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Damit schied der merkwürdige Jude.

fanatischen Gesezen strozende Machwerk aus der Zeit der In­Ich folgte seinem Rate, verschaffte mir die erwähnte Schrift quisitionstribunale,- und um diesen zu karakterisiren genügt und las sie.

Im Anfang der Vorrede trat mir zunächst eine Behauptung entgegen, welche der Anschauung meines christlichen Reisegefährten über den Wert der jüdischen Religion überraschend ähnlich ist:

Die geläuterte jüdische Religion ist geeignet, auch philo­sophische Köpfe zu befriedigen." So hat vor vierzig Jahren ein nichtjüdischer Denker gesprochen( Franz Kölisey) und damit übereinstimmend hat ein jüdischer Teologe der Gegenwart den Saz aufgestellt, die Religion Israels   nach dem Geiste und die Religion der Humanität sind identisch."

" In der Tat," fährt der Verfasser fort, wenn wir die mosaischen Geseze unbefangen prüfen, so zeigt es sich bald, daß sie nichts anderes beabsichtigten, als für den Staat die Basis der Gerechtigkeit zu schaffen und das Individuum zur Tugend und Humanität zu erziehen. Alle übrigen Geseze hängen mittel­bar oder unmittelbar damit zusammen; nur muß man, um diesen Zusammenhang zu erkennen, sowohl die Verhältnisse als auch die Anschauungen jener Zeit im Auge behalten."

Troz dieser warmen Anerkennung des idealen Kernes in der mosaischen Religionsgesezgebung ist Dr. Rubens weit davon ent­fernt, mit dem Judentum unserer Zeit und seinem religiösen Wesen einverstanden zu sein.

Im weiteren Verlaufe der Vorrede schreibt er:

,, Werfen wir dagegen nur einen oberflächlichen Blick auf das Judentum des Mittelalters und der Gegenwart, wie es sich teologisch und firchlich darstellt, so finden wir etwas ganz an­deres, als eine reine Religion der Humanität. Wir begegnen ceremoniellen Uebungen und Observanzen, die auch nicht im ent­ferntesten als Mittel moralischer Erziehung angesehen werden tönnen. Wir begegnen Kultusformen, die mit der Idee eines vernünftigen Kultus nicht das Mindeste zu schaffen haben, und nicht minder begegnen wir in den Lehrbüchern der jüdischen Religion, sowie in der Liturgie, Lehren und Anschauungen, die nichts weniger als den Stempel der Vernunft an der Stirn tragen."

Seit Moses Mendelssohn   habe das Judentum zwar einen Anlauf zur Besserung genommen, aber in neuester Zeit habe sich diese reformatorische Strömung wieder gestaut und sei sogar zumteil in eine rückläufige Bewegung umgeschlagen.

Die Teologie und das religiöse Leben bei den deutschen  Juden unsrer Zeit werde von zwei fonservativen Richtungen, der mainzer und der breslauer, beherrscht. Die mainzer Rich tung sei über alle Maßen ortodox, halte den Talmud ganz ebenso hoch als die Bibel, sei allen minder ortodox denkenden Juden fanatisch feindselig gesinnt und betrachte als ihren Koder den " Schulchan- Aruch, das obsfure, von Absurditäten aller Art und

es, auf den§ 233 des 2. Bandes hinzuweisen, wonach es Pflicht eines Israeliten sei, einen andern Israeliten, der aus Troz sich über religiöse Observanzen hinwegsezt( z. B. terefah ißt, am Sabbat raucht) durch Gewalt oder List zu ermorden."

Gegenüber diesen in ihrer ungeheuerlichen Verbohrtheit konse­quenten Schwarzen" unter unsern Juden stellt sich die bres­lauer Richtung als mehr chamäleonartig" dar.

Dieselbe bringt es fertig, mit den Bestrebungen der mo­dernen Wissenschaft zu liebäugeln und dennoch starr am Bibel­glauben, an antiquirten Traditionen und Ceremonialſazungen festzuhalten, denen sie in jesuitischer Weise mit aller Gewalt und oft aller Logik zum offenbaren Hohne vernünftige Stüzen unter­zuschieben sucht.

Betrachten wir uns nun an der Hand des außerordentlich sachverständigen Dr William Rubens die Einzelheiten des reli­giösen Lebens unsrer Juden etwas genauer.

