterarzt, einen Kammerarzt, einen alten Praktikus, zu halten, der über alle kleinlichen Finten und Bestechungen durch Schmeichelei erhaben ist. Meldet sich ein Abgeordneter krank, so stattet er ihm einen Besuch und dem Präsidenten ein Gutachten ab. Verstellt sich aber der Abgeordnete, so werden ihm für jeden Tag der fingirten Krankheiten die Diäten abgezogen. Das hilft in den allermeisten Fällen, ich kenne meine Pappenheimer."

,, Das hieße ja aber, unsere Abgeordneten wie Schulknaben be­handeln!" sagte ich, etwas entrüstet über den strengen Schulmann.

,, Sind denn gar viele derselben den Jaren nach nicht etwa Schulknaben? Sie werden doch nicht leugnen wollen, daß ein ordentlicher Parlaments­fursus etwas mehr bedeuten will als ein Gymnasialkursus, zu welchem ein Junge von mäßigen Fähigkeiten eine stattliche Reihe von Jaren braucht. Gehen Sie doch nur in die Kammer und hören Sie auf­merksam und streng kritisch zu, dann wollen wir uns wieder sprechen." ,, Es sind doch einige tüchtige Redner vorhanden, einige schlag­fertige Meister in Angriffen und Entgegnungen, einige wizige Köpfe...." Einige einige" rief mein Mann ,,, sie sollen sich aber alle aus­zeichnen, jeder nach seinen Fähigkeiten; in einem Staate von dem Um­fange Bayerns dürfte sich doch die nötige Anzal talentvoller und rede­fertiger, mit Sizfleisch versehener, fentnisreicher und gesinnungsvoller Männer für eine Kammer auftreiben lassen. Das Zeug zu solchen Leuten ist im Volfe schon vorhanden, aber die Pädagogif muß es erst gehörig krampfen und defartiren. Ich gehe in allem Ernste damit um, eine Schule der Abgeordneten zu stiften."

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,, Eine Schule für Abgeordnete?" fragte ich verwundert.

Ja, mein Herr, die Stummen in der Kammer haben mich schon längst auf diesen Gedanken gebracht. Diese armen, abgeordneten Menschen, die vor lauter Vertrauen ihrer Wäler mit dem schweren und verantwortlichen Amte der Volksvertretung belastet worden sind, sizen in den Verhandlungen fast so kläglich da, wie gewisse Zuschauer bei Gastvorstellungen französischer Schauspieler; auch sie verstehen die parla­mentarische Sprache nicht. Sie sind eigentlich nur in der Liste, an der Kasse und im Namensverzeichnisse der Abgeordneten vorhanden, sonst reden sie weder, noch arbeiten sie für das Volf. Die Zeitungen nennen sie niemals; selbst über die traurige Notdurft einer persönlichen Be­merkung sind sie erhaben. Von den parlamentarischen Spottvögeln werden sie in Ruhe gelassen, höchstens nimt sie ein Minister auf einer Soirée hinter einen dichten Fenstervorhang und versichert sich mit einigen Schmeichelworten und Händedrücken ihrer Stimme für eine seiner Vor­lagen."

,, Allerdings sind diese Herren nicht die erfreulichsten Exemplare der Volksvertretung," sagte ich mit lachendem Munde.

,, Die Stummen werden meine Schüler, wenn ich mich auf den in jedem Menschen schlafenden heimlichen Ehrgeiz verstehe. Haben Sie erst einmal den Honig des Beifalls ihrer Kollegen gekostet, so steht mein Institut auf festen Füßen, denn ich trete in der nächsten Session mit einem Institut für parlamentarische Redeübungen zum Besten schüchterner Adgeordneten auf!" Der Mann sprach mit einer solchen Zuversicht, daß er mir wirklich imponirte. Ich gab dem Kellner einen Wink, zwei frische Gläser zu bringen und bat den Pädagogen, mir den Plan seines Unternehmens ein wenig genauer mitzuteilen, da ich er­bötig sei, ihm im Wege der Journalistik beizustehen.

Der Pädagog leerte mit einer Gewantheit, die ihm noch von seinen Studienjaren geblieben sein mochte, das frische Seidel bis auf einen winzigen Rest, räusperte sich und sagte: Die Sache ist sehr einfach; ich bilde aus Abgeordneten, die sich in meine Zucht und Lehre begeben haben, solchen, die ihr Volk dereinst vertreten wollen, jungen, politisch begabten Leuten und staatsmännisch hoffnungsvollen Knaben ein kleines Afterparlament. Vor jeder Sizung arbeiten wir in bester Form die nächste Tagesordnung in den spätern Abendstunden durch. Mein Barlamentchen wird auch in Fraktionen geteilt, wie das große, und es soll mir nicht darauf ankommen, einen Extremen- oder einen Sozial­demokraten für hohes Honorar zu einer parlamentarischen Gastrolle zum Besten meiner Zöglinge zu gewinnen, nur damit sie ihn rednerisch gründlich abmucken."

,, Ganz vortrefflich!" rief ich und drückte dem seltenen Manne die Hand, die Idee eines solchen Probirparlaments für Anfänger und Stümper unter den Reichs- und Landtagsabgeordneten ist unvergleich­lich. Schon der Titel, der so einen geistreichen Gegensaz zu der Be zeichnung Rumpfparlament" bildet, versezt mich in Entzücken. Laden Sie mich doch ja ein, wenn der Eine oder der Andere auf Gastrollen bei Ihnen ist, denn ich glaube wirklich, daß in Folge fortgesezter red­nerischer Uebungen die parlamentarische seinere Redekunst sehr zunehmen und namentlich den Gegnern der Aufklärung die Warheit weit schärfer und geistreicher gesagt werden könte. Wie aber gedenken Sie es mit den Parteien zu halten?"

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