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gleich darauf auf einem Farplaze, den mit besonderer Scheu und Sorgfalt jeder andere bis dahin vermieden hatte.
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Auf dem Rücksize einer offenen Kutsche wurde ich plazirt und fam erschrecklich zu sagen: neben dem Landjäger zu ſizen, der am Abend vorher beim„ goldenen Schlüssel" auf Posten gestanden und drinnen auf Ermunterung seiner Oberen als Zecher redlich das Seinige geleistet hatte.
Damit noch nicht genug. Die anderen Pläze wurden von höheren urner Regirungsbeamten eingenommen, die zumeist Juristen und in der Gegend natürlich allgemein bekant waren.
Die Peitschen knallten, die Pferde zogen an, und nun gings südwärts auf ebener Straße den Alpen entgegen.
Ich für mein Teil erlebte schon hier gar Merkwürdiges. Die Leute in den Straßen Altdorfs wiesen mit den Fingern auf unsere Karosse, manch mitleidiger Blick, aber auch manche hämische Grimasse, wurden speziell meiner Wenigkeit gewidmet. Hie und da ranten wol auch mit seltener Ausdauer einige handfeste Buben im Trab neben dem Furwerk einher, um, wie es schien, meinen Anblick etwas länger zu genießen.
Ein alter Herr, an dem wir etwas gemächlicher vorüberfuren, beeilte sich durch ausdrucksvolles Räuspern etwas wie Abscheu vor mir an den Tag zu legen, und in einem nahen Baumgarten rief eine noch ältere Frau mit etwas gellender Stimme die anderen weiblichen Wesen herbei, damit diese meinen Anblick nicht versäumen sollten!
Das Verständnis der Situation dämmerte mir plözlich auf und das Gleiche mochte auch bei den anderen Insassen des Vehikels der Fall sein, denn schließlich lachten wir alle zusammen über den Irrtum der Leute.
Die Herren waren zumeist höhere Gerichtsbeamte, ich saß als Fremder mit ihnen in einem Wagen, neben mir der bewaff nete und uniformirte Diener der heiligen Hermandad, kein Zweifel, ich war ein schwerer Verbrecher, der zum Schauplaze irgend einer Schreckenstat, vielleicht Brandstiftung oder Mord, unter hinreichender Begleitung und per Post, warscheinlich weil die Untersuchung Eile hatte, befördert wurde!
Inzwischen waren wir den Gebirgsriesen nahe gekommen, die das Tal einengen und die Gotthardstraße mit dem Reußfluß näher aneinander drängen. Droben an den zumteil von dunklem Gebüsch und Nadelholz eingerahmten und von Felskolossen oder Firn- und Gletschermassen überragten Bergmatten, zeigten sich hie und da in winziger Form die Sennhütten und hin und wieder ließ dort oben ein frohgeftimter Küher seinen langge30genen Jodler erschallen oder sante seinen Gruß mit den dröhnenden, dumpfen Klängen des Kuhhorns ins Tal hernieder.
Diese Töne in dieser Landschaft vernommen, erregen und bewegen mächtig. Sie errinnern an die glorreiche Vorzeit des schweizerischen Bolkes, als es, mangelhaft ausgerüstet und ungeschult im Waffendienste, selbst in den Ebenen den übermächtigen Scharen seiner Gegner siegreich entgegentrat und dieselben vernichtete oder verjagte.
Bor den Klängen des Stiers von Uri, jenes großen Hornes, erbebte der gefürchtetste Heerfürer seiner Epoche, Herzog Karl der Kühne von Burgund , der Zerstörer Lüttichs, bei Granson und Murten . Auch andere Kriegshelden und Gewalthaber lernten zu ihrem Schaden die zähe Ausdauer und Tapferkeit des Berg boltes kennen, bis endlich die Macht des Goldes auch in diesen Tälern triumphirte und die Wächter der Unabhängigkeit und Freiheit in gefügige Kriegsknechte verwandelte. Ehemals stets bereit mit der Waffe in der Faust für Freiheit und Selbständig keit der benachbarten Stämme Gut und Blut zu wagen, wurde Uri bald darauf zum grimmigſten Tyrannen und etablirte südwärts vom Gotthard bis zu den oberitalischen Seen seine harte Zwangsherschaft, die Jarhunderte hindurch den alten Glanz des Boltes verdunkelte, seine Tatkraft lähmte und schließlich seinen tiefen Fall im Jare 1799 beschleunigte.
Rechts und links zeigten sich aber bei der herlichen, Klaren Herbstwitterung nicht blos imposante Gebirgsszenen, sondern auch an den unteren Geländen und in der Talniederung manche ge=
schichtlich hochinteressante und zugleich höchst anmutige und ma lerische Orte. Silenen mit seinen prächtigen Nußbaumgruppen, seinen romantischen und karakteristischen Bauernhäusern, die den echten Schweizerstil repräsentiren und der landschaftlichen Umgebung vollständig entsprechen, war bald passirt und mun ging es im flotten Trabe am Fuße des Hügels vorüber, der auf feiner mäßig umfangreichen Gipfelfläche noch heute die lezten Mauerreste und Trümmer von Swing- Uri aufweist.
