zur Ehre; für den vinho verde aber ist sie allemal eine be= sondere Empfehlung. Häufig genug liest man in portugiesischen Zeitungen die vielverheißende Ankündigung, daß in irgend einer Wirtschaft ein Faß Kräzer"( rascante) in Anstich genommen wird. Den deutschen Landsmann beschleicht nun ein höchst eigen­tümliches Gefühl, wenn in Suajo so ein alter Schwabe ihm cinen Schoppen rascante auf den aus rohem Eichenholze ge­zimmerten Tisch stellt. Die breitschulterige Gestalt mit dem flaren blauen Auge, das die Jahrhunderte hindurch sich unver fälscht erhalten, und dem häufig blonden Harwuchse mutet ihn heimisch an; er glaubt sich in eine fossile Bergkneipe auf der schwäbischen Alp versezt und wird ernstlich versucht, den biederen Gesellen auf gut Deutsch anzureden. Wie würde der Wackere sich freuen, zu vernehmen, daß seine Vettern in Deutschland , die Schwaben , deren Voreltern lieber zuhause blieben, als die Suevenstämme sich auf die Wanderschaft begaben, doch auch ganz tüchtige Leute geworden sind, und daß für ihn durchaus kein Grund vorliegt, sich dieser Vetterschaft zu schämen.

Die Klänge der vaterländischen Sprache zu vernehmen, ist nun ein Vergnügen, auf das der deutsche Reisende in so ein­samer Gebirgsgegend wohl oder übel verzichten muß. Dafür entschädigt ihn aber einigermaßen die Beobachtung, daß in Suajo cine verhältnismäßig bedeutende Zahl deutscher Wörter nament lich auf dem Gebiete des Hauswesens und der Feldwirtschaft sich erhalten hat. Der Suajenser redet ein eigentümliches, sozusagen altfränkisches Portugiesisch, und eine Menge Wörter, die bei ihm im täglichen Verkehr ganz gang und gäbe sind, sucht man in den Wörterbüchern vergebens. Die Mundart von Suajo enthält namentlich in etymologischer Hinsicht viele sprach liche Erscheinungen, von denen sich Germanisten und Romanisten bis heute nichts träumen lassen.

Der Suajenser würde es nahezu als Beleidigung auffassen, wenn jemand für die erhaltene Bewirtung ihm Zahlung anbieten wollte. Andererseits nimmt er aber Gegenseitigkeit in Anspruch. Kommt er an Markttagen oder wenn er sonst Geschäfte zu be­sorgen hat, in die nahegelegene Stadt Arcos de Val de Vez, so quartirt er sich ohne weitere Umstände bei einem beliebigen Bürger ein, und läßt sich dort in aller Gemütsruhe bedienen, ohne jemals die Rechnung zu verlangen.

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Manche andere Spuren germanischen Volkstums lassen sich in den eigentümlichen Einrichtungen San Miguel's, einer kleinen, nicht weit von Suajo entfernten Ortschaft nachweisen. Das Dorf liegt am Fuße des Gelben Gebirges"( Serra Amarella), das als Schlupfwinkel wilder Tiere bekannt und gefürchtet ist, in malerischer Umgebung am rechten Ufer des durch landschaft liche Schönheit der Ufergelände berühmten Luna. Von Ponte da Barca aus, wo eine Brücke über den Fluß führt, wird das Dorf in drei Stunden erreicht. Die Gemeinde ist in verschiedene Orte"( logares) geteilt, von denen jeder seinen besonderen Präsidenten und Schazmeister hat. Diese Behörden werden auf dem Wege des allgemeinen Stimmrechtes gewählt, und zwar sind auch die Frauen zur Abstimmung berechtigt. Die Bürger überreichen dem Präsidenten oder Richter( juiz), wie diese Magistratsperson in der Gemeinde selbst heißt, zum Zeichen seiner Amtsgewalt ein aus rotem Ton gebranntes Horn( carrapita). Will der Richter eine Volksversammlung einberufen, dann stößt er am Vorabende des dazu bestimmten Tages in dieses seltsame Instrument, und macht den Dorfbewohnern durch herzzerreißende Töne Mitteilung von seinem Vorhaben. Sobald in der Morgen­frühe des Tages selbst das Horn zum zweitenmale sich ver­nehmen läßt, begeben die Bürger sich mit ihren Ehehälften auf den Weg zur Beratungsstätte. An althergebrachter Stelle unter freiem Himmel finden die Bewohner sich zusammen, vernehmen in feierlicher Ruhe die Anträge des Richters und sprechen dann in freier Diskussion die bestimmende oder abweichende Ansicht aus. Schließlich entscheidet Abstimmung über das Schicksal der Vorlage.

