Volkes völlig unterordnen. Dadurch schon, daß sie den Brant­weingenuß förderte, trug sie natürlich viel zum Ümsichgreifen der Demoralisation, zur Barbarei und Berwilderung der Massen wie auch zur Vergrößerung des materiellen Elends derselben und speziell desjenigen der Bauern bei.

Man weiß, daß aus Nazaret zuweilen doch auch Gutes kommen kann und man wird es uns deshalb nicht verargen, wenn wir auf ein sehr verdienstliches Buch verweisen, das in dem historisch denkwürdigen Plößensee bei Berlin seinen Ursprung hat, jedoch nicht etwa aus der Feder des Herrn Tessendorf stamt, sondern aus der des Sanitätsrats und Oberarzt Dr. A. Bär. Es ist in Berlin 1878 erschienen und fürt den Titel: Der Alkoholismus, seine Verbreitung 1. s. 1." Herr Dr. Bär macht uns mit dem Monopolgeschäft der russischen Regirung bekant. Sie verkaufte alljärlich und zwar im Frühjar das Recht des Brantweinbetriebes und des Verschänkens in eigentümlicher Weise zu geheim gehaltenen Preisen. Die Fabrikation selbst wurde nur unter der Bedingung gestattet, den fabrizirten Spiritus zu einem bestimten Preise an die Krone auszuliefern, die ihn dann weiter verkaufte. Der Finanzminister sezte im voraus, vor der Ernte, den höchsten Preis für den Spiritus aus, über den hin­aus ein Angebot überhaupt nicht angenommen wurde. Je nach dem nun die Getreideernte ausfiel, gestaltete sich das Geschäft für die Käufer günstig oder ungünstig. Für diese bildete er den Gegenstand großartiger Spekulationen, bei denen oft ungeheure Summen verdient, aber auch ebensogut verloren wurden. Die Krone selbst hatte ihre Einnamen von vornherein festgestellt; ein Hauptinteresse besaß sie auf alle Fälle daran daß recht viel Brantwein getrunken ward, denn je größer der Konsum, um so sicherer ein ihrem Preise entsprechendes Angebot.

Dr. Bär zitirt aus Reids Cyclopedia" p. 289 f. die Angabe, daß dem Adel in Großrußland daran lag, seine große Anzal von Leibeigenen zufrieden zu stellen und dies ließ sich am ehesten erreichen, wenn sie dem Trunke verfallen waren. Wärend die Regirung die größere Zal der Schänkwirtschaften gerne duldete, sorgte der Edelmann für die Bauersleute und er­munterte sie zum Trinken."

" Daher konten", bemerkt Dr. Bär, in Rußland nie Mäßig teitsgesellschaften entstehen, sich vermehren und halten. Die Regirung, der Adel, die Pächtersgesellschaften und die mit ihr Hand in Hand gehende Menge von Beamten wirkten ein­trächtig zusammen, um den Brantweinkonsum zu steigern und jede Belehrung und Anfklärung des Volkes geflissentlich fern zu halten. Hier liegt der Grund zur stetigen Zuname der Trunk­sucht in Rußland , durch die das Volk, das kein anderes Zer­streuungsmittel kennt, brutalisirt wird. In Großrußland, sagt Rohl in seinem Reisewerke über Rußland , werden in einzelnen Provinzen die Landleute zum Trinken verfürt, in andern dazu gezwungen."

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Krone und Adel, Käufer und Pächter sind also nach Kräften bemüht, es ist gewissermaßen ihr Lebensinteresse, Trunksucht des Volkes auf jede Weise, sogar gewaltsam, zu stei­gern, um daraus den größten Gewinn zu erzielen.

Was die Krone" nach Aufhebung des Monopols aus der Brantweinsteuer für fabelhafte Summen gezogen, das lehrt die folgende Zusammenstellung: 1866: 121 518 857 Rubel, 1868: 133 384 468 Rubel, 1870: 163 859 514 Rubel, 1872: 172 878 006 Rubel, 1873: 179 296 144 Rubel, 1874: 200 792 573 Rubel, 1875: 186 185 300 Rubel, 1876: 191 787 700 Rubel, 1877: 192 544 100 Rubel u. s. w. Heute erreichen die Einnamen aus dem Brantweingeschäft, die nach L. v. Stein den Schwerpunkt aller Staatseinnamen und sogar die Hauptstelle in dem Gebiet der ganzen Besteuerung einnemen, über 200 Millionen Rubel. Sie machen fast ein drittel der Totaleinnamen des ganzen Bud­gets aus.

Das Steigen der Erträgnisse ist nach Dr. Bär auf das Um­sichgreifen und die Steigerung des Konsums zurückzufüren, und der leztere wiederum findet in der kräftigeren Handhabung des Regirungs- und Adelsapparats, in dem auch die zu Brantwein­händlern entwürdigten Juden stecken, seine Erklärung.

