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Die Urkunden des Menschengeschlechtes.

Von Paul Schäfer.

Der Wert der Darwinschen Teorie geht weit über den einer naturwissenschaftlichen Hypotese hinaus. Im Zusammenhange mit andern, in den philosophischen und geschichtlichen Disziplinen sich Bahn brechenden Teorieen bildet sie die Grundlage einer neuen Weltanschauung, welche für die Zukunft nicht nur auf das mensch­liche Erkennen, sondern auf das gesamite menschliche Leben bestim mend wirkt. Es wird one weiteres zugestanden, daß es heute schwer sein dürfte, diese Behauptung in ihrem vollen Umfange zu erweisen; wir stehen jezt noch inmitten der Bewegung, welche jener Weltanschauung zum Durchbruch helfen soll, und erst am Schlusse wird man sie voll überschauen können; die Beweisfähig feit unseres Sazes wird dadurch jedenfalls nicht angetastet.

Die Darwinsche Teorie trat als eine naturwissenschaftliche Teorie auf und befreite die gesamten Naturwissenschaften von dem Drucke einer Philosophie, welche zwar angeblich Naturphilosophie var, aber doch nichts zur Erkentnis der Natur beitrug, sondern durch Regirungen und Consistorien geschüzt auf hohen und nie­deren Schulen mit ihren teologischen und philosophischen Systemen sich breit machte und die Natur in diese Systeme einzuzwängen suchte. Es hat jederzeit Männer gegeben, welche gegen solches gewalttätiges Benemen sich auflehnten, und der Kampf der Natur­forschung gegen die Philosophie währt ja noch, wenn auch sieglos für die leztere, in der Gegenwart. Der Naturforscher soll keine Geseze geben, sondern finden, ist der Grundsaz der neueren For schung; will er aber die Geseze finden, so muß er beobachten, suchen. Deshalb ist die Arbeit der Naturforschung heut ein Suchen, Sammeln von Tatsachen, und jeder ware Naturforscher soll sich heute wol hüten, voreilig Schlüsse zu ziehen und Systeme aufzubauen; ein Standpunkt, welcher dem noch vor vierzig Jaren fast allgemein gültigen gerade entgegengesezt ist. Aber das Publi­fum und das ist sehr natürlich interessirt sich nicht sowol für die Forschung, als vielmehr für die Resultate, und diese Re­sultate faßt es zusammen als seine Naturanschauung. Wenn daher der Naturforscher sich heut dazu herbeiläßt, Resultate zu geben, so geschieht dies stets mit dem Bewußtsein, daß dieselben verbessert werden können und müssen, und es geschieht ebensowol in Rücksicht auf das Publikum als aus dem natürlichen Bedürfnis des Forschers selbst, wenn er seine Beobachtungen übersichtlich

zusammenfaßt.

Dies würde aber wesentlich ein negativer Einfluß sein zur Feststellung des Standpunktes sür die Forschung; auf alle Zweige der sogenanten beschreibenden Naturwissenschaften hat der Grund­jaz befruchtend gewirkt: kein organisches Geschöpf, weder Pflanze noch Tier ist auf der Erde durch einen willkürlichen Schöpfungsaft entstanden, sondern die vorhandenen Arten haben sich aus weniger vollkommenen zu vollkommneren entwidelt; ein willkür­licher Schöpfungsatt könte daher nur noch für die ersten organi schen Wesen angenommen werden in dem Falle, daß man die bisher allerdings nicht erklärte Entstehung derselben aus den anorganischen Stoffen oder eine Einwanderung von anderen Welt­förpern her unter feinen Umständen für möglich halten will. Die ganze Tätigkeit der Forschung auf diesen Gebieten erstreckt sich heut darauf, den vollständigen Beweis für den als zweiten angefürten Grundsaz beizubringen.

Es hat zu allen Zeiten die Ansicht Vertreter gefunden, daß der Mensch ein innerhalb der Natur stehendes Wesen sei und von derselben nicht losgelöst werden könne, gegenüber der anderen, daß der Mensch eine eigene Kategorie bilde, ein zwischen Gott­heit und Natur in der Mitte stehendes Wesen sei. Die Stellung aber, welche nun den Menschen angewiesen wurde, scheint der Würde desselben sowenig angemessen, daß sie bisher noch den lebhaftesten Widerspruch erfärt. Die Frage nach der ältesten Vergangenheit des Menschen, welche mehr Licht über seine Her­funft verbreiten sollte, ist seitdem zu viel größerer Bedeutung gelangt, als ihr noch vor dreißig Jaren beigelegt wurde, und die Urgeschichte der Menschheit ist zu einem besonderen Zweige der Kulturgeschichte und der Paläontologie herangewachsen. Die folgende Betrachtung will sich mit Ausschluß alles Philosophirens über diesen Gegenstand nur mit den auf und in der Erde vor­gefundenen ältesten Ueberresten des Menschen und seiner Tätig

feit beschäftigen.

Wann sind die Menschen zuerst auf der Erde aufgetreten?

