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Kommissionäre und deren Gehilfen und zum niederen und im allgemeinen schwereren Handel die umherziehenden Handelsleute, Pferdehändler u. s. w. rechnet. Man könte mit Fug und Recht auch das offene Ladengeschäft des Spezerei oder Schnittwarenfaufmanns dem schwereren Gewerbe zurechnen. Indes es sei darauf verzichtet und nach der landläufigen Anname das Gegenteil zugelassen und der sicher mühselige, mit den größten Entbehrungen verknüpfte Hausirhandel allein den schweren Berufsarten zugesellt. Im Jare 1861 beschäftigte er in Preußen 5298 Personen oder 7,61% der gesamten jüdischen( männlichen) Bevölkerung, und dieser Zal steht der leichtere Handel mit 22,062 Personen oder 47,96% der erwerbsfähigen männlichen Bevölkerung gegenüber. Wir hätten nun folgendes Bild: Den leichteren Berufsarten gehören 47,96%, den schweren 32,61% an. Das sind bemerkens werte Zalen, welche uns klaren Aufschluß über die Berufstätig keit der Juden geben. Hielten wir ihnen diejenigen der christlichen Berufstätigkeit entgegen, dann würden wir finden, daß die Christen alle diejenigen Geschäfte betreiben, welche die Juden ausüben, Landwirtschaft, Handwerk und Handel, den lezteren im Verhältnis zur gesamten erwerbsfähigen christlichen Bevölkerung warscheinlich in geringerem Maße als die Juden, dafür jedoch den leichteren und leichtesten viel mehr als den schwereren. Im übrigen würden wir warnehmen, daß, umgekehrt wie bei den Juden, der landwirtschaftliche und handwerksmäßige Beruf ungleich höhere Pros zentjäze der arbeitsfähigen Bevölkerung aufweist als der Handel*). Die Ursache dieser Erscheinung liegt vorwiegend, man fönte sagen ausschließlich in historischen Verhältnissen, in dem Umstande, daß das Gros der Juden, wol richtiger die Gesamtheit derselben, in Mittel- und Westeuropa , von allen Berufszweigen ausgeschlossen wurde, die als ehrlich galten, von allen Handwerken, von der Landwirtschaft und dem höheren Handel. Landwirtschaft betrieb mit Hilfe der Leibeignen der Adel, das Handwerk, die christliche Innung, den Handel die christliche Gilde; für den Juden verblieben gewissermaßen nur der Abfall der Berufsgeschäfte, das, was den Christen gemein und unehrenhaft dünkte, der Wucher und der niedrige, mühselige Handel. Darauf sind sie eingelebt, ihn haben sie Jarhunderte hindurch treiben müssen, und da im Jare 1861 nur noch 7,61% der arbeitsfähigen männlichen jüdischen Bevölkerung an diesem Handel betätigt sind, so ist das erstaunlich und sicher ein Beweis dafür, daß die Juden wol befähigt sind, zu anderen Berufszweigen zu greifen.
Die Zeit der Knechtschaft gab den jüdischen Volkselementen ihr eigenartiges Gepräge. Die Juden gewönten sich, auf den ihnen allein offen gebliebenen Gebieten ihre Existenz zu erringen, und je schwieriger das leztere war, um so mehr mußte das Wesen der Juden ein eigenartiges werden. Das Elend demoralisirt und dasjenige der Juden war ein unbeschreiblich großes! Da wundere man sich nicht, wenn sie schließlich durch eine breite und tiefe Kluft von den Christen getrent waren. Wie die Juden bei der ihnen oftroyirten Beschäftigung verknöcherten, so geschah es bekantlich auch mit der ungeheueren Mehrzal der Christen im Zustande der Leibeigenschaft. Sie erstarrten gleichfalls in der Knechtschaft und blieben in der kulturellen Entwicklung mit hinter den privilegirten Klassen zurück. Daß der Bauer im allgemeinen selbst heute noch weit von den sogenanten„ gebildeten" Volksklassen getreut ist, das findet seine hauptsächlichste Erklärung in der Leibeigenschaft, deren Fesseln ihm erst im Anfange unseres Jarhunderts abgenommen wurden. Allerdings gesellt sich hiezu auch die Vernachlässigung der Bauern nach ihrer Emanzipation durch die Gesellschaft und ihre Organe, die sich nicht mehr sonderlich um sie kümmerten und sie einfach ihrem Schicksale überließen. In noch viel höherem Maße wurden von dieser Vernachlässigung die Juden betroffen, die in Preußen heute noch zu ben am lieblosesten behandelten Stiefkindern der Gesellschaft gehören und die jezt noch nicht im Vollbesize der bürgerlichen Rechte sich befinden, wenn formell auch die konfessionellen Schranken zwischen Juden und Christen gefallen sind.
Mit der Emanzipation der Juden und Bauern hat sich bei Juden und Christen ein Berufswechsel eingestellt; der noch heute fortdauert und durch die allgemeinen sozialen Verhältnisse beeinflußt wird. Wie bedeutend dieser Wechsel bei den Juden ein
*) Wer sich über die Berufstätigkeit der Juden, ihre Schicksale und ihre Zukunft unterrichten will, den verweisen wir auf die von uns Nr. 20 d. Bl. besprochene, im Berlage von 2. Morgenstern in Leipzig erschienene ,, Rechtfertigung der Juden und ware Lösung der Judenfrage" von Dr. C. L. Beck.
