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jarein zalreiche Opfer hinwegraffen.
Hespental mit seinem auf einem romantisch gelegenen Felsen| Schneestürme, die hier oft plözlich hervorbrechen und jaraus errichteten Longobardenturme, liegt bald tief unter uns und gewärt einen recht malerischen Anblick. Schon vor einem halben Jartausend errichtete hier in der rauhen Vorzeit edle Humanität ein Hospital, ein Asyl für notleidende Reisende, und gab damit Veranlassung zur späteren Benennung der nach und nach sich entwickelnden Ortschaft. Die Neuzeit etablirte Hôtels mit Telegraphen und sonstigen in dieser Höhe noch anwendbaren Verkehrseinrichtungen, um den deutlichsten Beweis zu liefern, daß der Mensch zu Zeiten nicht blos mit seiner Qual", sondern auch mit seinen stets Steigerung erfarenden Ansprüchen bis zu dieser Höhe in guter Gesellschaft" und damit auch zugleich in Massenschwärmen vordringt.
Hoch über dem linken Reußufer zieht sich, an abschüssigen Felswänden entlang die über den St. Gotthard fürende Post straße empor. Unten in der Tiefe des öden Felstales erblickt man die Spuren des alten, wärend eines halben Jartausends vielbegangenen Saumpfades.
In der Entfernung von einer Stunde passiren wir eine Zufluchtshütte und nach Verlauf einer weiteren Stunde erreichen wir eine zweite, die damals von einer Familie dauernd bewohnt wurde und die elegante, bei 1976 Meter Meereshöhe einen humoristischen Eindruck machenden Benennung:„, Café féderal" führte.
Weniger humoristisch erschien uns, daß unsere hochgetürmte Postkutsche begegnenden Lastfurwerken auf etwas eigentümliche Weise gewisse Begünstigungen einräumte. Wärend derartige Vehikel den an das Gebirge lehnenden Teil der Straßenbreite behaupten durften, zogen unsere Karossen am Straßenrande und somit dicht über dem Abgrunde, dessen Tiefe vor uns ausgebreitet lag, dahin.
Trozdem wir den 18. Oktober schrieben, war wenig Schnee in dieser Höhe zu erblicken, wärend einen Monat vorher ganz gewaltige Schneestürme hier oben gehaust hatten.
Jezt rollte unsere Wagenreihe auf eine felsige, beinahe ebene Einöde hinaus, die die Benennung ,, campa"( das Feld) fürt.
Hier ist die Paßhöhe, ferner die Grenze zwischen den Kantonen Uri und Tessin und somit auch die Sprachgrenze zwischen dem heißblütigen Süden und dem besonneneren Norden. Das ,, Schwyzerdütsch" und der ,, Dialetto ticinese", die sich hier be= gegnen und begrenzen, haben an stilwidrigen Auswüchsen und an unschönen, unrichtigen Formen sich durchaus nichts vorzuwerfen; bei beiden ist die Grammatik schließlich überflüssig und mit beiden gelangt man nicht weit in der Welt.
Das„ Feld" bietet an sich wenig Bemerkenswertes; Felsblöcke und Geschiebe, dazwischen morastige Stätten und spärliche Schneerefte illustrirten diese Schreckensstation manches armen Wanderers. Wir rollten auf der noch schneefreien Straße zwar mit ziemlicher Eile und mit relativer Sicherheit dahin, aber der bloße Augenschein bewies schon hinreichend, welcher Summe von Gefaren hier der vereinzelte Reisende ausgesezt ist.
Hier senken sich im Winter bei Tauwetter und noch mehr im Frülinge die gewaltigsten Lawinen von den nahen, das Feld" begrenzenden Höhen hernieder.
Noch gefärlicher sind aber in dieser Wildnis die entsezlichen
Wenn diese gräßlichen Schneestürme, auch guxeten, tor menta u. f. w. benant, tosen, ist selten für vereinzelte Reisende an Rettung zu denken. Die ungeheuren, fast urplözlich in rasendschnelle Bewegung geratenden Schneemassen verdecken im Augenblick die Straße samt den sie markirenden Pfälen. Die scharfen, stechenden Eisnadeln blenden den Unglücklichen schließlich, der hier vielleicht mit dem lezten Rest seiner Lebenskräfte gegen das entfesselte Element und gegen die Gewalt des Unwetters ankämpft, und schließlich wärt der ungleiche und ermüdende Kampf nicht lange, die Kräfte sinken und zulezt sind es leise niederrieselnde Schneeflocken, die ein dichtes Leichentuch über den ausbreiten, der hier den Schrecken und Gefaren des Hochgebirges zu trozen wagte.
