Zu Goethes fünfzigjärigem Todestage.

( Siehe die Jllustration auf Seite 324 u. 25,

,, Mehr Licht!"- so hauchte der sich dann für immer schließende Mund eines der bedeutendsten Menschen und größten Dichtecs am 22. März vor nunmehr fünfzig Jaren gleichsam als wolle der Dahin­scheidende, der ein langes Leben hindurch nach Licht gerungen und mit der Leuchte der Wissenschaft und Kunst Tageshelle in den Herzen und Köpfen seiner Mitmenschen zu verbreiten gesucht, damit den nachfolgenden Ge­schlechtern ans Herz legen, daß weder er noch seine Mitstreiter auf dem Felde des Geistes die Finsternis endgiltig verscheucht und daß daher sie an diesem seinen schönsten Vermächtnis festhalten und in der be­gonnenen Kulturarbeit fortfaren möchten. Dieser lezte Appell an das entweichende Leben ist denn auch in unserer Zeit von tausenden, die meist den Kindern des dichterischen Genius teilnamslos gegenüberstan den, gehört und beachtet worden, und so lebt denn der Drang nach Er­weiterung des menschlichen Wissens, dieses Streben nach mehr Licht nicht mehr einzig und allein in den Herzen der hervorragendsten und edelsten Geistern, nein, er tönt von den Lippen tausender und abertau­sender wieder und lebt in dem Herzen eines großen Teiles des gesamten Volkes. Ja im Volke, dem auch das lebenslängliche Mühen und Schaffen des Gestorbenen galt, und ihm gehörte er schließlich voll und ganz an, der ,, Aristokrat", der Geheimrat, Excellenz Wolfgang von Goethe . Von der Natur in der reichsten Weise mit Gaben des Geistes ausgestattet, hatte ihm auch das Glück die materiellen Schäze gegeben, welche ihn vor der Not und dem Elend, die zumeist die treuesten Begleiter hervorragender Geister sind, zeitlebens bewarten. Diese Gaben aber waren wol auch in Verbindung mit der elterlichen Erziehung der Grund zu der Heiter­keit des Gemüts, die ihn bis in sein Alter erfüllte und der harmoni­schen Bildung seines inneren Selbsts, die ihn so hervorragend aus­gezeichnet und ihm mit vollem Rechte die Bezeichnung des lezten Griechen" eingetragen hat. Aber dieser Umstand mag wesentlich beige­tragen haben, daß ihm das tosende Getriebe des großen politischen Lebens wenig zusagte, und er sich vor ihm am liebsten ins Reich der schönen Künste wie der wissenschaftlichen Forschung flüchtete. Aber die Figuren in seinen schönsten poetischen Schöpfungen, wie in Hermann und Dorothea und in vielen andern sind dem Volke entnommen und find troz ihrer idealen Durchbildung Glieder der großen Volksgemein­schaft geblieben; in seinem Faust ist es die gesellschaftlich nüzliche Arbeit, welche als Erlöser der Menschheit gefeiert wird und in seinem Wilhelm Meister sind es die Jdeen der sozialen Gleichberechtigung, welche von ihm zur Darstellung gelangen und in der pädagogischen Provinz den Ausdruck und die Form erhalten, die ihrer künftigen Durchfürung ent­sprechen. Goethes Arbeiten gelten nicht nur einer Klasse oder einem Stande der menschlichen Gesellschaft, sie gelten der gesamten Menschheit, und somit war er der echte, wirkliche Volksdichter. Als solcher wird er erst dann voll und ganz erkant und gewürdigt werden, wenn das Volt sich seine Werke zueigen gemacht, wenn es die Kulturstufe erstiegen haben wird, die er ihm in seinen Werken angewiesen.

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Wenn nun aber die ,, Neue Welt" die fünfzigste Wiederkehr seines Todestages dadurch ehrt, daß sie eine Szene aus seinem früheren Leben bildlich vorfürt, so tut sie wol daran, denn eine Handlung im fräftigsten und besten Mannesalter eines Menschen wird diesen uns auch in seiner ganzen Fülle und Kraft erscheinen lassen. Ist es auch nur ein einfacher Vorgang, an den wir erinnern, so läßt er uns trozdem seine hervorragende Persönlichkeit erkennen und zeigt uns, wie gut sich der Dichter, der eben seine Iphigenie vollendet, auf die Kentnis des Menschen verstand und wie er im Notfalle selbst willens ist, die auf­geregtesten Herzen zur Ruhe zurückzufüren.