Diese Frage ist heut noch ein Problem; sie fällt zusammen mit der andern: In welchen Schichten der Erde finden sich die ältesten Reste der Menschen oder der von ihnen angefertigten Gegen­stände? Stellt man die Frage in dieser Form, so fällt ihre Be­antwortung der Geologie und Paläontologie anheim, obwol diese Wissenschaften es nicht allein sind, welche Interesse an der be­stimten Beantwortung der Frage nach dem Alter des Menschen­geschlechts haben. Die Antwort lautet in allgemeinſter Fassung: Der Mensch trat erst auf, nachdem die weniger hoch organisirten Wesen, die Schädellosen, Fische, Reptilien, Vögel, Säugetiere ihre vollkommensten Formen hervorgebracht hatten. Diese gehören früheren Perioden der Entwicklung der Erdoberfläche an, und erst am Schlusse der lezten derselben, der Tertiärzeit trat der Mensch auf. Die Erdschichten, welche in jener Zeit gebildet wur­den und durch die in ihnen enthaltenen Reste und Abdrücke or= ganischer Wesen uns über die damals lebende Tier- und Pflan­zenwelt Aufschluß geben, sind bisher nur im westlichen und mitt­leren Europa  , Frankreich  , England, Deutschland  , dem Alpengebiet, ferner in Nordamerika   und in Indien   am Südabhange des Himalajagebirges untersucht worden. In Europa   sind es das Pariser  , das Londoner   Becken, die Auvergne, das Rhonetal, das Elsaß  , bei Mainz   und Worms  , der bairische Jura, das Wiener Becken   und die Bergwerke bei Athen  , welche bereits eine reiche Ausbeute gewärt haben.

Westeuropa   sah am Schlusse der Tertiärzeit anders aus als heut; die norddeutsche Tiefebene war noch vom Meere bedeckt und ein breiter Arm überflutete das westliche sarmatische Tief­land, indem er Skandinavien   mit Finnland   zur Injel machte. Dichte Urwälder zogen sich über Süddeutschland, die Schweiz  und Frankreich  , das Rheintal war eine jumpfige Niederung. Die große Bal und Mannichfaltigkeit der Pflanzenfresser deuten auf eine üppige Vegetation; auch war das Klima vermutlich wärmer als das gegenwärtige. Die Formen der Säugetiere waren größer als diejenigen, welche heut die Erde bewohnen. Die Dickhäuter, jezt auf die tropische Zone der alten Welt beschränkt, waren da mals auch in Europa   verbreitet. Es wurden mehrere Elephanten­arten gefunden, unter ihnen das Mammut, größer als der indische Elephant, mit langem Rüssel und großen, nach dem Kopfe zu freisförmig zurückgebogenen Stoßzänen und mit einem lang­harigen Pelz ausgerüstet; im sibirischen Eise wurde 1790 ein Gremplar eingefroren gefunden, und ein Bild dieses Tieres auf einem Stoßzan eingerigt in einer belgischen Höhle. Neben den großen Arten lebten in der Mittelmeerregion zwei kleine, welche die Größe eines Pferdes nicht überschritten. Die plumpen Fluß­pferde hausten in den Sümpfen des Rheintales, Baierns und der Schweiz  ; eine Form( Dinotherium giganteum) erregt beson­ders Interesse. Der Kopf ist doppelt so groß als der des Ele­phanten. Der Schädel, mit kurzem Rüssel versehen, wurde 110 cm lang und 65 cm breit gefunden; die Augen liegen hoch in der flachen Schädelwölbung, so daß der Ausdruck dieses Tier­

kopfs ein sehr dummer gewesen sein muß; die Stoßzäne stehen

im Unterfiefer und sind nach unten gerichtet, das Tier kann sie nur benuzt haben, um sich mit denselben aus dem Wasser auf das feste Land herauf zu helfen und etwa den Boden nach Wurzeln zu durchwülen; seine Länge wird der Größe des Kopjes ent­sprechend auf fünfundzwanzig Fuß geschäzt. Ein anderer Did­häuter( Mastodon, Warzenzan) zeigt Walzäne mit eigentümlichen Höckern versehen, wie sie heut nicht mehr bei lebenden Tieren­

vorkommen. Unter den Wiederkäuern waren besonders zalreich

die Hirsche vertreten, daneben die Antilopen, Rinder, Bisams; Einhufer in unserem Sinne gab es noch nicht; bei den bisher aufgefundenen Pferdearten der jüngeren Tertiärzeit ist neben dem Mittelfinger, dem sogenanten Lauffnochen, welchen die jezt leben­

den Arten allein noch besizen, der zweite und vierte Finger er­halten, wenn auch nur verkümmert; bei früheren Arten sind beide noch so groß, daß sie beim Stehen dem Tier zur Stüze dienen fonten; bei noch älteren ist auch der fünfte Finger vorhanden, so daß die Entwicklung der Art sich an diesen Beispielen deutlich zeigt. Ueberhaupt sind unsere jezt lebenden Arten in älteren tertiären Schichten durch solche Sammelfarattere verbunden, so daß es manchmal nicht möglich ist, sie einer bestimten Art ein­zureihen; so finden sich der Karakter des Pferdes und Schweins,