mann" durften nur mit den lächerlichsten Um- und Unbildungen in Art, Zeit, Titel und Personen aufgefürt werden.
Das Loos der meisten Schriftsteller unter diesen Umständen war natürlich ein ungemein trauriges. Der junge Dichter Polejayew wurde wegen eines in seinen Universitätsjaren verfaßten satirischen Gedichtes unter das Militär gesteckt und nach dem Kaukasus geschickt. Aus Verzweiflung darüber gab er sich dem Trunke hin und starb an der Schwindsucht in einem Soldatenspital in Moskau . In einem anderen Falle verlangte der Generalgouverneur einer Provinz die Unterdrückung eines Journals und die Gefangensezung seines Redakteurs, weil dieser einen von jeder politischen Anspielung freigehaltenen archäologischen Artikel veröffentlicht hatte, gedruckt mit dem Vermerk der Zensur, aber herrürend aus der Feder eines Hauptes der polnischen Emigration, des berühmten Lelewel. Unterdrückung und Gefangensezung erfolgten auch sie, das geschah noch in den fünfziger Jaren. Gogol , der geniale Humorist, verhungerte und starb in unheilbarer Schwermut, 44 Jare alt. Der große Sittenmaler Gribojedow , erst verbannt und verdächtigt, kam im Alter von 34 Jaren bei einem Volksaufstand in Persien durch Meuchelmord um. Kolzow, der ausgezeichnete Volksdichter, unterlag der Verzweiflung über eine unausstehliche Lebensstellung; er ist nur 33 Jare alt geworden. Bestuschew, erst zum Tode verurteilt, dann verbannt, fiel 41 Jare alt im kaukasischen Kriege. Nur der eine oder der andere hat das vierzigste Lebensjar überschritten. Das Lebensende der meisten hervorragenden russischen Schriftsteller glich dem Ende einer Tragödie, zu der die russischen Zustände die Dekorationen lieferten. Sie fielen entweder im Duell oder durch Meuchelmord, starben in der Verbannung oder gingen an der Erbärmlichkeit der sie umgebenden Verhältnisse zugrunde oder verloren aus Verzweiflung über dieselben den Verstand. Wie viele weniger berühmte Autoren aber mag es geben, die als Verbannte in irgend einem Winkel des Kaukasus oder Sibiriens endeten, wie viele die auf andere Weise der Verfolgung unterlagen? Die Geschichte unserer Literatur ist ein Verzeichnis von Märtyrern oder ein Register von Sträflingen," bemerkte Alexander Herzen angesichts solcher Tatsachen mit vollem recht...
Die Regirung hatte zwar durch eine Verordnung vom 6. April 1865 eine etwas größere Freiheit der Presse schaffen wollen, indes wurde das bald bereut, und es traten stufenweis neue Beschränkungen ein: erläuternde ministerielle Erlasse, Ausnamemaßregeln, das Verbot des Detailverkaufs, Warnungen, Beschlagname von Zeitungen und Journalen, endlich im Mai 1872 die Anordnung, derzufolge das Ministerium des Innern das Recht erhielt, one gerichtlichen Spruch und nur unter der Bestätigung des Ministerkomitee's Bücher und Journale zu verbieten oder der Verbrennung zu überliefern. So haben wir" sagt Herzen ,, in dem nicht aufgehobenen Gesez vom 6. April 1865 das Recht, von beinahe allem zu sprechen, dürfen aber tatsächlich von beinahe nichts sprechen. Die Ausnamen, die Erläuterungen haben das Gesetz überwuchert, und die Art ihrer Ausfürung verwandelte es vollends in einen toten Buchstaben." So steht es aber auch mit der anscheinend aus humanerem Geiste hervor gegangenen Gesezgebung auf allen anderen Gebieten.
-
-
316
Das Rechtswesen überhaupt weist die ungeheuerlichsten Erscheinungen auf, und zwar heutzutage noch. Das Karakteristische dabei ist das Durcheinanderwerfen und die Verquickung des richterlichen und Verwaltungsgebietes, so, daß die dem lezteren verliehene Gewalt durchweg über der des ersteren steht und dieselbe illusorisch macht. So haben die Gouverneure der Provinzen das Recht, die Distriktstribunale zu revidiren, die Richter und Assessoren derselben in den Anklagezustand zu versezen, ihre Meinung abzu geben über die vom Kriminalgerichte der Provinz abgeurteilten Gegenstände, welche Meinung dann zusammen mit dem ganzen bezüglichen Aktenstoß an den Senat wandert. Aber jedem Generaladjutanten des Kaisers steht das Recht zu, auf seine Verant wortung hin die Ausfürung von Strafurteilen zu suspendiren.... Das Gerichtsverfaren weist nicht weniger als elf Instanzen auf, und wenn man nach jarelangem Streit, der reichliches Del" fordert, die zehn ersten überwunden hat, so läuft man in der elften Gefar, durch den willkürlichen Entscheid des Kaisers, bez. seines obersten Rats, den ganzen Erfolg vernichtet zu sehen.
