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Der schnelle, fast unvermittelte Uebergang von der allge­meinen Heiterkeit zur plözlichen Massenandacht dokumentirte deut lichst die Schnelligkeit und Elastizität der Sinneseindrücke und Gemütsbewegungen, die hier hervorgerufen und durch äußerlichen Aufwand unterhalten wurden.

Die Vorliebe der Bevölkerung für Schaugepränge und täu­schende Scheinwirkung war hier in raffinirtester Weise in's Spiel gezogen worden und begünstigte auch die Wirkung dieses Schluß­effektes erheblich.

Aeltere Herren in elegantester Salontoilette schritten ent­blößten Hauptes, wie überhaupt auch alle anderen am Festzuge als Fußgänger sich beteiligenden Laien, hinter der Madonnen­statue einher und schlossen, von zwei schmucken, eidgenössischen Dragonern gefolgt, den Festzug.

Nach längerer Pause bewegte sich diese festliche Prozession, in derselben Ordnung wie zuvor, zu dem ursprünglichen Sammel­plaze zurück.

Beim Rückwege versagten freilich manchem müd' gewordenen Engelein die vier- oder fünfjährigen Beinchen den Dienst, dann nahmen gutmütige Kerzen- oder Fackelträger die Himmelskindlein in echt menschlicher Teilnahme auf den Arm.

Den Schluß bildete selbstverständlich Gedräng und Massen gewoge; die Restaurants und Café's füllten sich wieder im Nu, die Stadtmusik marschirte unter den Klängen eines lebhaften, beliebten Marsches in ihr Versammlungs- und Uebungslokal zurück, und in den Restaurants begann nun hie und da ein

Guitarren- und Ziehharmonikakonzert, dessen bedenkliche Dualität keineswegs durch die Gesangsbegleitung der Zechenden erhöht wurde.

Am Hauptplaze hatte ich im Engel" ein Zimmer für die Nacht gemietet, da kein Zug mehr nach Lugano zurückführte. Vor Mitternacht bot sich keine Möglichkeit zum Schlummern, denn unten im Restaurant wurde bei geöffneten Fenstern nach Herzenslust musizirt und gesungen.

Arien und Operettenpartien der lustigsten Art tönten in Er­manglung ferniger und gediegener Volkslieder, wie sie das deutsche Volk zum Glück besizt, in die stille Nachtluft hinaus, und die Herren Polizeidiener, die unten vor dem Hause Plaz genommen, erfreuten sich an den lärmenden Leistungen, summten auch wohl in vergnügter Laune mit, wenn ihnen ein Stück besonders be­hagte.

Das war die Schlußfeier des' ,, venerdi santo " im Städtchen Mendrisio , und am anderen Tage belehrte mich mein Bekannter in Lugano zum tausendstenmale: daß wir im Norden Barbaren seien, daß die Religion im Norden ebenso wie die politische Anschauungsweise aller poetischen und volkstümlichen Reize ent­behre, und daß nordwärts der Alpen in jeder Beziehung die kaltblütigere Gemütsbeschaffenheit die Pflege des Sinnlichen be­hindere 2c. 2c."

Da über Geschmacksverirrungen und Vorurteil nicht leicht zu disputiren ist, zuckte ich schweigend die Achseln, und der Gute war felsenfest überzeugt, daß diese Charfreitagsfeier einen über­wältigenden Eindruck auf mich hervorgebracht hätte.

Im Kampf wider alle. Roman von Ferdinand Stiller.

Wenig über zwei Stunden, nachdem Franz Stein den Rechts­anwalt Born verlassen hatte, finden wir ihn auf der Station Buchenfels, wo er soeben mit dem Schnellzug von der Provin­zialhauptstadt her angekommen ist.

