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Die Entdeckung des Sauerstoffs und des Wesens der Verbrennung.

Naturwissenschaftliche Skizze von P. n.

Die Wage ist das Symbol der heutigen Naturwissenschaft. Der Naturforscher, der einen neuen Saz aufstellt, muß ihn be­gründen durch Maß und Gewicht. Erst, nachdem man dem Züngelchen an der Wage die Macht gegeben, eine Teorie als zulässig zu erklären odec sie für immer aus der Wissenschaft zu verbannen, wurde eine richtigere Ansicht über den Verbrennungs­prozeß ermöglicht.

Es entspricht der Anschauung eines Kindes, daß das Feuer die verbrennenden Stoffe auflöse; wie der Zucker unter dem Ein­fluß des Wassers, so verschwindet das Holz, wenn die leckende Flamme es berürt. Das Feuer verzehrt das Holz" ist noch heute ein allgemein gebrauchter Ausdruck. Diese Ansicht fürte zu der Anname eines besonderen Feuerstoffes, welcher die wäg bare Materie zerstöre. Bald aber wurde ein großer Fortschritt gemacht. Man fing an, die bei der Verbrennung auftretenden Körper zu beachten und nichts schien naturgemäßer als die An­name, daß die Verbrennungsprodukte aus dem verbrennenden Stoff abgeschieden seien. Ein eigentümliches verbrenliches Prinzip sei in aken   brenbaren Körpern enthalten und bedinge die Ver­brenlichkeit. Das beim brennenden Schwefel auftretende stechend riechende Gas, die schweflige Säure, ist nur aus dem Schwefel abgeschieden. Schwefel besteht aus schwefliger Säure und dem brenbaren Prinzip. Aus diesem und Eisenoxyd ist das Eisen zusammengesezt.

Diese Ansicht, die von Becher( 1635-1682) namentlich ver­teidigt wurde, fand eine noch größere Verbreitung, nachdem Stahl ( 1660-1734) mit großem Eifer sich ihrer angenommen. Stahl faßte sehr richtig alle Verbrennungserscheinungen aus demselben Gesichtspunkte auf und wante auf alle dieselbe Teorie an. Bechers verbrenliches Prinzip nante er" Phlogiston". Ein Körper ver brent, indem er sein Phlogiston abgibt, und um so brenbarer ist ein Körper, je mehr Phlogiston er enthält. Bei dieser Teorie, ihrer Verteidigung und allgemeinen Aufname herscht ein höchst merkwürdiger Karakterzug des ganzen Zeitalters vor, auf den ich gleich näher eingehen werde. Die ganze Forschung hatte bisher nur das eine Ziel gekant, festzustellen, welche Stoffe in diesem oder jenem Körper enthalten seien, welche Veränderungen die verschiedenen Stoffe auf einander ausüben und wie sich aus zweien ein ganz anderer, neuer, dritter herstellen läßt. Niemand hatte danach gefragt, in welchem Verhältnis die Stoffe mit einander sich verbinden, wie viel von diesem oder jenem Stoffe in die Verbindung eingehe, wie viel von diesem oder jenem in einem Körper enthalten sei, und was der neue Körper wiege, wenn zwei Stoffe von bekantem Gewicht mit einander sich ver­binden. Kurz: man hatte nur qualitativ geforscht, one um quan­titative Verhältnisse sich zu kümmern. Daraus, daß diese Ideen die durchaus leitenden waren, ist allein erklärlich, wie ein Geist gleich Stahl es ganz unbeachtet lassen und für unwesentlich halten fonte, daß ein verbrennender Körper, der nach seiner Teorie etwas ( das Phlogiston) verliert, dennoch" leichter wird, daß z. B. Eisen besteht aus Eisenkalk und Phlogiston und dessenungeachtet" leichter ist, als die bei seinem Verbrennen entstehende Wenge Eisenkalk. Die Tatsache war ihm sehr wol bekant, aber sie wurde als zu fällig, als unwesentlich betrachtet.

Nach und nach wurde der Zeitgeist ein anderer. Immer be­stimter machte man der Phlogistonteorie diesen Einwand, die sich bann mit den abenteuerlichsten Erklärungen zu helfen suchte. Hierher gehört z. B. die Anname, das Phlogiston werde von einem andern Weltkörper stärker angezogen als von der Erde, es strebe von der Erde sich zu entfernen, und indem es nun mit einem Stoffe sich verbinde, teile es demselben von diesem Streben mit, mache ihn also leichter.

Die Unhaltbarkeit dieser Ideen bewies schon, daß die Zeit herannahe, wo man die Phlogistonteorie zu Grabe tragen werde. Und in der Tat waren allmälich so viele Tatsachen bekant ge= worden, daß es nur des ordnenden umfassenden Geistes bedurfte, um das Zeitalter, das der Herschaft der qualitativen Anschau­ungsweise entwachsen war, vollends davon zu befreien und die Forschung auf andere Bahnen zu lenken. Leichter wurde dies um vieles dadurch, daß Priestley   im Jare 1774 den Sauerstoff

entdeckte, one aber daran die so nötige und erwünschte Reform der Wissenschaft selbst zu knüpfen. Der Ruhm dieser Tat gebürt Lavoisier  ( 1743-1794), der es zuerst überzeugend und klar aussprach, daß die quantitative Untersuchungsmetode die allein berechtigte sei.

