gärtchen zeugen von der Energie und zähen Ausdauer der Tal­bewohner, denen keine Mühe und Last zu groß ist, wenn nur irgend ein Erfolg zu erwarten ist.

Das Dorf Wasen , in einer Meereshöhe von 2823 Fuß, ist erreicht, unser Posttrain hält, und wer war froher als ich, da ich jezt von meinen Fargenossen befreit wurde. Einmal und nie wieder, wenn es irgend möglich ist, dachte ich in meinem Innern, als die Herren sich freundlichst verabschiedeten und über das Auf sehen, welches wir bei den Talbewohnern erregt hatten, noch einige Scherze äußerten.

Bald begann die Weiterfart. Wieder wechselte über einige Brücken hinweg die Straße die Ufer der Reuß, und wilder und drohender gestaltete sich jezt der Karakter der Gegend.

Die Brücken sind mit starken, schmiedeeisernen Stäben und Klammern hier besonders gegen den Anprall niedersausender Lawinen gefestigt, denn häufig genug schleudern die gewaltigen Wassen, wenn der Sturz jäh und heftig erfolgt, große Fels­trümmer an den Abhängen empor.

Die lezten Gerstenfelder zeigen sich jezt inmitten steriler Ge­röllhalden und mehr und mehr tritt das Mineralreich mit seinen starren Felsdekorationen nackt und schroff in den Vordergrund der Landschaft.

Nahe der Straße steht aufrecht ein hausgroßer Felsblock, der seit Jarhunderten in dieser eigentümlichen Stellung am Abhange sich behauptete. Seine mächtigen, fast spiegelglatten Flächen be­funden hinreichend die Härte des Gesteins.

In der Vorzeit entstand hier eine Volkssage, die noch heute bei der biederen Talbevölkerung in Ansehen steht. Des Felsens pikante Benenung gipfelt in der Bezeichnung: der Teufelsstein. Der im frommen Mittelalter viel und oft erwähnte angebliche Unstifter alles Unheils soll sich hier s. 3t. recht einfältig benommen haben. Im Begriff, den wuchtigen Felskoloß zu transportiren, soll er durch den landesüblichen Gruß eines Bauern, der ihm ein fröliches Grüß Gott!" zurief, derartig aus der Fassung ge­bracht worden sein, daß er den Stein hier absezte, schleunigst das Weite suchte und bis heute den Stein auf diesem Plaze ließ.

Viel Kopfzerbrechen wird die Erfindung dieser Mähr nicht verursacht haben, weniger jedenfalls als die Bemühungen kompe­tenter Forscher, den Heimatsort und die einstige Bewegung des gewaltigen Blockes zu ermitteln.

Endlich ist Göschenen mit seiner wildzerklüfteten und höchst malerischen Talenge erreicht. Der hier bei der Poststation er­folgende Austausch der Sendungen, sowie der Pferdewechsel, ver­anlaßte wieder einen längeren Aufenthalt, wärend dessen die Passagire mit halbsteifen Gliedern sich aus der drangvollen Enge der Postkutschen retteten, um frische Luft und etwas Aus­sicht zu genießen.

Da die Poststation dieses Dorfes einen weiten und freien Ueberblick über das Tal und die Reußschlucht in der Tiefe ge­währt, konte man sich keineswegs über Langeweile und Unter­haltungsmangel beklagen; im Gegenteil, es gab sehr viel zu schauen, und noch mehr zu denken bei dieser überreichen Aussicht.

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Ticht an der Straße senkt sich das Terrain in Gestalt schroffer, nadier Steinwände zur Tiefe hinab, in deren unterster Kluft die schaumbedeckten Wasser der Reuß in ununterbrochener Brandung zwischen Felstrümmern und Klippen dahingleiten. Drüben am Talrande erheben sich steil und in gigantischer Ausdehnung die Flächen imposanter Granitfelsen, über deren hie und da mit dunklem Nai elgehölz bestandenen Höhenpartien die mit ewigem" Schnee und Eis bedeckten Kuppen der Hochgebirge emporragen. Jenseits der Schlucht, wo in außergewönlich reichen Mengen massenhafte Kolen- und Roeisenvorräte lagerten und wo das zu Tage geförderte, im Innern des Berges gebrochene Gestein eine imposante Kampe über dem Abhange bildete, durchbrachen die Felswand zwei umfangreiche, gewölbte Portale, deren Anblick uns mehr denn alles Andere fesselte.

Die nahen, langgestreckten Maschinenhäuser mit dem modernen Rauch und Qualm, mit mannigfachem Geräusch und Lärm, er­regten weniger unsere Beachtung als jene grabesstillen Gewölbe­pforten, durch die Schienenpfade zum geheimnisvollen Kerne des Urgebirges füren.

Bleiche, dürftig gekleidete Männer, mit Grubenlampen und Arbeit geräten versehen, schritten an uns vorüber, um später jene Portale passirend, zu ihren unterirdischen Arbeitsstätten zu wan­dern. Es waren jene Helden der Arbeit, die bei harter, schwerer Tätigkeit und für fargen Lohn den Gefaren der Bergestiefe trozten und tagtäglich auf's neue ihr Leben auf's Spiel sezten.. Ein

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trauriges Loos im monotonen Kampfe um's Dasein bietet jeden­falls diese Tunnelarbeit der Gegenwart; namentlich dort, wo mit der gigantischen Ausdehnung des Unternemens die Beschwerden sich häufen und die Gefaren sich steigern.

