Auch die Ladenbesizer hatten unter Aufgebot allen Raffine ments ihre Verkaufslokalitäten auffällig dekorirt und geschmückt.
Die zahlreichen Schweinemezger, die hier als Salamifabrifanten residiren, hatten ihre Läden mit Speckseiten und Würsten eigenartig geziert, hie und da befand sich wohl auch inmitten derartiger Delikatessen im Schaufenster ein Miniaturaquarium ausgestellt, dessen stumme Bewohner im feuchten Elemente tiefsinnige Betrachtungen über Kerzenschimmer, Blumenflor und ähnlichen reichlich vorhandenen Kram anstellen konnten. Daß die anderen Ladenbesizer den Herren Schweinemezgern im Ar rangement nicht nachstanden, dieselben eher noch zu übertrumpfen suchten, lag in der Natur der Sache und bewies hinreichend, welchen Wert die„ radikalen" Geschäftsinhaber Mendrisio's auf einen gutbesuchten ,, venerdi santo " legen.
Je mehr die Abenddämmerung des Frühlingstages mit ihren feuchten, die Talniederung verschleiernden Dunstmassen nahte, desto dichter stauten sich die Massen in dem Hauptstraßenzuge des Städtchens, um auf dieser eine bedeutende Ausdehnung aufweisenden Strecke Aufstellung zu nehmen.
Die städtische Musik, nach lokaler Sitte in auffällige prachtvolle Phantasieuniformen gekleidet, eilte zu ihrem Sammelplaze. Die ebenfalls uniformirten Musikchöre anderer Orte marschirten unter munteren, lebhaften Klängen in Mendrisio ein, und mehr und mehr bot sich jezt dem Beschauer ein stimmungsvolles Festbild, das an alles, nur nicht an die Feier eines Charfreitags
erinnerte.
Kinder in Engelskostümen, deren Flügel ebenso vergoldet waren, wie die auf den frisirten Häuptern angebrachten, aus Pappendeckeln angefertigten Kaiser- und Königskronen, wurden zuweilen durch die drängenden Menschenmassen hindurch getragen, um sicher auf dem Sammelplaze des Festzuges anzugelangen.
Mein luganesischer Bekannter hatte vollständig recht, einen schärferen Gegensaz zwischen Süd und Nord hatte ich bis dahin noch nicht wahrgenommen; diese Charfreitagsfeier war äußerst originell. Der Charfreitag im Norden der Alpen mit seiner tiefen Stille und Ruhe, mit seiner nüchternen, poesielosen Enthaltsamfeit, stand unbedingt in schroffem Kontrast dem buntbewegten Lärmen und geräuschvollen Treiben im festlich geschmückten Men drisio gegenüber.
Das nahe Como hat alljährlich am Gründonnerstag ein ähnliches Fest, selbstverständlich in einer dem größeren Umfange der Stadt entsprechend erweiterten Form. Mag nun immerhin in Como mehr zu sehen sein, Besseres zeigt sich doch keineswegs als in Mendrisio , denn die Bewohner des lezterwähnten Städtchens sparen bei dieser Gelegenheit keine Kosten, um den Cittadini's( Stadtleuten) von Como nicht nachzustehen.
Die Dunkelheit war endlich soweit vorgerückt, daß die Illumination beginnen und ihre Reize entfalten konnte.
Transparents, deren regelgemäße Konturen und elegantmaßvolles Colorit genügend bewies, daß sie aus größeren leistungsfähigen Industrieetablissements hervorgegangen, schmückten in den mannigfachsten Formen die Fronten der Gebäude oder überwölbten die Straßen.
War an einer Gebäudefront in meisterhafter Ausführung der unter der Last des Kreuzes niedersinkende Christus auf riesigem Transparente zu erblicken, so prangten wenige Häuser entfernt und in bedeutender Höhe die Straßen überwölbend, Triumphbogen, die ebenfalls aus durchscheinenden Gemäldeteilen zusam mengesezt und dem entsprechend von innen erleuchtet waren.
Vom künstlich nachgeahmten, ebenfalls transparent erleuchteten Blumenstock, bis zum einfachen, am Dratgehänge luftig schaukelnden Illuminationsballon, zeigten sich alle erdenkbaren Illuminations- und Dekorationsstücke, die alljährlich verbessert, vermehrt und ergänzt, endlich in ihrer Gesammtvereinigung wirklich einen überraschenden Anblick gewähren.
Daß gelegentlich dieser eigentümlichen Feier des Charfreitags alle Restaurants und Cafés überfüllt waren, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Viele, die kurz vorher bei den ausgestellten Leichnamen Christi in den diversen Kirchen Mendrisios ihre Andacht verrichtet hatten, saßen nun hinterm Wirtshaustisch und
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hörten heiter und wohlgemut den Scherzen und Wizeleien zu, die hie und da ein Spaßmacher zum besten gab.