Die Redaktion.
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getreten, das haben unsere Zalen gezeigt. Groß ist auch die Anzal der Bauern, welche seit der Emanzipation der Landwirtschaft den Rücken gekehrt und in den Städten eine bessere Eristenz gesucht, als der ursprüngliche Beruf sie ihnen zu gewären vermochte.
Der Berufswechsel hier wie dort wird zumteil auch durch die höhere Achtung beeinflußt, die der sogenante geistige Beruf sich erworben. Mit der Bildung erwacht in den unteren Schichten der Bevölkerung das berechtigte Verlangen, sie so fruchtbar als möglich zu verwerten, mit ihrer Hilfe eine bessere Existenz als die der eigenen Kaste sich zu erwerben. Dieses Streben wird ein brennendes durch die ruinirende Einwirkung jenes gewaltigen wirtschaftlichen Prozesses, der alljärlich viele tausende kleiner Handwerker und Bauern an den Bettelstab bringt, wärend er auf der anderen Seite den Großbetrieb der Judustrie und Landwirtschaft begünstigt. Beim kleinen Handwerk und der zersplitterten Bauernwirtschaft ist eben feine Seide mehr zu spinnen, wie man zu sagen pflegt. Bei dieser Sachlage ist es keinem Menschen zu verdenken, wenn er lohnenderen Beschäftigungen sich zuwendet. Auf der anderen Seite erscheint es auch unbillig, an die Juden die Forderung zu stellen, sich auf ein sinkendes Schiff zu begeben, d. h. partout Berufszweigen sich zuzuwenden, die nur noch in seltenen Fällen ein halbwegs ausfömliches Dasein ermöglichen. Indem eine solche Forderung geltend gemacht wird, fällt es übrigens niemandem ein, nach der Befähigung des Individuums zu fragen. Man sezt bei den Juden einfach Arbeitsschen voraus und glaubt dafür die Verurteilung derselben zu schwerer Arbeit aussprechen zu müssen. Es liegt auf der Hand, daß ein in dieser Richtung gegen die Juden geübter Zwang in wirtschaftlicher und und allgemein rechtlicher Beziehung geradezu ein Verbrechen wäre.
Jeder denkende Mensch würde es sicher freudig begrüßen, wenn der Staat sich darum kümmerté, daß der einzelne, seinen Talenten und Fähigkeiten entsprechend, in der Gesellschaft seine denkbar beste Verwendung fände. Wir wünschen, daß er es machte wie vernünftige Eltern es tun, die bemüt sind, ihren Kindern eine ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechende Berufsrichtung zu geben, sie das werden zu lassen, wozu sie sich am meisten und besten eignen. Was die einzelnen im Seleinen üben, das sollte der Staat, der zum Wole des einzelnen geschaffene Organismus, nicht unbeachtet lassen. Hebend, veredelnd, erzieherisch auf die Volksmassen einzuwirken, das müßte eine seiner elementarsten, zugleich aber auch wichtigsten Aufgaben sein, die nicht nur vom volkswirtschaftlichen, sondern auch vom Standpunkte der Volksgesundheitspflege aufzufassen wäre. Die Nervojität wäre im deutschen Reiche sicher nicht eine so große, wie sie es heute tatsächlich ist, wenn für einen gehörigen Ausgleich zwischen geistiger und körperlicher Arbeit gesorgt wäre und die Einseitigkeit in der Berufstätigkeit verhütet werden könte. Es würde gewiß den heute vorwiegend und einseitig geistig Tätigen förperlich und geistig nüzen, wenn sie täglich 2 Stunden sich mit körperlicher Arbeit in der Landwirtschaft oder in sonst einem Fache beschäftigten. Und umgekehrt wäre es den ausschließlich an die schwere Arbeit geketteten Menschen äußerst heilsam, wenn sie sich täglich auch ein par Stunden geistig beschäftigen fönten. Das Resultat würde sein, daß die lächerlichen Vorurteile gegen die schwere Arbeit schwinden, die schroffen Gegensäze zwischen geistiger und körperlicher Tätigkeit sich ausgleichen wurden. Wir wissen gar wol, daß in dieser Richtung noch mehr geschehen müßte, daß noch ganz andere Faktoren dabei in Betracht fallen; an der schweren, an der niedrigen Arbeit haftet ja der Fluch und das Elend, das in bedenklichster und verwirrendster Weise die Gegensäze zwischen der geistigen und der physischen Arbeit erweitert.
Doch es ist hier nicht der Ort, ausfürlicher auf diesen Punkt einzugehen. Der Staat ist erst zum kleinsten Teile seiner wichtigen Aufgabe inne geworden, und im allgemeinen erscheint er, seinen verfehlten Beruf als Erzieher bezeichnend, gewissermaßen als Prügelpädagoge, und dazu nur in den Zuchthäusern! Was wir als heilsam andeuteten, das wird noch lange frommer Wunsch bleiben.
Wie der ware Pädagoge niemals durch Prügel erzieht, so sollte jeder Staat sich hüten, one weiteres, d. h. one gründliche Prüfung und Unterscheidung, durch Zwangs- oder Gewaltmaßregeln die Berufstätigkeit einer Volksklasse umgestalten zu wollen. Er würde dabei mehr verderben als verbessern. Und nun vollends gar, wenn der einzige Vorzug des neuen Berufs im Aufwande großer förperlicher Anstrengungen bestünde, dem nicht ein