Ueber diese gefärliche Straße zog sich jarhunderte hindurch ein Teil des Weltverkehrs. Zwischen einigen Seen hindurch und an mehreren dicht entlang, furen wir auf der hier ziemlich ebenen Poststraße dahin, die regelmäßig wärend neun Monaten im Jare unter dichten und zumeist steinharten Schneelagen vergraben liegt. Nebelschleier wogten über den Seeflächen sowol, als auch über den felsigen Partien dieses ebenfalls mit gigantischen Gebirgstrümmern übersäeten Hochtales; hier befindet sich nicht blos eine Sprachscheide zwischen Süd und Nord, sondern auch eine Wetterund Wasserscheide zwischen den erwänten Himmels- und Erdstrichen.
Südwärts eilt der Tessin zum Stromgebiet des Po und zwar zunächst zum Flußgebiet des Lago maggiore hinab; nordwärts senkt sich die Reuß zum Vierwaldstättersee, um später in die Aare mündend, mit dieser zum Vater Rhein zu eilen.
Besonders interessant sind die meteorologischen Verhältnisse des St. Gotthard, dessentwegen genießt auch die in seinem hochgelegenen Hospiz etablirte Beobachtungsstation eine außerordentliche Beachtung.
Am Ufer des Lago grande( Großen See), der ca. 40 Fuß Tiefe hat, hielt unsere Wagenreihe plözlich, und wir gewarten, daß wir die Paßhöhe schon hinter uns hatten und uns jezt vor dem Gotthardhospiz befanden.
Circ. 600 Meter nördlich vom Hospiz befindet sich die 2114 Meter Meereshöhe erreichende Paßhöhe, wärend das Hospiz bei 2093 Meter Meereshöhe schon auf dem Gebiete des Kantons Tessin sich befindet. Der Höhenlage entsprechend, trägt die ge samte nähere Umgebung des Zufluchtshauses den Karakter der Polarlandschaft, indem weder Strauch noch Baum, noch eine sonstige geringere Vegetation von hier aus dem spähenden Blicke sich zeigt.
Feuchte Nebelmassen mit zudringlichen Tröpfchen und Wasserbläschen wogten hier oben im öden Hochtale bei dem Kampfe der wechselnd die Oberhand gewinnenden kälteren nördlichen Luft strömungen mit den von Süden herandringenden etwas schwülen Winden. Daher war unsere Rundschau beim Verlassen unserer Postchaise eine beschränkte und wendete sich demgemäß mehr den hier befindlichen Gebäuden als der Landschaft zu.
( Schluß folgt.)
Die Fliederzweige.
Eine einfache Geschichte von E. Dreßler.
Eine schmucklose Mansarde. Hell und luftig zwar und in ihrer einförmigen Stille hoch erhaben über dem geräuschvollen Getriebe der Weltstadt, aber sehr einfach und bescheiden, fast dürftig möblirt. Sonst schien das Haus von solider Eleganz, und jener Aufbau, der so wenig mit der prächtigen Façade, den hohen Spiegelfenstern harmonirte, wol eine seltsame Laune des Erbauers gewesen, oder auch eine Anwandelung von Humanität, welche die hellen Dachstübchen im Mittelpunkte der Stadt gelegen, fleißigen, strebsamen Menschen für geringen Zins zum Asyl gab und ihnen dadurch die zeitraubenden Wege nach einer billigeren Wohnung der entfernteren Stadtteile ersparte.
Bis zum dritten Stockwerk hinauf klare hohe Spiegelscheiben, hinter denen, umhüllt von gestickten Tüllgardinen, farbenprächtige Topfgewächse blüten und sich auch sonst wol Lurus oder doch
Komfort vermuten ließ. Dann mit einemmale jener seltsame Giebel, von dem man nur durch kleine, vieredige Scheiben in die Welt sehen konte, und daher diese spärliche Ausschau nicht durch faltige Vorhänge noch verengerte, vielleicht auch entbehrte, um das Licht voller einströmen zu lassen. Eins jedoch hatte die Mansarde mit den unteren Stockwerken gemein - den duftigen Blumenschmuck.
Und jene unparteiischen Lieblinge der Menschheit, die sich bei Arm und Reich gleich gern finden lassen, blüten hier oben üppiger vielleicht als ihre Schwestern in den unteren glänzenden Räumen, die aber doch einen Kerker für sie bedeuteten. Die anmutigen Gewinde und Ranken dort oben, von den kleinen blauen Veilchen, den farbenprächtigen Rosen, bis zur spätesten Herbst
after
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atmeten nicht Stubenatmosphäre, sondern frische, reine