Grundbesiz als Privateigentum ist zu San Miguel eine un­bekannte Sache. Die Feldmark gilt ihrem ganzen Umfang nach als Eigentum der Gesammtheit. Ackerbau und Weidewirtschaft werden als gemeinsame Angelegenheit betrieben; die Gemeinde

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bestellt die Felder und weist aus der Ernte jeder einzelnen Familie ihren Anteil zu. Auf den kräuterreichen Tristen des ,, Gelben Gebirges" weidet vom Mai bis August das Gemeinde­vieh, darunter stattliche Ochsen, die man aus dem nahen Galizien zur Mast dorthin treibt. Mit Anfang September, wo auf der Höhe schon ein falter Luftzug sich bemerkbar macht, steigen die Herden zur Ueberwinterung in wärmere Gründe nieder. Die Beaufsichtigung der Herden, die Bekämpfung der zuweilen aus den endlosen Pinienwäldern vorbrechenden Wölfe macht unter den einzelnen Völkern die Runde in der Weise, daß jedesmal nach drei Tagen neue Kräfte in Dienſt treten. Es ist offenbar die altgermanische Markgenossenschaft, die gemeinsame Nuzung und Verteidigung der Feldmark. Das abwechselnde Ausziehen auf Kriegsabenteuer und Bestellen der Felder kennt auch Cäsar als suevische Eigentümlichkeit. So hat sich in einem entlegenen portu­giesischen Gebirgsdörfchen die germanische Gemeinwirtschaft Jahr­hunderte hindurch als Bürgschaft ursprünglicher Freiheit erhalten.

Neben Ackerbau und Viehzucht beschäftigt die Gemeinde sich mit Kohlenbrennerei. Aus dem Haidenkraute( urze), der be fannten Erica vulgaris , das hier zu Lande unter günstigen Be dingungen strauchartige Entwicklung erreicht und nicht selten Stämmchen bis zu zwei Zoll Dicke treibt, wissen die Dorf­bewohner ein ganz vorzügliches und im portugiesischen Norden sehr geschäztes Brennmaterial zu bereiten. Die aus dem Kohlen­geschäft gewonnenen Gelder werden in die Gemeindekasse abge­führt, die zur Unterhaltung der Geistlichkeit und des Gottes­dienstes sowie zur Bestreitung aller die Gemeinde betreffenden Auslagen bestimmt ist. Diese gemeinsame Geldkiste ist zugleich Unterstützungskasse; denn bei Feuerschaden, Viehseuchen und ähn lichen Unglücksfällen wird dem Betreffenden aus diesen Beständen Entschädigung gewährt. Sehr nachahmenswert ist die Bestimmung, daß die Geldkiste nur in Gegenwart der eigens zu diesem Zweck berufenen Volksversammlung geöffnet werden darf, und vor aller Augen hat der Schazmeister die beschlossene Zahlung zu leisten. So wird jedem Bürger Gelegenheit geboten, sich davon zu über­zeugen, was man mit seinem Gelde macht.

Auch auf dem Gebiete der Rechtspflege haben die Bewohner von San Miguel noch manche Eigentümlichkeiten bewahrt, die in germanischer Anschauungsweise ihre Wurzel haben. Geringere Vergehen werden mit Geldbußen gesühnt, deren Ertrag eine Haupteinnahmequelle der gemeinsamen Kasse ist; auf schwere Vergehen und Verbrechen steht die Strafe der Aechtung. Wer diesem Schicksal verfallen, wird von der Benuzung der gemein­samen Quelle ausgeschlossen; an der Weide und Feldflur hat er keinen Anteil mehr; auf alle Fragen und Bitten wird ihm mit Stillschweigen geantwortet. Jeder gesellschaftlichen Verbindung beraubt, außer Stande, sich die notwendigsten Lebensbedürfnisse zu verschaffen, sieht der Geächtete sich zum Verlassen seiner Hei mat genötigt. Da die Gemeinde nur ein sehr beschränktes Gebiet hat, kommt diese Strafe nicht dem sicheren Untergange gleich; der Gebannte befindet sich jenseits des Weichbildes in Sicherheit, doch ist das Hinausstoßen in eine fremde Welt, das Zerreißen aller Bande, die ihm in der Heimat teuer waren, für ihn hart genug. San Miguel besizt in der Aechtung ein unfehlbares Mittel, sich verbrecherischer und gemeinschädlicher Menschen zu entledigen.

Die heut zu Tage in Portugal nur in dieser Gemeinde noch übliche Strafe der Aechtung war früher im Königreich weit allge meiner verbreitet. Sie findet sich in den Rechtsordnungen und Freibriefen( foraes) von Ponte do Sor und Freixo( Tras- vs­Montos) vorgesehen, und auf den azorischen Inseln wird in einem Volkslied das traurige Schicksal des Geächteten in kurzen aber ergreifenden Zügen geschildert. Sieben Priester hatte der Unglückliche in der Frühe des Weihnachtsmorgens am Altar er­schlagen, sieben Städte verbrannt und dem König sieben Schlösser mit bewaffneter Hand genommen, jezt irrt er heimatlos von Ort zu Ort. Wenn er, vom Hunger gequält, um einen Schluc Wasser und einen Bissen Brod fleht, erhält er an allen Türen in gleichmäßiger Wiederkehr die abweisende Antwort, man befize solche Dinge nicht. solche Dinge nicht. Schließlich findet er fern von der Heimat sein Ende bei einer Kirche von Nazaret."

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