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Ueber Rußland und die Bevölkerung des Czarenreichs über-| haupt urteilt kein anderer als der Generalfeldmarschall Graf Moltke so:

Eine kleine 3al französisch erzogener, in Luxus aufgewach­sener, elegant gebildeter, uniformirter und besternter Russen tritt one jede Vermittlung neben der an Zal hundertfach über­

legenen Masse der bärtigen, unwissenden, kräftigen, frommen und dabei gelehrigen Bevölkerung auf.... Die Unterschiede stehen schroff nebeneinander: Paläste neben Hütten, prachtvolle Städte in öder Gegend, eine hundert Meilen lange Eisenbahn, die zwi­schen Anfangs- und Endpunkt keine Stadt berürt, Ananashäuser, wo fein Korn wächst, Ueberfeinerung neben Roheit."

Das Reichsgesundheitsamt und die Wissenschaft der Zukunft.

Von Bruno Geiser .

Die Wissenschaft befand sich bisher in Deutschland inbezug auf die Ziele, zu denen sie hinstrebte, und die Wege, welche sie einschlug, in dem Stande weitreichender Freiheit.

Wie schon jeder sich der Wissenschaft widmen konte, der Lust und das nötige Geld dazu hatte, so war auch niemand in der Wal des speziellen Wissenschaftsgebietes beschränkt, auf dem er seinen Drang gelehrter Betätigung seiner Geisteskräfte tummeln lassen wollte. Und nicht minder stand es im freien Belieben des Einzelnen, die Temata seines Studirens und Produzirens, die Metode seiner Untersuchungen und Schlußfolgerungen, die Art und Weise seiner Darstellung, zu bestimmen und zu entscheiden, ob er ganz auf eigne Faust oder im Verein mit oder in An­lehnung an andere arbeiten wollte.

Diese Freiheit der Wissenschaft hat wie alle anderen Spezial­freiheiten ihre gute und besonders für die unmittelbar Beteiligten ihre angeneme Seite. Die nur für sehr geordnete, geistig hoch entwickelte Naturen in keiner Weise lästige Rücksichtname auf andre ist unter diesen Verhältnissen kein Gebot der Pflicht; wer sich um seine wissenschaftlichen Mitstreber und die Resultate ihres Forschens nicht fümmern will, braucht es nicht. Wenn ich z. B. eines Tages Lust bekomme, Nachforschungen anzustellen über die Art, wie sich aus dem sogenant Anorganischen das Organische entwickelt, so habe ich nicht nötig, mich dadurch in meinem Be­ginnen stören zu lassen, daß etwa Darwin und Hurley, Häckel und Karl Vogt u. a. m. zu derselben Zeit und schon lange vorher mit ganz denselben Untersuchungen sich beschäftigten. Ob ich dabei meine Zeit nuzlos vergeude, indem ich auf einem Gebiete, auf dem ich weniger zuhause bin als andre Forscher, gar keine der Rede werten Erfolge erziele, oder ob ich stets erst morgen oder übermorgen entdede, was Darwin oder Häckel schon gestern oder vorgestern erkant haben, bleibt der wissenschaftlichen wie der andern Welt völlig gleichgültig. Und selbst darum läßt man sich teine grauen Hare wachsen, daß bei der absoluten Freiheit des wissenschaftlichen Arbeitens nicht nur auf manchen Forschungs­gebieten zehnmal mehr Arbeiter in den Bergwerken der Wissen­schaft mit ihren Geistesfackeln umherleuchten, als nötig wären, sondern daß auch an manchem Drte, wo reiche Ausbeute zu machen wäre und woher das Edelmetall der Erkentnis zu ge­winnen sich ein Volksbedürfnis längst geltend gemacht wird, gar niemand Hacke und Spaten einsezt.

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( 1. Fortsezung.)

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menschheit verhindern will, daß in den ungeheuren Urwald des wissenschaftlich unerforschten auf gut Glück hier ein Pionier des Gedankens und da und dort wieder einer vordringt meinsamen Arbeitsplan, one die Kräfte verdoppelnde Kombination der Tätigkeit, one gehörige Kentnis aller bereits geschehenen Vor­arbeit so wird meine und der Gesamtheit erste Aufgabe sein, zu erkennen, daß in der Wissenschaft an die Stelle regelloser Freiheit die alle Arbeiter umfassende, alle Arbeit durchdringende und erleuchtende streng metodische Organisation zu treten hat.

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Ware Freiheit wie rascheste Kulturentwicklung ist überhaupt nur in der Organisation zu finden. Anarchie aber und Organi­sation schließen sich aus und bekämpfen sich wie Feuer und Wasser. Was für eine Organisation wie sie gegründet und ge­gliedert ist und in welchem Geiste sie geleitet wird, welchen Zwecken sie dient das ist jedoch die Frage und eine ganz überaus wichtige Frage.

