Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
№ 32.
Erscheint wöchentlich.
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Preis vierteljärlich 1 Mark 50 Pfennig. In Heften à 35 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
Verschlungene Lebenswege.
Roman von Franz Carion.
Nirgends trat der Unterschied zwischen„ Reich oder Arm" überzeugender zu Tage, als in Hannover . Ritterschaft, Geistlicher und Lehrstand besaßen völlige Tarenfreiheit, und hatten es verstanden, sich auch von der indirekten Besteuerung frei zu machen. Die englische Regierung fand jedoch eine sehr fluge Ausgleichungsweise auf, um sich von den armen Untertanen ihres Kurfürstentums Hannover , die ihr von dessen hochpreislicher Ritterschaft, den ehrwürdigen Herrn des geistlichen Standes und unentbehrlicher Lehrerschaft, nicht gezahlten Steuern zu verschaffen. Die königliche Regierung zu London erließ ein Machtgebot, welches nur den reichen Leuten im Hannoverschen Lande das Raffeetrinken gestattete, den arbeitenden Klassen es jedoch streng verbot, damit nicht der Stand für die Soldatenwerbung abgeschwächt werde. Wer die Geldstrafe wegen Uebertretung dieser königlichen Verordnung nicht zahlen konnte, wurde mit proportionirlicher Gefängnis oder anderer Leibesstrafe„ unerbittlich" belegt. Die Regierung aber sorgte mit mütterlichem Herzen für eine Genußentschädigung der Armen, indem sie diese auf den Branntwein hinwies, dessen Verbrauch seitdem auch einen riesigen Aufschwung nahm, während die Bierkonsumtion auf's Tiefste herabgedrückt wurde.
Dergleichen vaterländische Anekdoten gaben drei Männer im Pavillon des Doktor Philipp'schen Gartens Stoff zu ihrer Unterhaltung. Man hätte meinen sollen, diese Herren seien sehr heiteren Naturells, denn sie lachten nicht selten hellauf, wenn einer oder der andere eines spaßhaften Vorganges gedachte, der unbegreiflicher Weise von der Regierung als eine Heil bringende Verordnung erlassen worden, welche grade das Gegenteil davon erzielt hatte. Es war aber nicht die Lust am Scherze, wegen deren sie lachten, vielmehr war es ein zorniges Lachen, das keineswegs irgend wen zur Teilnahme zu reizen vermocht hätte. Doktor Philipp, der niemals Neigung zu politischen Umtrieben gehabt, hatte sich seit jener Zeit, daß er von seiner Frau geschieden war, hinsichtlich seiner Ansichten gänzlich geändert. Seitdem waren sieben Jahre vergangen. Sein Gretchen ging jezt in's neunte, und die herzlichste Liebe zu ihr hatte ihm das Herz aufgeschlossen und gleichsam Hand in Hand mit seiner Neigung zu dem Töchterchen verband sich auch die aufrichtigste
1882.
( 5. Fortsezung.)
Liebe zu seinem Volke. Er war einer Verbindung von ehrenwerten Männern beigetreten, von denen er die meisten aus seinen Universitätsjahren her kannte. Die Erkenntnis, daß es besonders nötig sei, das Tun und Treiben der königlichen Regierung und die Schmach kennen zu lernen, welche dieselbe auf ihr hannöversches Volf gehäuft habe, hatte dessen Vaterlandsfreunde zu dem Ent schluß gebracht, kleine zwanglose Hefte, in denen die Ereignisse, welche im Verlaufe einer Reihe von Jahren geschehen und so viel Unglück über das hannöversche Land und Volk gebracht hatten, überall unentgeldlich zu verbreiten. Das Volk sollte die königliche Mißwirtschaft gründlich kennen lernen, unter der seine Eltern so bitter gelitten.
Und dieses wichtige Ziel hielt die drei Männer hier vereint. „ Meine lieben Freunde," hob Doktor Philipp an...„ es wird niemand auftreten können, der mit Recht uns zu beschuldigen vermag, daß wir bei diesen kleinen Schilderungen der Wahrheit in's Gesicht geschlagen haben und was England, die gütige für unser Kurfürstentum so vorsorgliche Mutter anlangt, so hat sie ihr Lob durch den berühmten Schriftsteller ihrer Nation, Horace Walpole , hinreichend empfangen. Sezen wir diesen ersten von uns unter's Volk gesendeten Heftchen als Motto Walpole's eignen Ausspruch voran: Das Kurfürstentum( Hannover ) litt unter der So viel Geld als man Begehrlichkeit der englischen Krone. diesem abpressen konnte, alles floß in die königliche Privatkasse." Sehr gut, sehr gut," stimmte ein alter weißhariger Herr bei. Wir könnten unserem Geisteskinde keinen besseren Segen mit auf die Wanderschaft geben."
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„ Das sage ich auch, Philipp hat da einen glücklichen Treffer gefunden! rief der dritte.
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Nun aber, lieben Freunde, bleibt uns nur die eine Notwendigkeit, die man ungestraft nicht vergessen darf," redete der vorige.
„ Und welche wäre die?" fragten die anderen erstaunt. ,, Die lezte unserer kleinen Schilderungen muß gepfeffert sein, ich meine damit, sie muß die ihr vorhergehenden an Schärfe überbieten, damit sie sich in's Gedächtnis des Lesers einprägt und er gelegentlich seinen Freunden und Bekannten davon erzählen kann. Die große Auflage von Exemplaren wird es