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Die Urkunden des Menschengeschlechtes.
Von Paul Schäfer.
Ein etwas vollständigeres Bild gewären uns Höhlenfunde, welche im Innern Frankreichs gemacht wurden. Bei dem Bau der Eisenbahn von Orleans nach Agen im Périgord deckte man nach und nach sechs Knochenhöhlen auf, welche fünstlich bearbeitete Rengeweihe und Steingerätschaften enthielten. In einem dieser Schlupfwinkel bei Cro- Magnon fand man die Schädel und Sfelette von zwei Männern und zwei Frauen; diese Menschen lebten von der Jagd. Als Wild waren Pferde sehr beliebt; die Knochen derselben zeigen keine Brandspuren, das Fleisch wurde daher entweder roh gegessen oder gekocht, vielleicht in wasserdicht geflochtenen Körben, wie es auch heut bei einigen Indianerstämmen Nordamerikas gebräuchlich ist; sie bringen das Wasser in hölzernen Gefäßen dadurch zum Kochen, daß sie heiße Steine hineinschütten; in der Tat finden sich bei den Aschenresten der Cro- Magnonhöhle Geschiebe, welche einen derartigen Gebrauch erraten laffen. Die häufigeren Funde von Alen, Pfeilspizen mit und one Widerhaken, Schnizereien in Horn wurden auch hier gemacht. Die Puzsucht der alten Bewohner der Dordogne präsentirt sich in einem weichen roten Ocker, welcher zum Bemalen der Haut diente, in Halsbändern von Tierzänen und Muscheln, welche vom atlantischen Strande stammen, in Stücken von Bergkrystall , welcher erst in den Alpen wieder vorkomt, den Hörnern der Saigaantilope, welche erst in Polen ihr nächstes Verbreitungsgebiet hat. Diese Gegenstände können faum anders als durch Tauschhandel an den Fundort gelangt sein. Eine gewisse künstlerische Tätigkeit zeigt sich in den auf Zänen eingerigten naturgetreuen Abbildungen und Schnizereien in Horn von Fischen, Renen, Menschen mit großer Deutlichkeit und Lebensbewegung; ein Mammut in schrei tender Stellung mit langzottigem Pelz, auf einem Mammutzan eingerizt, wurde erst für betrügerisch und untergeschoben erklärt, aber von den Altertumsforschern für alt und echt anerkant. Mit den aufgefundenen Nadeln näte man one Zweifel, wie heut die Eskimos, Tierfelle zusammen. Die Jäger der Dordogne waren von stattlicher Größe und gewaltigem Körperbau, der Schädel länglich, das knöcherne Antlig, abgesehen von den etwas kräftig ausgebildeten Kiefern, überrascht durch die Schönheit seiner ovalen Umrisse. Der geräumige Schädel, von 1590 Kubikcentimeter bei der männlichen, 1450 Kubikcentimeter bei der weiblichen Gehirnkapsel*) deutet, wenn der Schluß erlaubt ist, auf eine hohe Begabung.
Die Schädel der belgischen Höhlen zeigen eine mehr rund liche Form; man fand dort neben den Resten des Rentiers auch Knochen des Schafes und der Ziege, so daß die dortigen Bewohner anscheinend friedliche Hirten waren.
Der Mensch trat also im weitlichen Europa nachweislich auf, noch wärend die Gletscher eine bedeutend größere Ausdehnung hatten; zugleich sind die Beweise seiner Kultur, da wir gering entwickelte Verkehrs- und Handelsverhältnisse, Bekantschaft mit dem Feuer, Waffen, den Geräten, Puzgegenständen vorfinden, so hoch zu stellen, daß wir schon eine vorhergegangene Entwicklung voraussezen müssen. Ernst Häckel sagte daher, der tertiäre Mensch sei nur noch ein Problem, d. h. er spricht seine wissenschaftliche Ueberzeugung dahin aus, daß sich die Spuren des Menschen auch noch aus Schichten nachweisen lassen würden, welche vor der Eiszeit entstanden sind. Die darwinistische Anschauung verlangt, daß sich in jenen Schichten der Tertiär- und Eiszeit auch die Ueberreste jener Affenarten vorfinden, welche den allmälichen Uebergang zwischen dem Menschen und den menschenähnlichen Affen vermitteln. Solche Reste sind bisher nicht gefunden; die vorhandenen Schädel und Skelette beweisen, daß die ältesten Menschen, sowie alle gegenwärtigen Rassen sich untereinander viel näher stehen, als dem höchsten Affen, daß sie also neben dem Affen eine selbständige Stellung im Tierreich einnemen. Dies ist aber nicht als eine Widerlegung der Descendenzteorie anzusehen, denn einerseits wird dieselbe durch eine Reihe anderer Erscheinungen genügend gestüzt, andrerseits leben die Geologen der Hoffnung, daß auch jene oft verlangten Bindeglieder zwischen
*) Vergleichsweise sei angefürt, daß der Kubikinhalt eines Schädels heut beträgt beim Manne 1450 cbem, Weibe, 1300 cbcm; der größte normale Schädel enthielt 1800 cbcm, beim Mikrocephalen mißt er 700 cbem, beim Affen 400-500 cbcm; 1000 cbcm 1 liter.
