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sie soll dort von dem Konsistorialrat selbst oder seinem Haus-| personal, foste es, was es wolle, zu erfahren suchen, wohin man Briefe für Frieda Haßler zu senden hat. Sie fann einen über Wäsche oder dergleichen gänzlich harmlose Angelegenheiten han­delnden Brief mitnehmen und bitten, man möchte ihr die Adresse sagen oder draufschreiben, -nur muß das Schreiben so ein­gerichtet sein, daß es scheint, als ob die Sache große Eile habe. Strengen Sie Ihren Scharfsinn an,- Sie wissen, wie Sie gelohnt werden hier indessen eine Abschlagszahlung." Der Schuldiener wurde feuerrot vor Freude.

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" Werd's besorgen, werd's ganz sicher besorgen. In ein par Stunden hat der gnädige Herr bestimmt die Nachricht."

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Er rannte von dannen, als ob es hinter ihm brennte. Und " hundert Taler hundert Taler," sagte er immer von neuem vor sich hin, bis er vor der Pforte des Schulgebäudes ange­langt war.

Franz Stein begab sich ins Hotel. Er wollte sich nur er­fundigen, ob irgend welche Nachrichten für ihn angekommen seien, was er für nicht unmöglich, aber doch nicht wahrscheinlich hielt. Mit dieser seiner Meinung sollte er sich jedoch getäuscht haben. Der Portier übergab ihm ein Telegramm. Es kam von seinem Buchhalter aus Seifersdorf. Derselbe teilte ihm mit:

" In der Fabrik große Aufregung. Gearbeitet wird fast garnicht. Arbeit soll noch heute ganz eingestellt werden, wenn nicht schriftliche Verpflichtung unter bisherigen Lohn niemals hinunterzugehen und keinen der jezt beschäftigten Arbeiter inner­halb Jahresfrist zu entlassen. Was tum?"

Stein behielt die Depesche offen in der Hand und ging in sein Zimmer. Er mußte einen Augenblick allein sein, um über seine Situation und die notwendigen Maßregeln klar zu werden. Unter andern Umständen, als die waren, welche ihn seit heut morgen beschäftigten, würde ihn eine Nachricht, wie er sie soeben erhalten, aufgeregt und entrüstet haben.

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In diesem Augenblicke aber fühlte er sich gegen solche Fata­litäten, -mochten sie für seine materielle Lage so bedrohlich sein, als sie wollten, gefeit. Nur die Sorge um Frieda ging ihm zu Herzen tief, allertiefst zu Herzen, alles andre be­rührte ihn zwar, es regte ihn zum Widerstande an, aber es schmerzte, es beängstigte ihn nicht.

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Freilich über die Folgen der ihm gemeldeten Tatsache- sofern es sich wirklich um eine Tatsache handelte- war er von vornherein mit sich einig, sein ganzes Etablissement, der weit­aus größte Teil seines Vermögens stand auf dem Spiele,-. auf einer Karte.

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Aber was war ihm sein Vermögen, wenn er Frieda verfor. Und wenn er sein Mädchen wieder hatte, wollte er gern auf seines Beſiztums größten Teil verzichten. Aber wenn er seine Frieda wieder fände, sich wieder eroberte in dem Augenblicke, der ihm an materiellem Hab' und Gut alles, rein alles raubte, was er je besessen?

Mußte er nicht dann auf Frieda verzichten, durfte ein Bettler sie freien, er als Bettler, dem sie die Hand gereicht zur Zeit, da er mit Recht als wohlhabender, ja reicher Mann galt?

Aber er dachte troz allem, was vorgefallen und was er sich noch lange nicht vollständig zu erklären vermochte, dennoch zu hoch von seiner Frieda, als daß er hätte für möglich halten fönnen, sie würde auf ihn verzichten, ihn verschmähen, weil er unverschuldet arm geworden wäre, und dann dachte er auch nicht niedrig genug von sich, um zu bezweifeln, daß es ihm selbst nach den härtesten Schicksalsschlägen schwer fallen würde, sich und ihr mit eigener Arbeit wenigstens das tägliche Brot zu verdienen und sich allmälich wieder zu einer bescheidenen bürgerlichen Eri­stenz emporzuschwingen. Zudem vermochte er sich in die Ueber­zeugung, daß das materiell Schlimmste, der totale Banferott seines Etabliſſements ihn treffen könne, denn doch nicht so recht hinein zu denken.

loos,- und in jedem Unglücksfalle ist nichts gefährlicher, als sich von der Angst vor dem Schlimmsten einschüchtern zu lassen, allem, was da kommen kann, fühn in's Auge schauen, dem Unglück ein Paroli biegen und handeln, das ist die Art, mit dem Leben und den Leuten fertig zu werden.