Lavoisier   brachte eine gewogene Menge Zinn in ein gewogenes Glasgefäß und verschloß dies luftdicht. Nach längerem Erhizen hatte alles Zinn sich in Zinnasche( Zinnoryd) verwandelt. Als er darauf das Gefäß öffnete, drang Luft ein und nun wog das Gefäß mit dem Zinn mehr als vor dem Erhizen und zwar um so viel, als das Zinn an Gewicht zugenommen hatte. Aus diesem Versuch durfte er schließen, daß das Zinn bei seiner Ver­brennung mit einem Bestandteil der Atmosphäre sich verbunden habe, und es war nach Priestley's Entdeckung des Sauerstoffs nicht schwer, zu wissen, welcher Bestandteil der Atmosphäre dies gewesen.

Verlassen wir nun den geschichtlichen Boden und wenden wir uns Tatsachen zu, die mit den einfachsten Hilfsmitteln von jeder­mann können beobachtet werden.

Es ist eine uns allen bekante Erscheinung, daß in einem ab­geschlossenen Raum ein brennender Körper sehr bald erlischt. Aber was geht dabei vor? Ich bitte meine Leser und Leserinnen durch folgenden leicht anzustellenden Versuch dies zu untersuchen. Eine größere Medizinflasche, deren Boden gleichmäßig abgesprengt ist, fann man leicht von jedem Apoteker erhalten. Dazu auch einen gut schließenden Pfropfen für den Hals der nunmehr zur Glocke gewordenen Flasche. Ein Stückchen Drat und ein fleiner Fingerhut, der sich bequem durch den Hals der Glocke stecken läßt, ist bei der Hand. Nun winde man den dünnen Drat etwa zweimal um den Fingerhut, biege ihn dann gerade in die Höhe und stecke das Ende in den Pfcopf, so daß, wenn man lezteren auf die Glocke sezt, der Drat senkrecht in dieselbe hineinragt und die Deffnung des Fingerhuts nach oben gekehrt ist. Der leztere befinde sich in der halben Höhe der Glocke. Diese stelle man in eine Schüssel und gieße so viel Wasser ein, daß die Glocke bis unter den Fingerhut angefüllt ist. Der Pfropf ist entfernt und das Wasser steht in der Schüssel und in der Glocke gleich hoch. Nun bringe man ein erbsengroßes Stückchen Schwefel in den Fingerhut, zünde es an, sente es schnell in die Glocke und seze den Pfropf fest auf, so daß er luftdicht schließt. Der Schwefel brent ruhig fort, die Glocke füllt sich mit dichten Dämpfen und das Wasser tritt, weil die Luft ausgedehnt wird, etwas zurück. Aber bald erlischt der Schwefel, allmälich verschwinden die Dämpfe, die Luft erkaltet wieder und das Wassersteigt in der Glocke um ein Bedeutendes höher, als es im Anfang des Versuches stand und als es in der Schüssel noch steht. Es wird also ganz klar, daß der verbrennende Schwefel mit einem Teil der Luft in der Glocke sich verbunden hat. Das Verbrennungsprodukt, die bekante schwefliche Säure löste sich in dem Wasser und dies trat an die Stelle der vom Schwefel aufgenommenen Luft.

Priestley   kochte gewogenes Quecksilber sehr lange im ver­schloffenen gewogenen Gefäß. Nach dem Erfalten wog das wiedergeöffnete Gefäß mit dem Quecksilber mehr als beim Beginn des Versuches. Dabei hatte sich ein hochroter Körper gebildet. Priestley   sammelte diesen roten Körper und erhizte ihn in einem solchen Apparate, der das Auffangen von Gasen gestattete. Der

rote Körper hatte sich, wie wir wissen, durch Erhizen des Queck­silbers gebildet, nun, bei stärferem Erhizen bräunte er sich und verschwand allmälich. An den fälteren Teilen des Apparates aber sammelte sich erst ein schwacher grauer Anflug, der stärker und stärker wurde, endlich in kleine glänzende Kugeln zusammen­floß und als metallisches Quecksilber sich kund gab. Dabei hatte sich ein farbloses, geruchloses und geschmacklojes Gas entwickelt, welches genau so viel wog, als bei dem ersten Versuch das Queck­silber schwerer geworden war. Hier war also der bei der Ver­

brennung verschwindende Teil der Luft rein dargestellt und es

konten nun seine Eigenschaften, die ihm den Namen Sauerstoff ( Drygen) verschafften, genau studirt werden. Der bei der Ver­brennung zurückbleibende Teil der Luft, den wir in unserm ersten

Versuch erhielten, ist unfähig die Verbrennung zu unterhalten.