( Schluß.)
Menschen und Affen sich noch werden nachweisen lassen, wie die Bindeglieder zwischen anderen Gattungen der Wirbeltiere bereits gefunden sind.
Auch die andere Frage entsteht, ob sich die seitdem verflossene Zeit annähernd nach Jartausenden oder Jarmillionen ausdrücken lasse. Man hat den Versuch gemacht, sich teilweise scheinbar widersprechende Tatsachen zu vereinigen. Für das Verschwinden oder Aussterben einzelner Arten darf man nicht zu hohe Zeiträume in Anspruch nemen. Als die europäischen Entdecker nach dem indischen Ocean kamen, fanden sie noch den zwischen Gans und Ente stehenden Dodo auf Mauritius vor, auf Madagaskar und Neuguinea bestätigten aufgefundene Knochen und Eier die Sagen und Erzälungen der Eingeborenen von den alten Riesenvögeln; sie konten erst seit kurzem verschwunden sein. Noch im vorigen Jarhundert lebte im Beringsmeer das Borkentier, ein an den Küsten lebendes, pflanzenfressendes Meertier; binnen kurzer Zeit verschwand der flügellose Alk aus Nordeuropa . Daß andere Arten noch um den Anfang unserer Zeitrechnung eine allgemeine Verbreitung hatten in Deutschland , jezt auf eng umgrenzte Bezirke beschränkt sind, wie die großen Rinderarten( Auerochs oder Wisent) ist bekant; ebenso, daß selbst Menschenrassen sich anderen gegenüber nicht halten können, die Indianer verschwinden mit dem Büffel, die Hottentotten und Buschmänner vor den andringenden Negern und Europäern in erstaunlich kurzer Zeit.
Die Geologie gibt eine andere Antwort. Die seit der Eiszeit wärend des Diluviums und Alluviums gebildeten Schichten haben eine Mächtigkeit von 500 bis höchstens 700 Fuß. Die Beobachtungen des Wachstums der Schuttkegel an den Gießbächen der Gebirge, der Torfmoore, des Schwemmlandes der Flüsse u. s. w. sollten einen Maßstab ergeben; der Mississippi , welcher doch starke Alluvionen ablagert, würde erst in 100 000 Jaren eine 600 Fuß hohe Schicht anschwemmen. Auch die Beobachtungen am Nil haben kein sicheres Resultat ergeben; es wurden 96 Borlöcher in vier Reihen vom Nil bis zu 2 deutschen Meilen Entfernung abgeteuft; die meisten dieser Ausgrabungen lieferten auf verschiedenen Tiefen Reste von Haustieren, Trümmer von Backsteinen und Geschirren. Nicht immer verstatteten solche Reliquien eine befriedigende Zeitbestimmung, da die Schichten des Nilschlammes von Sandlagern durchsezt waren. In unmittelbarer Nähe jedoch des Steinbildes Ramses II. bei Memphis wurde unter Schichten reinen Nilschlammes, welche nicht vom Wüstensande überweht waren, aus 39 engl. Fuß Tiefe ein rot gebranter Tonscherben hervorgezogen, um welchen viel gestritten worden ist. Die an der Statue des Ramses abgelagerte Nilschicht beträgt 9 Fuß 4 Zoll, ungerechnet eine Sandschicht von 8 Zoll, das Ramsesbild wurde 1361 v. Chr. errichtet, die Schichten würden dann im Jarhundert 32 Zoll mächtig werden, und jener Scherben müßte danach 11 646 Jare vor Christi Geburt gebraut worden sein. Ein so hohes Alter erscheint den Historikern unglaublich, trozdem müßte der Scherben nach Peschel mindestens um 4000 Jare älter sein, als die Statue des großen Ramses. Um schließlich noch ein Urteil anzufüren: die Anden Südamerikas sind Ablagerungen der Tertiärzeit, sind aber seitdem bis zu 18-19000 Fuß Höhe gehoben worden. Wenn hiermit die säcularen Hebungen verglichen werden, so würde diese Hebung 70 000 Jare Zeit beanspruchen; nun ist sie aber weder stetig noch gleichmäßig gewesen, die Anden sind seit ihrer Entstehung wiederholt vom Wasser wieder überflutet worden, die Hebung wurde durch Perioden der Senkung unterbrochen, jene Zeit würde also noch um vieles zu kurz gemessen sein.
Es haben mehrere Wissenschaften Interesse daran, diese Frage genau beantwortet zu sehen. Die ältesten Völker, welche uns die Geschichte kennen lehrt, die Semiten Vorderasiens treten bereits mit einer so hohen Kultur auf, daß sie bereits eine lange Ent wicklung durchgemacht haben müssen; sie wissen die Metalle zu gewinnen, zu, mischen und künstlich zu bearbeiten, sie haben die Webindustrie zur Blüte gebracht, sind erfaren in allen Zweigen des Ingenieurfaches, das Geld als Wertmaß ist eingefürt, die Kunsttätigkeit eine bedeutende, Ackerbau und Viehzucht sind längst bekant. Und doch wollen die Geschichtsforscher die zu einer solchen Entwicklung nötige Zeit nicht auf mehr als Jartausende, höch