Es mochte 82 Uhr sein, als der Festzug begann und alles auf die Straßen hinauslockte. Drei eidgenössische Kavalleristen, die in voller Gala, d. h. in ihrer schwerfälligen Ausrüstung mit gezogenen Säbeln voranritten, eröffneten den feierlichen Aufzug.
Dann folgten riesige schweizerische Banner, und nun der eigentliche Festzug, in dem vier Musikchöre mit ihren Leistungen sich bemerkbar machten. Die zahlreichen Fackel-, Ballon-, Kerzen- und Flambeauträger, zwischen deren langen Reihen die Standartenund Votivtafelträger marschirten, machten in ihren auffälligen, hellroten, weißen und auch lichtgrünen Kostümen einen eigentüm lichen Eindruck. Dazwischen trippelten die zarten Kindergestalten mit vergoldeten Königs- und Kaiserkronen auf den fleinen Häuptern, oder wohl auch mit prächtigen Blumenkränzen geschmückt. Daß die Kleinen nicht blos prächtig kostümirt und mit vergoldeten Engelsflügeln ausstaffirt waren, sondern auch sorgfältig arrangirte Frisuren aufzuweisen hatten, bewies, daß der jugendliche Nachwuchs der angesehensten Familien des Städtchens und der Umgebung den Zug mitmachte, und auf diese Weise schon frühzeitig für öffentliches, teatralisches Schaugepränge herange= bildet und begeistert wurde.
Der Leichnam Christi, in Naturgröße nachgebildet, wurde unter einem Baldachine auf prächtigem Katafalke getragen; eine größere Anzahl kerzentragender Geistlicher umgab diese wirkungsvolle, von der Volksmenge jedoch wenig beachtete Figur. Da diese Herren ihre langen, schwarzen Chorröcke angelegt hatten, machte diese Partie des Zuges einen düsteren, hier jedenfalls nicht erwünschten Eindruck.
Mehr Effekt machte eine jugendliche Engelschar, die in ihrem bunten, farbenreichen Aufzuge das Leichentuch des Gekreuzigten umgab und etwas Abwechslung in die Marschordnung dieses sonst feierlich daherschreitenden, mächtigen Festzugs brachte.
Ein umfangreiches, wagerecht getragenes Kreuz war eben falls von einer ähnlich aufgepuzten Kinderschar umgeben, und gewährte inmitten der drängenden, sich recht eifrig geberdenden Gruppe einen recht sonderbaren Anblick.
Glockengeläute, Trompetengeschmetter und dazwischen hie und da das Beifallsgemurmel, oder auch das lautere Gespräch in den Reihen der Volfsmassen, begleiteten diesen teatralischen Aufzug. Unbedingt gewann man beim Anblick all' des bunten Gewirrs die Ueberzeugung, daß das Arrangement dieser Charfreitagsfeier vorher sorgfältig einstudirt und mit Beobachtung der lokalen und nationalen Sitten und Schwächen dem Volkskarakter angepaßt worden war.
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Im Zuge marschirte eine konstümirte Person, die eine Martersäule trug und, wo sie erschien, Gelächter erregte! Es war der lezte Reſt einer in früheren Jahren in größerem Umfange und in deutlicherer Weise gegebenen drastischen Zugsszene. Wo die gaffende Menge den gemarterten Säulenträger erblickte, crlaubte sie sich einen Heiterkeitsausbruch, der jedenfalls durchaus nicht von den Arrangeuren und Leitern des Zugs beabsichtigt wurde. Diese mit Berechnung tragisch sich darstellende Leidens figur suchte durch die Mimik und Körpergeberden des Betreffen den den Ausdruck des Schmerzes, der Erschöpfung und der Ver zweiflung zur Geltung zu bringen; das reizte hier zum Gelächter und mußte daher selbst auf den vorurteilslosen Beobachter im höchsten Grade widerwärtig und abstoßend einwirken.
Das Gelächter verschwand eben so schnell, als es erregt wurde, und gleich darauf herrschte wieder ernste, feierliche Stimmung. Dem lezten Musikchore des Festzugs folgte nämlich, unter Voranschreiten zahlreicher, höherer Geistlicher, eine stattliche, reich fostümirte Madonnenſtatue auf prächtigem Tronsessel unter um fangreichem Baldachine.
Die Juwelen der Madonna funkelten und glizerten unter den Lichtstrahlen zahlreicher Kerzenflammen, schwachbewegt flatterte im leise rauschenden Abendwind dicht hinter dem Baldachine der Madonnastatue eine riesige Trauerfahne, und alles Volt sant nun in die Knie, um während des Passirens dieser Zugsgruppe zu beten.