Wenn er sein Tagewerk beendet, Wenn leis die Nacht herniedersinkt, Die Sonne feinen Strahl mehr sendet, Des Mondes Silberschimmer blinkt, Sizt er im kleinen Erkerzimmer Am Schreibepult, vom Wurm zernagt, Indes des Lämpchens bleicher Schimmer Ihm leuchtet, bis es wieder tagt.

In einem kleinen Schranke stehen Die Bücher, sorgsam aufgestellt; Schon oft hat er sie durchgesehen, Sie bilden seine ganze Welt. Sie schließen ihm des Wissens Schäze, Der Dichtung Lebensbronnen auf, Der Schöpfung ew'ge Weltgeseze Und der Gestirne Bahn und Lauf.

Sie trösten ihn in schweren Stunden, Wenn er des Schicksals ganze Macht, Des Lebens Nichtigkeit empfunden, Wenn ihm fein Sonnenstrahl mehr lacht. Und wenn des Glückes heitrer Schimmer Sich auch einmal zu ihm verlor, Dann flieht er in sein kleines Zimmer Und holt die Bücher rasch hervor.

Doch nicht empfinden und empfangen Nur will des Armen sehnend Herz; Es trägt ein mächtiges Verlangen Ihm die Gedanken himmelwärts. Auch er, auch er fühlt sich berufen, Dem Hohen seine Kraft zu weih'n; Er knieet vor des Tempels Stufen, Doch keine Gottheit läßt ihn ein.

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Ein verkommenes Genie.

Was hat er alles schon geschrieben! Was ihn in tiefster Brust bewegt, Er hat sein Hassen und sein Lieben In seinen Werken dargelegt; Was mit der Warheit mächt'gem Feuer Die jugendliche Brust durchdrang, Was seinem Herzen lieb und teuer, Das tat er kund in dem Gesang.

Der Weltgeschichte ernste Lehren Führt er im Spiel dem Volfe vor, Doch ach! es wollte ihn nicht hören, Und höhnisch klang es ihm in's Ohr: Was willst du unser Handeln meistern? Nur einmal blüt des Lebens Lust! Bleib' du bei deinen großen Geistern; Sie sind zu groß für uns're Brust!

Und ob des Spottes herbe Pfeile Ihn auch im Innersten verlezt, Er hat doch sonder Rast und Weile Sein eifrig Streben fortgesezt.

Er wollt das Schicksal mächtig zwingen, Den Lorbeer sezen auf sein Haar, Doch ach! es wollt ihm nicht gelingen, Und es blieb alles, wie es war.

Nur ärmer noch, als all' die Vielen, Die wolig leben tief im Staub, Fühlt er den Gram im Busen wühlen, Und wird er der Verzweiflung Raub. Was ließ er nicht am Wege liegen! Der Jugend heitres Lebensglück Floh er, das rauschende Vergnügen, Und stieß die Liebe rauh zurüd.

Die jez'ge Zeit will andre Söhne! Sie will fein schwärmend Angesicht, Als Lurus achtet sie das Schöne, Als eitel Torheit das Gedicht!

Einsam, allein hat er gestanden Inmitten der Genossen Schar; Sich keine Herzen zu ihm fanden, Weil kein's dem seinen ähnlich war. Zuweilen fallen seine Blicke Auf einen welken Lorbeerkranz, Er denkt an schön're Zeit zurüde, Und seine Augen sprühn im Glanz.

Er hat als Preis ihn einst errungen, Er hat in seinem Schmuck geglänzt; Die Lehrer hatten ihn geschlungen Und seine Stirn damit bekränzt. Als fünft'gen Ruhmes glücklich Zeichen Galt ihm der schöne Ehrenpreis; Noch andern Kranz wollt er erreichen Unsterblichkeit, dies Lorbeerreis.

Doch der ward nicht für ihn gewunden, Ob auch die Seele darnach lechzt, Drum kann sein Herze nicht gefunden, Das unter tausend Qualen ächzt; Kein Balsam seine Wunden heilet Und mildert all' sein schweres Leid. Die Feder nur geschwinder eilet In der Erinnrung jener Zeit.

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Laß' doch das Schreiben; greifzum Spaten Und grab damit ein tiefes Grab. Du bist für diese Welt mißraten, So zaud're nicht und steig' hinab! Du kommst ja doch nicht zu dem Ziele, Dein Jdeal erreichst du nie, Gehst unter in dem Weltgewühle, Armes, verkommenes Genie!

Erring', erschaffe und erwerbe Und mach' zu deinem Gott das Geld, Dann bist du ein glücksel'ger Erbe Der neuen Zeit, der heut'gen Welt!

Erust Klaar, Schriftsezer in Kappel bei Chemnit

Reineke Fuchs.

Eine literar- historische Skizze von Fr. Nauert. ( Mit Abbildung. S. Seite 343.)