Im September 1786 hatte Goethe seine italienische Reise ange treten und war nach einem mehr oder weniger langen Aufenthalt in verschiedenen italienischen Städten im März 1787 mit dem ihm von seinem Freunde Tischbein empfolenen jungen Maler Kniep nach Sizilien abgereist. Auf einem französischen Schiffe, dessen Flagge den Seeräubern Respekt einflößte, fehrte er mit seinem Gefärten im Mai nach Neapel zurück. Ein ungünstiger Wind verhinderte jedoch die Einfart in den Golf von Neapel, und so entfernte sich das Farzeug immer mehr von der Küste und trieb gegen die Insel Capri , deren Felieu rechts auf unserem Bilde steil emporragen und an denen sie mit dem Schiffe zugrunde gehen mußten, wenn es kein Mittel gab, ihnen zu entgehen. Goethe, der von der Seekrankheit geplagt wurde, hielt sich mit Mühe auf dem Verdeck und war mit seinem Begleiter durch den herlichen Anblick begeistert, den Capri , der Vesuv wie die ganze Küste gewärte. Er hatte auf die nahende Gefar nicht geachtet, bis die tobende und lärmende Menge der andern Passagiere ihn darauf aufmerksam machte. Man hatte in Erfarung gebracht, daß der Kapitän wie der Steuer­mann ihrer Aufgabe nicht gewachsen seien und man suchte sich nun durch Vorwürfe für die drohende Gefar zu entschädigen. Hören wir nun, wie Goethe die Situation selbst schildert:

Aufmerksam

betrachteten wir nun unser Schicksal mit Grauen; denn obgleich die Nacht die zunemende Gefar nicht unterschei den ließ, so bemerkten wir doch, daß das Schiff schwankend und schwei­gend sich den Felsen( der Inses Capri ) näherte, die immer finsterer vor uns standen, wärend über das Meer hin noch ein leichter Abend­schimmer verbreitet lag. Nicht die geringste Bewegung war in der Luft zu bemerken. Schnupftücher und leichte Bänder wurden von jedem

in die Höhe und ins Freie gehalten, aber feine Andeutung eines er­wünschten Hauches zeigte sich. Die Menge ward immer lauter und wilder. Nicht etwa betend knieten die Weiber mit ihren Kindern auf dem Verdeck, sondern weil der Raum zu eng war, sich darauf zu be­wegen, lagen sie gedrängt an einander. Sie noch mehr als die Männer, welche besonnen auf Hilfe und Rettung dachten, schalten nnd tobten gegen den Kapitän. Nun ward ihm alles vorgeworfen, was man auf der ganzen Reise schweigend zu erinnern gehabt: für teueres Geld einen schlechten Schiffsraum, geringe Kost, ein zwar nicht unfreundliches, aber doch stummes Betragen. Er hatte niemand von seinen Handlungen Rechenschaft gegeben, ja selbst noch den lezten Abend ein hartnädiges Stillschweigen über seine Manövers beobachtet. Nun hießen er und der Steuermann hergelaufene Krämer, die one Kentnis der Schiffskunst sich aus bloßem Eigennuz den Besiz eines Fahrzeuges zu verschaffen gewußt und nun durch Unfähigkeit und Ungeschicklichkeit alle, die sich ihnen anvertraut, zugrunde richteten. Der Hauptmann schwieg und schien immer noch auf Rettung zu sinnen; mir aber, dem von Jugend auf Anarchie verdrießlicher gewesen als der Tod selbst, war es unmöglich, länger zu schweigen. Ich trat vor sie hin und redete ihnen zu, mit ungefähr ebensoviel Gemütsruhe als den Vögeln von Malcéfine. Ich stellte ihnen vor, daß gerade in diesem Augenblick ihr Lärmen und Schreien denen, von welchen noch allein Rettung zu hoffen sei, Ohr und Kopf verwirrten, so daß sie weder denken noch sich unter einander ver­ständigen konten. Was Euch betrifft", rief ich aus ,,, kehrt in Euch selbst zurück und dann wendet Euer brünstiges Gebet zur Mutter Gottes, auf die es ganz allein ankomt, ob sie sich bei ihrem Sogne verwenden mag, daß er für Euch tue, was er damals für seine Apostel getan, als auf dem stürmenden See Tiberias die Wellen schon in das Schiff schlugen, der Herr aber schlief, der jedoch, als ihn die Trost- und Hisslosen aufweckten, sogleich dem Winde zu ruhen gebot, wie er jezt der Luft gebieten kann, sich zu regen, wenn es anders sein heiliger Wille ist." Diese Worte taten die beste Wirkung. Eine unter den Frauen, mit der ich mich schon früher über sittliche und geistliche Ge­genstände unterhalten hatte, rief aus: Ah! il Barlamé! Benedetto il Barlamé!" Und wirklich fingen sie, da sie onehin schon auf den Knien lagen, ihre Litaneien mit mehr als herkömlicher Inbrunst leiden­schaftlich zu beten an. Sie konten dies mit desto größerer Beruhigung tun, als die Schiffsleute noch ein Rettungsmittel versuchten, das wenig stens in die Augen fallend war: sie ließen das Boot hinunter, das freilich nur sechs bis acht Männer fassen konte, befestigten es durch ein langes Seil an das Schiff, welches die Matrosen durch Ruderschläge nach sich zu ziehen kräftig bemüht waren."