Mit den drei hohen Festen fangen wir an. Das erste der­selben ist das Pesach oder Paschah, Passah, das Ueberschrei­tungs- oder Verschonungsfest oder auch das Fest der ungesäuerten Brote, welches dem christlichen Osterfeste entspricht. Es soll an den Auszug aus Aegypten erinnern und an die angebliche Ver­schonung der israelitischen   Erstgeburt seitens des Würgengels Jehovahs. Ueberschreitungsfest soll es nach dem 2. Buch Moses  deswegen heißen, weil Jehovah die Häuser der Juden über­schritten hat, als er die ägyptischen Erstgebornen tötete. Rubens meint, die biblischen Schriftsteller hätten höchst wahrscheinlich den Ursprung alter Namen und Feste nicht mehr gekannt, und das zur Zeit des Frühlingsäquinoctiums gefeierte Pesach sei einfach und natürlich gedeutet ein Frühlingsfest und heiße Ueberschrei­tungsfest, weil zu dieser Zeit die Sonne den Aequator überschreitet.

Während der 7: bis 8 tägigen Dauer des Pesach dürfen die Juden nichts Gesäuertes essen. Wie die Bibel behauptet, des­wegen, weil ihre Urväter bei dem plözlichen Auszuge aus Aegypten  auf das Säuern ihres Brotteigs nicht hatten warten dürfen. Für viel wahrscheinlicher hält Rubens, daß das ungesäuerte Brot ( Mazzes) die Speise der Sklaven war, woraus auch zu erklären wäre, weshalb es in einem alten chaldäischen Stücke Brot des Elends, das unsere Väter in Aegypten   aßen" genannt wird.

Seien nun in biblischer Zeit solche Aeußerlichkeiten, wie der Genuß einer besonderen Art Brot, angebracht gewesen, um die Erinnerung an den Sinn des betreffenden Festes im Volke wach­zuhalten, so seien sie doch für unsre Zeit, in der durch Schrift und Lesen wichtige nationale Erinnerungen weit besser lebendig gehalten werden können, nichts weiter als leere bedeutungslose Formen.

Im Kampf wider alle. Roman von Ferdinand Stiller.

Die Depesche war überflüssig. Der Techniker Faber hielt seine Dienste für so unumgänglich notwendig, daß er ohne auf Geheiß zu warten bereits angekommen war. Er brachte mehrere Geschäftsbriefe und auch ein äußerst wichtige geschäftliche An­gelegenheiten berührendes Telegramm mit.

Stein eröffnete dem Techniker in kurzen Worten, daß er nun seine Hilfe acceptive und sie sehr gut lohnen wolle; dann durchflog er, ohne sich um die Vorübergehenden zu kümmern, sofort die neuangekommene Korrespondenz.

Sie enthielt Schlimmes, sehr Schlimmes.

Die telegraphische Depesche fündigte ihm an, daß er die großen Quantitäten von Rohmaterialien, welche er schon zur Fabrikation seiner Waren in allernächster Zeit gebrauchte, um den ursprünglich angesezten Preis nicht erhalten könne, vielmehr beträchtlich mehr zahlen müsse.

( Schluß folgt.)

( 32. Fortsezung.)

Und wie die Depesche, so enthielt jeder Brief eine üble Nachricht. Von allen Seiten liefen Abbestellungen von Waren, Kündigungen des Credits u. dgl. ein. Zumteil geschah das in schroffer Form. Ein Großindustrieller, mit dem er von Anfang seines Geschäftes an eine für beide Teile sehr angenehme und gewinnbringende Verbindung aufrechterhalten hatte, schrieb völlig rücksichtslos, er bedaure, daß er in geschäftlichen Beziehungen gestanden habe zu einem Mann, dessen politische und religiöse Haltung eigentlich von vornherein jede Annäherung an konser­vativ und religiös gesinnte Leute von altem guten Schrot und Korn, gleich ihm, hätte verhindern müssen.

Um Franz Steins Lippen hatte sich der Zug der Verbittrung in tiefen Furchen eingegraben, als er in wenigen Minuten seine Lektüre beendet.

Es war kein Zweifel mehr, er war von aller Welt verlassen