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Mit diesem Häuslein wollt ihr Uri zwingen? Laßt sehn, wie viel man solcher Maulwurfshaufen Muß über' n'ander sezen, bis ein Berg
Draus wird, wie der geringste nur in Uri!"
schrieb der Sänger Tells.
Unsere Wagenreihe rollte an der engen Ausmündung eines Alpentals vorüber und Amstäg war erreicht.
Nun gings über eine Brücke bergauf, welche die schäumende und tosende Reuß überwölbt und jezt erst befuren wir die eigentliche, von 1826 bis 1832 erbaute Gotthardstraße.
In Gneisfelsen, die sich zur rechten Seite schroff erheben, links dagegen in wildzerklüfteten Massen zur jähen Tiefe hinabsenken, ist die Straße hier mit einer Steigung von 5 bis 7 Fuß auf hundert eingesprengt. auf hundert eingesprengt. Unten in der tiefen unheimlichen Schlucht rauscht die Reuß zu Tale, drüben am Bergabhange zeigen sich, an gigantische Felsmassen gelehnt, alte verwitterte Almhütten und parallel mit dem in der Schlucht abwärts eilenden Flusse, erblickt man die Reste der alten, ehemals ebenfalls vielbenuzten Gotthardstraße am jenseitigen Berggelände.
Zuweilen präsentirt sich an der Straße, wo das Wiesengelände neben Waldung und Felsmassen größere Ausdehnung gewint, eine kleine ländliche Besizung, die im Winter den Lawinenstürzen ausgesezt sein mag. Munteres Hornvieh drängt sich manchmal bis zur Poststraße hervor und wird in der Regel erst durch das Sausen der Postillionspeitsche über die eigentliche Bedeutung des Verkehrsweges belehrt.
Endlich erscheint der Weiler Intschi, die Felsenmassen rücken näher zusammen und bieten in ihrer Großartigkeit und mit ihren zerklüfteten Flächen, Blöcken und Geschieben neue imposante Gebirgsszenerien, die voll und effektreich auf die weiteren Partien einigermaßen vorbereiten.
Hie und da stürzt in schäumenden Kaskaden, aus engen Gebirgsschluchten und Waldtälern hervorstürmend, ein Bach zur Tiefe, und seine Wogen erschüttern die beweglicheren Teile seiner Schranken.
Je weiter die Straße aufwärts fürt, desto häufiger schaut man auf den Abhängen und an den grünen Matten kolossale Felstrümmer und Geschiebe, die von den Höhen im donnernden und verheerenden Sturze sich einst niedersenkten, dann aber, durch irgend ein Hindernis im weiteren Falle gehemt, zuweilen inmitten einer grünenden Bergmatte bis auf den heutigen Tag Halt machten.
Viele dieser gigantischen Blöcke, zu groß um gesprengt oder sonst beseitigt zu werden, neigen sich drohend über die Straße und sind dann zumteil mit solider Untermauerung in ihrer Lage gesichert worden. Flechten und Moose überziehen einzelne Flächen dieser Steinmassen und hie und da erzeugte der Unver
stand und blinde Aberglaube früherer Zeiten romantische Volkssagen, deren tragikomischer Held dann gewönlich, der Gewonheit des Mittelalters entsprechend, entweder der überlistete Teufel oder ein Mönch sein muß.
Von hochaufragender Felsbastion winkt das Alpendörfchen Gurtnellen ins Tal, dessen anmutiger Hintergrund von den grünen Matten des Geisberges gebildet wird.
Ein Chaos von zerstreut liegenden Felstrümmern bedeckt die Berggelände. Alte Wettertannen beschatten stellenweise zu dichterer Waldung vereinigt einen bedeutenden Teil dieser Gebirgstrümmer, und die niedere Vegetation der Flechten, Moose und
Gebirgsträuter breitet ihren Teppich über die starren Gesteinmassen aus.
Ein roter Staubflechtenüberzug auf diesen Felsüberresten, das sogenante Veilchenmoos( Bissus irlithus), wird hier von armen Leuten gesammelt und als ergibiger Farbestoff dann unten im
Tale verkauft und in die weite Welt hinaus verhandelt.
Endlich schwindet die Waldung an den Abhängen des Tales, die nackten Gesteinflächen vermehren sich, und bald darauf bewegt sich unsere Wagenreihe über die wildromantische Pffaffensprungbrücke, von der aus talwärts sich eine weite Fernsicht bietet.
In unheimlicher Tiefe, in der Dämmerung einer halbdunklen engen Felsschlucht tost in wilder Brandung die Reuß. In der Vorzeit soll hier ein Mönch, der ein Mädchen gewaltsam entfürt hatte, und vom Volke verfolgt wurde, mit seiner Beute den Sprung über diese Schlucht gewagt und glücklich ausgefürt haben,
daher der eigentümliche Name der Brüde.
Wir befinden uns nun auf einem Gebirgsterrain, das, zumeist aus Granit bestehend, die Bebauung und Ausnuzung des Bodens erheblich erschwert. Kleine und mühsam angelegte Kartoffel