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Der Unfug der Deposition und des Pennalismus auf den deutschen   Universitäten.

Ein Sittenbild aus dem 17. Jahrhundert, von A. M.

In seiner phantastischen Erzählung die Glücksritter" gibt Eichendorff eine ganz kurze Schilderung studentischen Trei­bens auf der( damals noch garnicht bestehenden) Universität Halle kurz nach dem dreißigjährigen Kriege, die der Einbildungskraft des Dichters entsprungen, nicht durchaus mit der nackten Wirk lichkeit harmonirt. Es war eine traurige Zeit vor, während und nach jenem verderblichen Kriege: Armut, Elend und Ver­kommenheit auf der einen Seite, Luxus, Verschwendung, rohe Genußsucht auf der anderen, Aberglaube und Unwissenheit auf beiden, Haß, Unduldsamkeit, Verfolgungssucht überall. Die Erbitterung zwischen Protestanten und Katoliken, die traurigen und unwürdigen Streitigkeiten und Hezereien protestantischer mehr, als katolischer Teologen, das gegenseitige Mißtrauen der Fürsten   beider Konfessionen und die dadurch herbeigeführten Rüstungen ließen die zur Förderung der Industrie, des Han­dels und der Wissenschaften nötige Ruhe nicht aufkommen, und hatten auf die Sitten, schon lange vor dem entsezlichen Kriege, den ungünstigsten Einfluß. Und wenn auch gegenüber der Ver­sunkenheit, der Not und dem Elend auf dem platten Lande, in den Städten Lurus und Verfeinerung herrschten, so war dies doch blos eine Uebertünchung der inneren Roheit und niederen Genußsucht, die einen sehr großen Teil der höheren Stände beherrschte. Daß davon die Träger der Wissenschaften nicht aus­geschlossen waren, lehrt uns deutlich die Geschichte der Universi­täten der damaligen Zeit.

Das Nebel, welches den größten Teil der deutschen und - zwar der protestantischen Universitäten vom Anfang des 17. Jarhunderts an bis weit in dessen lezte Hälfte hinein gleich wie eine Krankheit durchdrang, wissenschaftliches Leben und Streben ertötete, Verwilderung und Roheit beförderte, und end­lich den Untergang der Hochschulen selbst herbeizuführen schien," war der sogenannte Pennalismus. Man versteht darunter die Unbilden und die unwürdige und grausame Behandlung der jüngeren, eben auf die Universität kommenden Studenten durch die älteren, d. h. diejenigen, welche schon über 1 Jahr die Uni­versität besuchten. Aber nicht verwechseln darf man mit dem Pennalismus die sogenannte Deposition der Studenten, d. h die Ceremonien bei der Aufnahme auf die Universität, obgleich sie, namentlich in ihrer Ausartung, mit dem Pennalismus entfernte Aehnlichkeit und vielleicht auf die Entstehung des lezteren einigen Einfluß gehabt haben.

Schon auf der Sophistenschule zu Athen   im 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung war eine Studentenweihe üblich, wie sie Gregor von Nazianz   uns schildert. Das Treiben der damaligen Studenten in Athen  " sagt D. Schade in den weimar  . Jahr büchern," bietet so mannigfache Uebereinstimmungen, selbst noch mit unserm heutigen deutschen Studentenwesen, daß eine Parallele zu ziehen garnicht abenteuerlich ist. Die athenischen Studenten waren in Verbindungen geteilt, meist nach dem Lande aus dem sie tamen, also in eigentliche Landsmannschaften, die mit einem Vorsteher an der Spize und fester Organisation ein förmliches Werbe, mit dem heutigen studentischen Ausdruck zu reden: Keilsystem ausgebildet hatten, das geradezu in ein Pressen der Ankömmlinge ausgeartet war. Auf Straßen, Höhen und in Höfen hatten sie ihre Kundschafter, die den Ankommenden mit Beschlag belegten und ihn nicht eher losließen, bis er durch eine Studentenweihe( gewissermaßen eine Fuchstaufe), einer der ihrigen geworden war."