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So hatte er sich gesagt, als er in seinem Zimmer ein par­mal auf und abgeschritten war.

Handeln, aber wie handeln? Sollte er seinen Arbeitern nach­geben? Aber wäre das nicht Schwäche gewesen, Schwäche, für welche die Blamage der verdiente Lohn wäre? Und gab er sich dann nicht auf Gnade oder Ungnade in die Hände einer unselbständigen, leicht beweglichen, leicht gegen ihn einzunehmenden und gänzlich unberechenbaren Menge? Das ging unmöglich, selbst wenn er sich entschlossen hätte, für das ganze nächste Jahr mit einem Verlustsaze zu produziren, der ihn langsam, aber darum nicht minder sicher, zum Ruin geführt hätte.

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Dem so sicheren langsamen Untergang war der rasche jeden­falls als der bessere und schmerzlosere vorzuziehen. Also mußte er die streifenden Arbeiter einzig sich selbst über­abgesehen davon, daß er sich sofort an die Behörden lassen, wenden konnte, um die Arbeiter zu zwingen, wenigstens die gesezliche Kündigungsfrist von vierzehn Tagen einzuhalten. Viel­leicht machte sein entschiedenes Vorgehen und der Appell an ihr Gesezlichkeitsgefühl auf die Arbeiter einen günstigen Eindruck.

Er entschloß sich daher sofort seinem Buchhalter zurückzu­telegraphiren, er möge die Arbeiter in ruhiger, aber von jedem Anschein der Nachgiebigkeit freier Weise auffordern, die durch die Gewerbeordnung bestimmte Kündigungsfrist zur Vermeidung empfindlicher Unannehmlichkeiten für sie selbst einzuhalten,- nach 14 Tagen könnten sie alle gehen, ihre Forderungen würden ihnen auf keinen Fall erfüllt, weil die Lohnreduktion nicht eine Maß­regel der Willkür und zum Zwecke der Bereicherung ihres Arbeit­gebers geschehen sei, sondern einfach ein Gebot unumgänglicher Not­wendigkeit. Beständen die Arbeiter dennoch darauf, auf der Stelle die Arbeit niederzulegen, so habe sich der Buchhalter unverzüg­lich an die Gemeindebörden um die gesezliche Hülfe zu wenden. Gleichviel, was dieses Vorgehen fruchten konnte, erschien es Franz Stein außerdem geboten, sich gleichfalls ohne alles Sän­men nach andern Arbeitern umzusehen.

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Er hatte sich in der jüngstvergangenen Nacht bereits brief­lich an alle ihm bekannten Commissionäre und Arbeitsvermitt jezt wollte er sie nun im Fluge lungsbureaus gewandt, sämmtlich aufsuchen, um sie womöglich mit pefuniären Opferu in sein Interesse zu ziehen. Dabei erinnerte er sich des Tech­nifers Faber und seines Anerbietens bezüglich der Herbeischaffung von Arbeitern. Der Mann war ihm zwar von Anfang seiner Tätigkeit in der Fabrik an nicht sympatisch gewesen und durch die zudringliche, den Stempel egoistischen Intereſſes zu deutlich an der Stirn tragende Dienstfertigkeit noch mehr antipatisch ge­worden.

Aber in einem Kriege, in dem den Feinden alle Mittel recht sind, ist ein Tor, wer nicht die Bundesgenossen und Werkzeuge

nimmt, wo er sie findet.

Es erschien ihm also geraten, den Techniker Faber ebenfalls telegraphisch hieher nach..... zu bescheiden und ihn durch die Aussezung einer für seine Verhältnisse glänzenden Beloh­nung nebst einer dauernden Gehaltserhöhung zu höchstem Eifer anzuspornen.

Franz Stein schrieb eiligst die ziemlich umfangreich aus­fallende Depesche und verließ darauf wieder sein Zimmer. Einen

furzen Moment trat er in den Speisesaal des Hotels, aber nicht um zu essen, obgleich er den ganzen Tag so gut wie garnichts Nahrhaftes zu sich genommen hatte, sondern nur um ein Glas fräftig anregenden Rotweins in einem Zuge zu leeren.

Dann erteilte er dem Portier einige Weisungen, auch in­bezug auf David, den er um drei Uhr im Hotel treffen sollte, und ließ sich eine Droschke herbeiholen, um zunächst die Rund­das höchste Glück und das furchtbarste Unglück sind seltenste Ausfahrt bei den Arbeitsvermittlern, Commissionären u. s. w. an­

Das Schlimmste trifft ebenso selten ein, als das Beste,

nahmefälle,

- wie die meisten Menschen Durchschnittsmenschen zutreten.

sind und sein müssen, so trifft die meisten auch ein Durchschnitts­

( Fortsezung folgt.)