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,, Mit den Parteien?" entgegnete leise mein vis- à- vis ,,, ich habe lange genug die modernen Statsmiasmen eingeatmet, um zu wissen, daß ein Abgeordneter sich so gut auf die äußerste Rechte wie auf die Linke verstehen muß. Ich tönte Ihnen eine ganze Reihe von Leuten nennen, die sich in beiden Fächern versucht haben. Nach meinem Prinzip fangen meine Schüler mit Redeübungen für die äußerste Linke an und hören mit Reden für die äußerste Rechte auf. Wenn Sie auf eine Menge Männer blicken, die sämtlich eine schöne Carriere gemacht haben, so werden Sie mir einräumen, daß ich denselben Weg mit meinen Zöglingen einschlagen muß."

,, Die Schule der Jugend", sagte ich ziemlich unwillig ,,, wird nach reineren Grundsäzen geleitet; in ihr wirkt der Lehrer nicht weniger auf die Ausbildung der Fähigkeiten, als auf die Erhaltung einer morali­schen Gesinnung ein."

Mein Mann lächelte boshaft. Vergessen Sie nicht, mein Lieber, daß wir in der Politik mit den Wölfen heulen müssen, sagte er.

Die widerspruchsvollen Redensarten des Mannes wurden mir nun etwas unheimlich, ich stand auf und wollte mich empfelen; er hielt mich aber am Rockschoße fest.

,, Erlauben Sie", murmelte der Mann und zog ein Blait Papier aus seiner etwas unreinlichen Tasche ,,, daß ich Ihnen wenigstens einen Prospekt meiner Anstalt mitgebe. Im nächsten Jare eröffne ich die­selbe; das monatliche Honorar beträgt 30 Mart, Abgeordnete über 50 Jare zalen 20 Mark mehr."

So trenten wir uns, und ich begab mich, lebhaft angeregt durch die neuen Ideen des zweideutigen Mannes nach Hause, um unsere Un­terhaltung so getren als möglich niederzuschreiben. Im Ganzen war mir doch ein Stein vom Herzen gefallen; ich wußte jezt, wo Hilfe zu finden war, wenn auf der Tribüne ein Greis, der seine Rede ablesen wollte, oder ein hilfloser Stamler vom Präsidenten getadelt werde.

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Der Marktplaz von Mérida.( Illustr. S. 248 u. 249.) Die Cor­dilleras, welche als ununterbrochenes Kettengebirge sich an der Westküste von Südamerika in einer Länge von 980 Meilen hinziehen, zweigen sich in nordöstlicher Richtung als das Gebirge von Venezuela ab und erreichen ihren höchsten Punkt in der Sierra Nevada de Mérida , deren mäch­tige Gipfel im Hintergrunde unseres Bildes aufsteigen. Hier, wo die schneebedeckten Berggipfel eine Höhe von 14592 Fuß erreichen, gründete 1558 Juan Rodriguez Suarez die Stadt, deren bedeutendsten Plaz unsere Abbildung zeigt. Sie hat ca. 6000 Einwohner, einen Bischofssiz, ein geistliches Seminar, ein Kollegium, ein Kloster, verschiedene Schulen und lebhaften Handel, der seinen Bewohnern zur Wolhabenheit verholfen. 1812 wurde Mérida von einem Erdbeben zerstört, welches Venezuela schon öfter und manchmal schrecklich heimgesucht, aber einige Jare darauf war es wieder aufgebaut. Einzelne Ruinen legen noch sprechendes Zeugnis von der verderblichen Macht der vulkanischen Erschütterungen ab. Baumwolle, Wollstoffe, namentlich schöngefärbte Teppiche und eine gute Sorte Kaffee werden als Hauptartikel von der Bevölkerung in den Handel gebracht. Wäre es nicht schon sowieso für uns hinlänglich feststehend, daß es die Zivilisation der alten Welt, namentlich aber die Europas ist, welche in den neuen Weltteilen ihre Triumphe feiert, so würde uns gewiß das im Mittelpunkte unserer Illustration stehende Kirchengebäude diese Tatsache andeuteu. Prägt sich in ihr auch der einfache Karakter aus, den die wenigen anderen Häuser zeigen, so sagen uns ihre Formen doch nur zu deutlich, daß die Hand, welche die Pläne dazu entwarf, der Bautätigkeit kundiger war wie die der Eingeborenen, ja daß der Mann, dessen Kopf der Plan entsprungen, Architekturwerke der ,, alten Welt" geschaut oder doch mindestens von deren Entstehung und Wirkung eine Ahnung empfunden hat. Der Unterschied zwischen diesem Bauwerk und dem vom demokratischen Gemeinwesen der alten Athener errichteten Parthenon ist nun freilich fast so groß wie der zwischen einer pommerschen Dorfkirche und dem straßburger Münster , aber sein primitives Aussehen zeigt uns wol auch nur zu deutlich, wie hier Verhältnisse, von der ungezämten Natur beherscht, maßgebend waren und dies wol auch für alle Lebensäußerungen noch sind. Und urwüchsig- schön, romantisch zeigt sich die Natur in der Republik Vene­ zuela , von der die mit unserer Stadt gleichnamige Provinz nur einen und zwar den in der schönsten Gebirgsromantik belegensten Teil bildet. Schon die Partien an der Meeresküste, wo die brandende See die mäch­tigen Korallenriffe allmälich durchlöchert und wo dann das Meerwasser durch die selbst gebohrten Deffnungen mit Gewalt durchdringend tau­sende von Fontänen und Kaskaden bildet, welche rauschend und brau­send herabstürzen, gewären einen großartigen Anblick. Nicht minder die Kaktus- und Mimosenhecken, die Haine von Kokuspalmen, die her­lichen Bananen, die Kaffee- und Kakaoplantagen, wie der Urwald mit seinen mächtigen Baumstämmen, an denen sich Lianen und andere Schmarozerpflanzen, Orchideen und Bromelien tausendfach emporranken und von deren wild verschlungenem Geäst und Gezweig des Nachts beim hellen Mondenschein die häßlichen Brüllaffen heerdenweise ihr ohrzerreißendes Konzert zum besten geben. Von dem ca. 18 000 Quadratmeilen betragenden Flächeninhalt Venezuelas ist ungefär ein viertel gutes Acker- und ein viertel Weideland, der Rest Urwald. Ersteres hat den Europäern gute Ausbeute in den bereits genanten Kakao- und Kaffeepflanzungen gegeben, außerdem reiche Erträgnisse an Weizen, Baumwolle, Indigo, Buder, Tabat, Mais, Kartoffeln u. s. w. Auf