Dieses Mittel jedoch wie auch andere waren außerstande, Rettung zu bringen und so ging denn Goethe, den die Seekrankheit durch die Unruhe des Schiffes noch mehr padte, hinunter in die Kajüte, aber durchaus beruhigt. Aus einem Halbschlummer weckte ihn das Rasseln der Taue, mit denen man die Segel aufspante, die bald ein leiser, als Retter noch rechtzeitig sich einstellender Luftzug bläte und damit das Schiff von den gefärlichen Felsen forttrieb.

So hatte denn Goethe dadurch, daß er auf das Denken und Fülen der erregten Passagire einging, und diese beruhigte, indirekt das meiste zur Rettung beigetragen. Denn wie leicht hätte es nicht passiren können, daß die Verwirrung und womöglich schließlich Empörung den Untergang herbeigefürt hätte, ehe noch der rettende Windeshauch sich eingestellt. Er beweist durch diesen Aft aber, daß er ebensowol imstande war, direkt ordnend und beruhigend auf die Menschen einzuwirken, wie auch andere sich allerdings leichter behandelnde Objekte in schönre Ord nung umzuformen. Und so bewärt sich an ihm in diesem Falle das Poeta propheta in recht treffender Weise. Erhaben und wie von einer höheren Inspiration beeinflußt und durchdrungen, steht er da und schon seine ganze Erscheinung ist geeignet, Ruhe und Andacht unter die un­gefüge Masse zu bringen. Und als er dann erst zu ihnen spricht, ge­ängstigten Gemüter mit froher Zuversicht. wint der Glaube an eine sichere Rettung Eingang und erfüllt die ge­

In derselben Weise hat denn auch der Künstler, Hermann Junker , diese Situation aufgefaßt, und man fann mit Sicherheit sagen, daß ihm die treue Wiedergabe geglüdt ist. Zornesausbrüche zucken noch hie und da auf, aber schon fehlt dem Sturm die ungestüme treibende Kraft. Und wie der Mensch Goethe hier die verzehrenden und zer störenden Leidenschaften beschwört und das entfesselte Element in die rich ige Bahn leitet, so hat es der Dichter immer getan, indem er dem Menschlichkeit gelehrt und gesungen, und damit hat er sich den Dank Bolte in seinen großartigen poetischen Schöpfungen die echte schöne aller lebenden und künftigen Geschlechter verdient. Fr. Nauert.

Diner à part. Unser Bild auf Seite 328 zeigt uns wiederum eine Szene in der Kinderstube, aus der die ganze Naivetät des find lichen Spiels hervorleuchtet. Elsa und Bertha haben ein großes Fest essen veranstaltet, bei dem natürlich ihre besten Freunde, der phlegma tische und plumpe Elephant, die Puppe, Mieze und Bello nicht fehlen dürfen. An Leckerbissen ist kein Mangel, ja sogar der Champagner war berufen, sein Mögliches zur Feststimmung beizutragen. Der Mieze komt dies sehr gelegen, sie hat sich denn auch eiligst über einen Teller voll Mandelmilch hergemacht. Mürrischer schon ist Bello, dem die Vorbereitungen und Umstände, die man mit ihm macht, viel zu lang