Gewaltige Rörenleitungen, deren Umfang stellenweise den Dimensionen mäßig großer Dampffessel glich, waren ebenfalls warzunemen. Sie bekundeten, daß da drinnen im Schoße des Gebirges nicht blos menschliche und tierische Muskelkräfte Ver­wendung fanden, sondern daß auch die Elemente, wenn dieser physikalische veraltete Ausdruck hier gestattet ist, zur ergibigen Dienstleistung herangezogen und benuzt wurden.

Seitdem der genfer Professor Collason vorgeschlagen hatte, die in den Tunnels zur Verwendung gelangenden Bormaschinen nicht mehr durch Muskelkraft, sondern durch komprimirte Luft in Betrieb zu sezen, war man imstande, die erwänte bewegende Kraft mit unerheblichem Verluste über weite Strecken hin bis zu den Arbeitsstätten zu leiten.

Daher die umfangreichen Rören am Bergabhange, in denen die atmosphärische Luft, auf den zwanzigsten Teil ihrer gewön­lichen Raumausdehnung durch die Wasserkräfte der Reuß zusam mengepreßt, zu den Bormaschinen geleitet wurde, um dort einer­seits die Bohrer und Meißel ins Gestein zu treiben und um andrerseits gleichzeitig den Arbeitern und Tieren im Tunnel die dringend nötige Atemerfrischung zu spenden.

Und wenn man hier stundenlang verweilt hätte, es hätte immer wieder des Neuen und Anregenden gar viel zu sehen ge geben, aber darum kümmerte sich der Leiter unseres Posttrains selbstverständlich nicht; ihn rief die Pflicht und uns die Not­wendigkeit, rechtzeitig wieder fortzukommen.

Meine Wenigkeit war nun im Vordercoupée auf dem Mittel­plaze untergebracht worden und ich pries wieder einmal die Gunst des Schicksals, die mich auf diese Weise in das Hauptfur­werk an der Spize des Zuges auf einen aussichtsreichen Siz gefürt hatte.

Geradeaus und rechts und links konte man hier in die Welt hinausschauen, und das war nicht übel. Vorn boten sich zu­nächst, in zwei Fronten rangirt, sechs fräftige Pferderücken, die sich, je nachdem es im furzen Trab oder im langsamen Berg­schritt vorwärts ging, mehr oder weniger senkten und hoben.

Die Häuser und Häuschen des Dorfes Göschenen boten da­mals in ihrer äußeren und inneren Beschaffenheit des Besonderen genug. Fast jedes war zu einer Arbeiterkaserne von spekulativen Unternehmern umgewandelt worden, die hier den armen italieni­schen Arbeitern auf verschiedene Manir die Beutel. zu erleichtern suchten. Ueberall gewarte man Verkaufsläden, in denen leichte Ware ausgelegt war oder auch mitunter zu den Fenstern und Türen der betreffenden Lokalitäten heraushing. Der Unbemit telte kauft am Teuersten!" mochte sich auch hier bewären; und Professor Reuleaux vielzitirtes, seiner Zeit speziell der deutschen Industrie gewidmetes Stachelwort mochte hier besser als irgendwo jeine Anwendung finden.

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Jezt rollten unsere Karossen und Beiwagen über die kühn­gewölbte Steinbrücke von Göschenen , um oben am jenseitigen Bergabhange, den Abgrund entlang, in die Schöllinenschlucht den Einzug zu halten. Die Brücke gewärt eine genußreiche Aussicht bei hellem Wetter.

Stundenweit überblickt man von hier aus das einsame und mit gigantischen Gebirgstrümmern übersäete Göschenental; und wärend hoch oben, die Vorberge überragend, blendendweiße Hoch gebirgskämme und Gipfel sich erheben, gähnt in der Tiefe der Reußschlund, aus dem das fortwärende Brausen stürzender Wassermassen emportönt.

Die Häderlibrücke fürte uns wieder zum rechten Reußufer hinüber und die im Winter wegen ihrer Lawinenstürze verrufene und berüchtigte Schöllinenschlucht mit ihrem schroffen, fast von jeder Vegetation entblößten Felsterrain hatte uns aufgenommen.

In mannigfachen Windungen schlängelt sich die Poststraße an den Felswänden empor, auf der einen Seite starre Felswände oder schmale, unheimlich öde und abschüssige Geröllhalden, und auf der anderen Seite der jähe Abgrund des grausigen Fels schluudes, in dessen untersten Klüften die Reuß zu Tale eilt.

zug gibt Kunde von der immensen Gewalt, mit der die ver Ein fast unaufhörlich diese Felsenenge durchbrausender Luft und der niedrigeren Talgegenden die Ausgleichung ihrer Ge schiedenartig erwärmten und bewegten Luftschichten der oberen wichtsmassen anstreben.

( Fortsezung folgt.)

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