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den Weiden gingen schon Ende der fünfziger Jare 2 millionen Stück Rindvieh. Pferde, Maultiere, Schafe, Schweine und Ziegen werden noch außerdem gezüchtet. Auch die einheimische Tierwelt weist vielerlei nüzliche und schädliche Arten auf. Die Urwälder liefern vortreffliche Bau- und Nuzhölzer, sowie Vanille, Kautschuk, Tonkabohnen, Fieber­Von den 11/2 rinde, Gummi- und Harzarten, Farbstoffe u. dgl. millionen Einwohnern sind nur ein Prozent Weiße, die übrigen sind Mischlinge( Mulatten, Sambos) Indianer und Neger. In Nro. 14 d. J. haben wir bereits einen Indianerstamm, die Wapischianna, er­wänt. Einen der wildesten und dem Namen nach bekantesten Indianer­stamm, welcher in den Urwäldern Venezuelas lebt, wollen wir hier noch anfüren, den der Botokuden, dessen Name sich vom portugisischen botoque Spund, Holzstöpsel herleiten soll. Die meisten dieses Stammes tragen nämlich als sonderbaren Schmuck an den Lippen und Ohren eingeklemte Holzstöpsel. Aussicht auf dauernde Fortexistenz haben diese ein wildes Nomadenleben fürenden Waldsöhne wol nicht. Der Kampf gegen sie und ihre Lebensweise ist nun seit 400 Jaren von den Europäern mit Bibel und Gesangbuch, mehr aber noch mit Säbel, Flinten und Schnaps gefürt worden und es ist ja nur zu bekant, daß diesen Waffen nur der widerstehen kann, welcher sich vollständig mit den Waffen des Geistes ausgerüstet hat, die uns die neuere Kultur zur Verfügung gestellt. Das können nun die armen Indianer leider nicht. Auch die Deutschen haben schon im 16. Jarhundert unter den Ein­gebornen Venezuelas mit Feuer und Schwert gewütet, zu dem einzigen Zweck, den die Europäer damals und auch heute? dort verfolgten, d. h. sich mit Gold und Silber zu bereichern. Dem augsburger Han­delshause der Weelser übergab nämlich 1527 der arg verschuldete Kaiser Karl V. das Land als Lehen und schloß mit zwei Geschäftsträgern der genanten Firma, Ambrosius Delfinger und Hyronimus Sailler einen Vertrag, welcher dem genanten Hause 12 Quadratmeilen Land zum Eigentum gab mit dem Rechte, jeden Eingebornen, der sich nicht frei­willig unterwarf, zum Sklaven zu machen. Sie mußten zwar unver­richteter Dinge wieder heimkehren, hatten aber auch für die Zivilisation in dem gesuchten Eldorado nichts getan, als sich in den Ruf brutalster Grausamkeit zu sezen. Die Spanier haben es natürlich nicht besser gemacht, seitdem 1499 Djedo an der Nordküste Südamerikas , an einem indianischen Küstendorf gelandet, dem er den Namen Venezuela , d. h. Klein­Venedig, gab. Nicht die Künste des Friedens, der Pflug, waren die kultur­fördernde Waffe, sondern das Schwert, und so konte es denn vorkommen, daß von der 4900 Quadratmeilen großen Zone Ackerland, die im Norden das herliche Land umsäumt, erst 280 der Kultur anheimgegeben waren, wärend sich davon in neuester Zeit nur 28 Quadratmeilen kultivirt vorfanden. Kein Wunder, daß dann dort Demoralisation in der Rechts­pflege und im State finanzielle Zerrüttungen herschen. So zeigte der Rechnungsabschluß von 1852-53 8 248 031 Besos( Peso= 4 Frks.) Weil der Stat seinen Bedarf, dagegen nur 2 705 055 Einnahme. Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern nicht nachgekommen war, hatte er auch allen Kredit eingebüßt. Zinsen wurden längst nicht mehr bezalt und event. auch die Gehälter der Beamten nicht mehr verab­folgt. Was jedoch vor 32 Jarhundert deutsche Kaufleute an Vene­ zuela gesündigt, das scheinen ihre Kollegen von heute gut machen zu wollen. Wenigstens sind es vornehmlich Deutsche , welche dort lebend und wirkend den Handel mit dem Mutterlande beleben. Namentlich sind es dann auch die Dampfer von bremer und hamburger Gesell­schaften, die den Verkehr mit der südamerikanischen Republik und Eu­ ropa vermitteln und die dortigen Erzeugnisse der Heimat zufüren. Hauptartikel der Ausfur bilden Kaffee, Katao, Baumwolle, Indigo, Häute und eine geringe Sorte Panamahüte. Aber wie tönte sich der Handel und Wolstand heben, wenn der sehr fruchtbare Boden ra­tionell bebaut und wenn die Hauptaufgabe der dort sich ansiedelnden Europäer in der Arbeit und nicht, wie seit langem, nur in der mühe­losen Eroberung gesucht würde! Bildungsinstitute hatten zwar die Je­ suiten bereits unter der spanischen Herschaft begründet und zwar in Maracaibo , Mérida und Caracas , doch konten diese bei den dabei not­wendig maßgebenden Absichten dieser schwarzen Herren jedenfalls nicht die Wirkung erzielen, welche im Interesse des Landes und seiner Ein­wohner zu wünschen ist. Nach Errichtung der Republik sind nun all­mälig 10 Nationalkollegien entstanden und 2 Universitäten, zu Caracas und Mérida, errichtet worden; ebenso auch im ersteren Orte, der Lan­deshauptstadt, eine höhere medizinische Schule und eine Zeichen- und Malerakademie. Die Volksschule ist der Provinzialverwaltung unter­geordnet, doch soll dafür nicht viel geschehen sein. Erzbistum Caracas und die Bistümer Mérida und Guyana bilden die kirchliche Organi­sation. Toleranz soll zwischen den gleichfalls anwesenden Protestanten und Katoliken herschen. Wie verkehrt jedoch die Europäer auch dort ihre zivilisatorische Aufgabe angefaßt, beweist, daß man auch die Klöster einbürgerte, also eine Institution, welche doch das Beten als erstes Prinzip aufstellt. Fertigen auch die Nonnen von Mérida schöne Handarbeiten nebenbei, so wäre es doch der Kultur des Landes zuträglicher, wenn anstatt des ,, Bete und arbeite" als Devise genommen würde: Arbeite, und wer darin seine Pflicht erfüllt, der bete so viel er Lust hat." Vielleicht fänden dann auch die Indianer an dem weißen Mann mehr Spaß und Lust zur Nachahmung. Jedenfalls würde sich der schöne Plaz auf unserem Bilde an Werktagen bald mehr von Menschen belebt zeigen als wie dies heute der Fall ist.

nrt.