Wenn es für die unverwüstliche Dauer der poetischen Schöpfung, deren Titel diesen Zeilen voransteht, irgend eines Beweises bedürfte, so wäre dieser sicherlich darin zu finden, daß ein Dichter wie Goethe seinen Zeitgenossen und den späteren Geschlechtern dieselbe in neuer Form und neuer Sprache mit der ihm eigenen künstlerischen Meisterschaft zugäng­lich gemacht hat, und daß andererseits einer der größten Maler unserer Tage, der ältere Kaulbach , dieses Gedicht mit nicht minder großer Genia­lität illustrirte. Entzückt uns die vollendete Schönheit einer Iphigenia", ergreift uns der geniale Lösungsversuch des Rätsels, welches das Innere des Menschen immerdar bewegt hat, im" Faust", so übt die Nach- und Umdichtung der Ränke des in Sage und Poesie die Menschen von Alters her beschäftigenden Schlankopfs Reineke ihre Anziehungskraft nicht minder immer wieder auf uns aus und ruft unser stets erneutes Er­gözen hervor. Die gleiche Wirkung erzielen die von Kaulbach dazu gelieferten Zeichnungen, deren eine wir in unserem Bilde unseren Lesern Sarbieten. Mag der Eindruck, den die Werke dieses Meisters, wie die Hunnenschlacht, das Zeitalter der Reformation, der Turmbau zu Babel , die Zerstörung Jerusalems , die Blüte Griechenlands und andere auf den Beschauer hervorrufen, ein noch so großartiger und wirkungsvoller sein, er wird daneben gewiß mit eben so viel Interesse und Vergnügen seinen Reineke Fuchs " betrachten. Vielleicht wird dieses leztere Werk sein Interesse noch mehr fesseln, da es, ganz der satyrischen Gabe des Meisters entsprungen, von dem Grundton seiner spöttischen, diesem Stoff durchaus entsprechenden Stimmung beherscht und so in seiner Vollendung bedeutender ist, als andere seiner Werke, bei denen das satyrische Ele­ment der Gesamtkomposition weniger zuträglich ist. Wie er, so hat auch Goethe an der Bearbeitung dieses Stoffes seine hohe Künstlerschaft bewärt. Denn mögen noch so viel Schwierigkeiten zu überwinden sein, um ein Sujet, das der Künstler den Vorgängen und Ereignissen seiner Zeit entnimmt, fünstlerisch zu gestalten, ungleich schwieriger ist doch die künstlerische Durchbildung eines Gegenstandes, der seiner ganzen Natur nach der Zeit des Künstlers fremd ist und in dessen Wesen er sich erst voll und ganz hineinleben muß, was aber nur geschehen kann, wenn er seine Subjektivität abstreift. Und schwieriger als sonst ist dies wol bei der epischen Gestaltung der Tiersage, weil dazu eben die Ursprüng­

lichkeit und Naivität vonnöten ist, welche den alten Sagenstoff erst schaffen konnte.

Ueber das ausgezeichnete Bild selbst, das uns verbildlicht, wie der Schelm Reineke seinem Weibe Ermelyn seine bei Hofe und sonst ver­übten losen Streiche und seinen schließlichen Triumph erzält, werden wir später ausfürliches mitteilen. Borerst mögen zum besseren Ber ständnis einige Auseinanderseßungen über das Wesen und die Ent stehung der Tiersage vorausgehen.

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Das Alter der Tiersage wir haben hier die germanische vor wiegend im Auge reicht wol weit über die uns bekannte Geschichte unserer Altvordern hinaus. Ziehen wir nun inbetracht die von neueren Natur- und Kulturforschern mit viel Geist und Geschick als sehr war scheinlich hingestellte Behauptung, daß der Mensch der Gegenwart in einem gewissen Alter in seinen Lebensäußerungen dem Tun und Treiben der gesammten Menschheit in einem entsprechenden Entwidlungsstadium entspricht, so ist der Ursprung der Tierfabel im Kindheitsalter der Mensch heit auch wissenschaftlich begründet. Denn wie das Kind sich selbst tote Gegenstände belebt denkt und mit ihnen spricht, sie lobt oder tadelt, beschenkt oder bestraft, mithin bei ihnen ein Bewußtsein voraus sezt, so legt es dem lebenden Tiere erst recht und überaus häufig diese Eigenschaften bei. Die mit menschlichen Fähigkeiten ausgestatteten Helden der Kindermärchen, die ja so oft dem Lierreiche entnommen sind und der Beifall, der ihnen von den aufmerksam zuhörenden Kleinen gezollt wird, liefern den besten Beweis für die oben aufgestellte Be Hauptung und zeigen uns am deutlichsten die Sphäre, in denen der Tiermytus seine große Rolle spielt.

Früher war nun der Mensch durch seine ganze Stellung in der Natur viel mehr als jezt auf das Tier angewiesen; sei es als Hirt oder als Jäger, er stand mit den Bewohnern von Feld und Wald in stetem Verkehr. Dabei lernte er aber auch alle ihre Eigenschaften besser kennen und fand in den Leidenschaften, sowie in deren mannigfachen Aeußerungen von Schmerz, Freude und Trauer seelische Verwantschaft mit sich. Dazu kam noch, daß er die ihm vielfach überlegene Kraft und Gewantheit, wie auch den viel schärferen Geruchs- und Gesichts sinn vieler Tiere bewundern mußte. Der Flug der Vögel oder der Lauf dieses oder jenes Tieres bedeutet Glück oder Unglüd, je nachdem ebenso find Tiere Anfürer bei auswandernden Volksstämmen. De Glaube an die Seelenwanderung, d. i. die Uebersiedlung der Seele des Menschen nach dem Tode in den Körper eines Tieres, entstammt gleich