Ueber die Art der Weihe oder die Aufnahmeceremonien selbst schreibt der schon genannte Gregor von Nazianz  : Sobald ein junger Mensch Studien halber nach Athen   kommt, muß er von denen, in deren Hände er zuerst fällt, er wolle oder wolle nicht, sich gastfreundlich aufnehmen lassen, es seien nun Ver­wandte, Freunde, Landsleute oder Studenten überhaupt. Da wird er denn von allen geneckt und gehänselt, bald feiner, bald

derber, je nachdem er selber mehr oder weniger Lebensart besizt. Man will ihm damit die Selbstgefälligkeit in etwas be nehmen und ihn zum Gehorsam gewöhnen. Wer das nicht näher kennt, dem scheint es zu arg, eigentlich aber ist es nicht böse gemeint: es sieht schlimmer aus, als es wirklich ist. Hierauf findet die eigentliche Aufnahme in die Verbindung statt. In feierlichem Zuge parweise hinter einander und in bestimmter Ordnung begeben sich die Mitglieder mit dem Ankömmlinge über den Markt nach dem öffentlichen Bade. Kommen sie davor an, so erheben die vordersten ein wildes Geschrei wie Besessene und gebieten dem Zuge halt, als ob ihnen der Zutritt verwehrt würde. Dann stürzen sie auf die Tür los und erzwingen scheinbar den Eingang, tun hierauf endlich alles, um dem Neu­linge bange zu machen, lassen ihn ins Bad hinein, und geben ihm da die Freiheit. Kommt er wieder heraus, so empfangen sie ihn auf's freundlichste und halten ihn wie jeden andern ihresgleichen. Und das ist( so schließt Gregor seine Beschrei­bung) noch das angenehmste an der ganzen Ceremonie, daß sie nicht lange dauert und man die Plage bald los wird. Allein nicht nur in Athen  , auch in den Rechtsschulen zu Konstantinopel  und Berytus scheint ein ähnlicher Gebrauch üblich gewesen zu sein, der allmälich zu Ausschreitungen und zur Vergewaltigung der Jüngeren geführt haben mag, so daß der byzantinische Kaiser Justinian II.   im Jahre 533 n. Chr. eine strenge Verordnung ergehen ließ, daß sich niemand unterstehen solle, solche umwür­dige, schändliche, ja oft sklavische und kränkende Behandlung und Quälerei auszuüben, noch andere Vergehen, weder gegen die Professoren, noch die Kameraden, am wenigsten aber gegen neue Studenten sich zu Schulden kommen zu lassen." Daß auch auf der rhetorischen Schule zu Karthago  , wo die Excedenten " Stürmer"( eversores) genannt wurden, derartiger Unfug vor kam, meldet uns der heilige Augustin. Und noch im 8. Jahr hundert eifert eine Kirchenversammlung gegen solche Ausschrei­tungen.

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Leicht denkbar ist es nun, daß sich derartige Gebräuche bei der Aufnahme Neuer unter die Zal der Besucher einer Uni versität durch das ganze Mittelalter hindurch im Morgenlande erhalten und sich auch nach dem Abendlande verpflanzt haben, namentlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie leicht sich Gebräuche, insonderheit auch Mißbräuche, und Einrichtungen fortpflanzen, und wie zähe sie sich durch Jahrhunderte erhalten. Zwar läßt sich geschichtlich nicht nachweisen, daß auf den ältesten abend­ländischen Universitäten zu Bologna  , Salerno   und Paris   ähn liche Gebräuche bei der Aufnahme stattgefunden haben, aus dem Namen der Neulinge aber, den diese bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts auf den deutschen Universitäten führen, läßt sich mit einiger Sicherheit annehmen, daß in Paris   wenigstens, wo vier sogenannte Nationalitäten unter den Studierenden be­standen die französische, die englische oder deutsche, die pifar­dische und die normännische irgend welche Aufnahmecere­monien üblich gewesen sind. Der Name Bean( beanus) näm lich, welchen die Neulinge( juniores) auf allen deutschen Uni­versitäten führten, stammt von dem französischen   begaune, das man von bec jaune( Gelbschnabel) ableitet, und bejaunium hieß in Paris   das Geld, welches die Neulinge bei der Aufnahme zu entrichten hatten.

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Die Aufnahmeceremonien auf der pariser Universität, nach deren Muster die deutschen Universitäten eingerichtet waren, standen gewiß unter Aufsicht der akademischen Vorgesezten, oder wurden von ihnen geleitet, und daher finden wir auch, daß auf sämmtlichen deutschen Universitäten die Handhabung der Auf­nahmefeierlichkeiten, die sogenannte Deposition, in den Händen der akademischen Lehrer sich befand. Die Deposition," sagt D. Schade a. a. D. bestand in einer Reihe tragikomischer Vera tionen, durch die symbolisch das Abtun des tierischen, groben,

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