Die ergözlichsten Dinge kamen unter dem eisernen Regiment des Czaren Nikolaus an den Universitäten vor, die dieser überhaupt ganz aufzuheben und an ihre Stelle militärisch zugeschnit tene und zerstreut auseinanderliegende Fachschulen zu sezen be
absichtigte. Die Kuratoren der Universitäten wurden mit Vorliebe dem Militärstande entnommen. Die Maßregeln, welche sie bisweilen trafen, überboten denn auch an Tollheit und Albernheit alles, was sich ein normales Hirn zu denken vermag. Einer derselben, Magnißki, ließ z. B. die in der Universität Kasan befindlichen, dem medizinischen Studium dienenden anatomischen Präparate feierlich bestatten, weil es ordnungswidrig und lästerlich sei, daß menschliche Körper oder Körperteile, die zur Auferstehung bestimmt seien, unbestattet bleiben. Nach einer Anordnung eines anderen Kurators, des Fürsten Sergei Galizin in Moskau sollten, um gar keine Vorlesungen ausfallen zu lassen, für erkrankte oder sonst verhinderte Professoren der Tour nach" ihre Kollegen ohne Unterschied der Fakultät eintreten, wie Herzen mit karakteristischem Spott illustrirt: der Geistliche, der für Logik angestellt war, sollte gelegentlich die geburtshülfliche Klinik leiten und der Geburtshelfer die Lehre von der Empfängnis durch den heiligen Geist behandeln.
Die Geistlichkeit, die von altersher einen besondern Stand bildete, litt besonders unter der Bestimmung, wonach die Würde sozusagen erblich war und die Kinder eines Geistlichen keinen anderen Beruf ergreifen durften. Es geschah daher häufig, daß eine Stelle an den Nachfolger unter der Bedingung vergeben wurde, daß dieser eine von den Töchtern des Vorgängers heiratete. Dadurch entstand eine Abhängigkeit der Popen von ihren Weibern und deren Angehörigen, die von den schlechtesten moralischen Folgen sein mußte. Durch das Gesez von 1869 erst wurde den Kindern der Geistlichen freie Wal hinsichtlich des Berufs gestattet. Der Klerus ist noch unglaublich unwissend; die Nationalübel der Trägheit und Trunksucht sind in diesem Stande in widerlichster Weise anzutreffen. Für die Aermlichkeit ihrer Pfründen wissen sich namentlich die Dorf- Popen durch möglichste Aussaugung der Bauern zu entschädigen. So nemen sie für eine Trauung 25 Rubel, und im Falle die Braut aus einem fremden Sprengel stamt, noch 15 Rubel für den Taufschein. Für eine Beerdigung beanspruchen sie 10 Rubel und erhöhen jezt unter dem Vorwande der Teurung noch mit jedem Tage ihre Forderungen.
.
Neben den Rechtgläubigen( ,, Ortodoxen") gibt es, über das ganze Land verstreut, eine Menge der merkwürdigsten Sekten. Jenen galten die Neuerungen Peter's des Großen als Werke des Satans, er selber als dessen Stellvertreter. So z. B. die Einfürung des Kalenders, der den Jaresanfang vom September auf den Januar verlegte, das sei eine Verkehrung des Jares des Herrn in ein Jar des Teufels; die Welt habe ja nicht im Januar erschaffen werden können, weil zu dieser Jareszeit die Aepfel nicht reif sind, die Eva also nicht auf dem Wege, von dem die Bibel erzält, in Versuchung habe gefürt werden können. Von den Sekten erklärt beispielsweise eine der unduldsamsten, der Teufel habe sich in Gestalt einer Schlange auf den Altar niedergelassen, mit seinem Schweife denselben umschlungen und sich darauf ein Nest gebaut. Folglich sei also auch die Abendmalfeier am Altar etwas für das Seelenheil gefärliches. Die Angehörigen dieser Sekte, die keine Priester haben, genießen daher das Abendmal in rein geistiger Weise und wenden die Wiedertaufe an. Die Ehe sei ein Vergehen gegen die Keuschheit, sagen sie weiter, am besten sei's, die Kinder schon im Mutterleibe oder gleich nach der Geburt zu töten; daher trifft man bei ihnen auch die unmenschlichste Grausamkeit in der Behandlung der Kinder an. Anderen Setten gilt es als Sünde, Geld in die Hand zu nemen, wieder andere kasteien sich, beten und tanzen nackt, ents halten sich aller geistlichen Getränke u. s. f. Als Kuriosum sei erwänt, daß eine dieser Sekten, die„ Napoleontschini", selbst Na poleon den ersten als Heiligen verehren
Um den Volksschulunterricht ist es, troz Ansäzen zur Besserung, noch gegenwärtig traurig bestellt. In vielen Orten mangeln die Lehrer; an zalreichen Schulen sind die lezteren kaum des Lesens und Schreibens fundig. Bei einer Rekrutenaushebung in der neuesten Zeit haben von 130 150 jungen Leuten nur 14 478 leſen können, also genau 19. In Rußland gibt es durchschnittlich 9 bis 10 Prozent, die lesen und schreiben können, in Desterreich, daß selbst noch soweit zurück ist, 29, in Frankreich 77 Prozent.
Wenn immerhin die Anzal der järlich durch die Post beför derten Brife von 1825 bis 1866, hauptsächlich infolge des inzwischen eingefürten Normalportos für den einfachen Brif, von ca. 5 auf 40 Millionen gestiegen ist, so gibt doch die Tatsache, daß selbst in der lezten Zeit auf hundert Individuen järlich blos 123 Brife tamen, den besten Beweis für den noch so außer ordentlich niedrigen Bildungsstand des Volkes.