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Die preußisch- deutsche Armee ist auch eine Organisation und als Organisation sogar musterhaft und in hohem Grade nach­ahmungswert, aber daß in ihr die ware Freiheit blüte, hat meines Wissens selbst der Herr von Kleist- Rezow noch nicht behauptet, und plausibel zu machen, daß sie zu rascheſter Kultur­entwicklung die denkbar am besten geeignete Grundlage bildete, hat sich nicht einmal der mit seinem großen Scharfsinn und seinen mächtigen Kentnissen mitunter ein gar waghalsiges Spiel trei­bende Professor Jäger bemüt obgleich er in besagter Riesen­organisafton wirklich schon manches Kleinod von Kulturdungstoff seelenriechend herausgeschnüffelt zu haben meint.

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Zweck der Wissenschaft ist Erforschung der Natur und des Verhältnisses des Menschen zum Menschen und zur Natur. In diesem Zwecke wäre eine Organisation der Wissenschaft jeder an­dern Organisation, auch der deutschen Armee weit überlegen,- er schließt einfach das höchste aller Ziele ein, denen Menschen nachstreben können.

Wie wäre die Organisation der Wissenschaft diesem Zwecke entsprechend nun am besten zu gründen, zu regiren? Aehnlich wie die Armee des deutschen Reiches?

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Auf Anordnung von oben her in Abhängigkeit von der Regirung, die ihre Beamten ein- und absezen, belohnen und befördern, zurücksezen und sonstwie maßregeln kann, wenn sie ihren Zwecken denen der Regirung sich nicht ergebungsvoll unterordnen?

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Soll und darf eine Organisation der Wissenschaft eine Ma­schinerie sein, die durch einen Wink leitender Staatsmänner oder kommandirender Generäle zu rasender Arbeitsenergie angespornt oder zu gemütlichem Bewegungsschlendrian, respektive zu völligem Stillstande verurteilt werden kann?

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Ich denke: Nein eine Organisation der wissenschaftlichen Arbeit soll und darf solch eine Maschinerie unter feinen Um­ständen sein.

Der Freiheit der wissenschaftlichen Arbeit, wie sie gegenwärtig herscht, ergeht es eben genau so, wie den anderen Freiheiten, die uns die Gegenwart so hübsch bruchstückweise zu fosten gibt, sie hat auch ihre bedenkenerregenden Schattenseiten, sie hat vor allem ein Stück Anarchie im Leibe- ein Element jener Gesez­und Regellosigkeit, die für Räuber und Narren erstrebenswert, für den auf der Bahn der Kulturentwicklung rüftig fortschreitenden großen Teil der Gesamtmenschheit ebensowenig als für alle Menschen bon Karakter und Vernunft im einzelnen zu gebrauchen ist. Für die Menschheit wie für das Individuum handelt es sich kluger Aus drei gewichtigen Gründen nicht: einmal weil keine Regi­Weise hauptsächlich darum, mit den vorhandenen Kräften fein rung- sei sie auch aus den fentnisvollsten, geistig hervorragendsten haushälterisch umzugehen, Kraft- und Arbeitszeitverschwendung Menschen zusammengesezt, welche die Erde je getragen hat über und-Verläpperung tunlichst zu verhüten, denn das Leben ist kurz, die das ganze menschliche Wissen umfassende Erkentnis gebieten die Kräfte sind nicht unerschöpflich, die wissenschaftlichen Aufgaben fann, welche zur zweddienlichen Leitung einer solchen Organi­aber riesengroß, die Schwierigkeiten, welche ihrer Lösung entgegen- sation unbedingt nötig wäre, da die Leitung ja das Centrum der stehen, oft gradezu erschreckend und abschreckend, und, wenn man geistigen Bewegung sein würde, von dem alle Organe abhingen es sich recht überlegt, wurzelt aller edle Lebensgenuß, alle ware und ihre Impulse empfingen; zum zweiten weil, solange es dauernde Lebensfreude die ganze irdische Glückseligkeit Regirungen gibt, alle, auch die besten, zum mindesten neben rein­nichts andrem, als in dem Hochgefüle segenbringenden Kultur- wissenschaftlichen Zielen andre außerhalb des Bereiches ausschließ­fortschrittes der Gesamtheit und nuzenschaffender Geistesentwicklich allgemeinnüziger Wissenschaft liegende Spezialinteressen ge­lung des Individuums.

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Wenn ich aber meine Geistesanlagen nicht an Aufgaben ver= geuden will, welche andre schon gelöst haben, und wenn die Kultur­

hegt haben, hegen mußten und immer hegen werden, mit denen der Wissenschaft niemals erspart bleiben wird, in Collisionen zu geraten, bei denen sie, die allgemeinnüzige, gegenüber den in