Und nun wagt man es, die Schuld an der Brantweinpest, an der Demoralisation und dem materiellen und geistigen Ruine den Juden aufzubürden! Das ist fürwar eine große Künheit und Gewissenlosigkeit, wenn von einem Gewissen, dem Bewußt­sein moralischer Verantwortlichkeit, dem Tribunale der Geschichte der Menschheit gegenüber in Rußland überhaupt noch gesprochen werden darf.

Verfolgte Diebe rufen stets, um die Verfolger von sich abzu­lenken: haltet ihn", auf einen andern deutend. So geschieht es auch hier. Um den Zorn des zur Besinnung kommenden Volkes, das sich auf das schändlichste betrogen sieht, von sich abzulenken, wird die Heze gegen die Juden in Szene gesezt, von denen eine Anzal der Krone und dem Adel in ihrem Ausbeutungswerke gute Dienste geleistet, wärend die große Menge der Juden kein anderes Verbrechen begangen hat als das, daß sie von jüdi­schen Eltern geboren und in der jüdischen Religion aufgewachsen ist. Die jüdischen Brantweinhändler sind jedenfalls zu ent­schuldigen, nicht aber die Regirung und ebensowenig der Adel, der entweder, wie in Großrußland, den Brantwein zur Betäubung der Bauern, oder wie in Neurußland zur eigenen Bereicherung und zum Ruine derselben fabrizirt oder fabriziren läßt.

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Indem das Volk übrigens voller Erbitterung sich gegen die jüdischen Brantweinhändler wendet, gibt es doch auch der Er­fentnis Ausdruck, daß das Brantweingeschäft ein verächtliches, hassenswertes überhaupt und eine zum Unheile und Verderben der Gesellschaft geschaffene fluchwürdige Institution ist.

( Fortsezung folgt.)

Meine erste Gotthardfart.

Reiseskizze von Carl Stichler.

Längs der Straße war hier das umfangreiche Wasserrohr, das dem Turbinenhause bei Göschenen die nötigen Kräfte zu fürte, noch auf eine kleine Strecke hin zu erblicken. Je höher die Straße bergaufwärts in dieser Felsenge fürt, desto schmaler wird der Raum zwischen den Felsenwänden, und an manchen Stellen hängt die Felswand drohend über der dicht am Abgrunde hinfürenden Straße, ein sicheres Zeichen, daß nur durch Spren gungen ze. 2c. diesen Felskolossen der für die Straße nötige Raum abgerungen werden konte.

Ueber die Sprengibrücke und somit über den Abgrund und über die in dessen Tiefe tobende Reuß hinweg furen wir wieder an das linke Reußufer, um dauernd bergauffarend die höheren Partien dieses scheinbar gänzlich gesperrten Felsschlundes zu er­reichen.

Auch hier oben zeigt sich die zerstörende Macht der Lawinen. Brüggwald, die genante ziemlich breite Strecke, war in früheren Zeiten bewaldet. Steingeröll und Schneestürze beseitigten die stämmigen und widerstandsfähigen Bäume mit allem Erdreich jedoch derartig, daß schließlich nur noch das nackte Felsterrain und hie und da in besonders geschüzter Lage ein einsames Bäumchen übrig blieb.

( 2. Fortsezung.)

Endlich verlieren sich auch die Tannen ganz, selbst die Leg­föhre wird seltener, und nun fährt unsere Wagenreihe um den Vorsprung des Teufelsberges, d. h. um dessen steile und scharfe Felsenecke herum, um gleich darauf bei der weltberühmten Teu­felsbrücke anzulangen. Die Reize dieser Felsschlucht sind zumeist nur für abgehärtete Nerven recht zu genießen.

Die Teufelsbrücke passirten wir bei scharfem Luftzuge und bei schönster Witterung. In einer Höhe von 32 Metern über­wölbt in kühngeformten Bogen die im Jare 1830 aufgefürte neue Teufelsbrücke den Abgrund, dessen Tiefe von den Sturz wellen und schäumenden Wogen der Reuß gefüllt wird. Ober­halb der Brücke bildet der genante Gebirgsfluß einen mächtigen Wassersturz, dessen zu Nebelbläschen aufgelöste leichtere Wasser­teilchen bis zur Brücke empor geschleudert werden und in der Tagesbeleuchtung effektvolle Licht- und Farbenspiele in über­raschend buntem Wechsel bieten.

nicht mehr frequentirte alte und kleine Teufelsbrücke die Wasser­Dicht unter dieser Brücke überwölbt die seit dem Jare 1830 masse der Reuß. Sie mündet jezt an einer hohen, steilen Bö­schungsmauer der neuen Straße aus und hat demzufolge keinen Wert mehr.