Im Weißen Adler" hatte ihn der über alle Maßen eifrige Schuldiener auch diesmal wieder erwartet. Seine Bemühungen waren vom besten Erfolg gekrönt worden. Der Muhme Wäscherin war es leicht gewesen, aus den Dienstmädchen des Konsistorial rats herauszubringen, was diese von dem Aufenthalt des Fräu­lein Haßler wußten. Und das genügte vollauf. Der Postbote habe Briefschaften für die Lehrerin Fräulein Haßler beim Konsi­storialrat abgegeben und auf die Frage, weshalb er das tue, geantwortet, es sei bei der Post ein von dem Fräulein unter zeichnetes Schreiben eingegangen, wonach alle an sie adressirten Sendungen vor der Hand an den Herrn Konsistorialrat zur Weiterbeförderung abgegeben werden sollten. Regelmäßig nun, wenn solche Briefschaften angekommen seien, habe der Konfi­storialrat einen großen Brief an die Frau Baronin von Greifen ſtein auf Greifenstein an der Eller abgesandt, worin sich jeden­falls das für das Fräulein Haßler befindliche Schreiben be­Außerdem hatte eines der Dienstmädchen ge­

funden hätte.

( 33. Fortsezung.)

lich für seinen Gesundheitszustand zu fürchten begonnen und ihm für heute zur Schonung von freien Stücken Urlaub erteilt hatte.

Franz Stein drückte dem Manne warm die Hand und sagte: Sie haben getan, was ich von Ihnen gewünscht. Ich werde mich sofort überzeugen, ob Fräulein Haßler auf Schloß Greifen­stein sich befindet. Spätestens übermorgen früh bringt Ihnen dann der Briefträger einen Geldbrief mit den hundert Talern Belohnung, welche Sie sich verdient haben."

Der arme Teufel konnte vor Aufregung garnicht reden. Er machte nur eine Verbeugung nach der andern und eine immer tiefer als die andre. Am liebsten hätte er Franz Stein beide Hände geküßt, wenn dieser es ihm nicht mit aller Gewalt ver­wehrt hätte.

Kaum war Franz Stein den Ueberglücklichen losgeworden,

so trat David in das Hotel. Er war in seinem Cabriolet vor­gefahren, hatte, da er seinen Diener bereits vom Reſtaurant aus, in dem er das Rencontre mit Frank vom Baune gebrochen, zu Fuß nachhause geschickt, einem vor dem Hotel stehenden Dienst­ mann

das Pferd zum Halten gegeben und war in das zu dieser Zeit meist ganz leere Speisezimmer eingetreten, wo sich Franz Stein eben in der einen Ecke niedergelassen hatte, um endlich

legentlich eines Besuches der Frau Direktor Krause erhorcht, ein wenig Speise zu sich zu nehmen. daß diese gemeint, es wäre sehr gut, wenn das arme Kind, die

Die Schönheit und der Friede der Gebirgsgegend, hatte die alte

Hätte Stein nicht bereits durch den Schuldiener den ver­

mutlichen Aufenthaltsort seines Mädchens erfahren, so würde ihn

das, was ihm David mitteilte, wenig oder vielmehr garnicht befriedigt haben. Morgen Vormittag, sagte dieser, würde alles

würde sehr bald dafür sorgen, daß die vom Schicksal so schwer in Ordnung sein; Guido von Frank würde in der einen oder Heimgesuchte sich wieder aufrichte und das, was ihr ein böser, gottverlassner Mensch angetan habe, vergesse. Dann würde alles gut werden und sie werde glücklich sein, einem so braven Menschen, wie dem Herrn Kandidaten, die Hand reichen zu können.

So berichtete glückstrahlend der Schuldiener. Die hundert Taler Belohnung flimmerten und funkelten ihm vor den Augen, er war fast schon vor Begierde und Freude ein wenig konfus geworden. Wenigstens hatte er in seinen dienstlichen Verrich tungen während der lezten Stunde eine Geistesverwirrung und 3erstreutheit merken lassen, daß die Frau Direktor Krause ernst

der andern Weise Satisfattion gegeben haben und der Student Haßler bereit sein, Franz Stein wieder seine Braut zuzuführen. Nähere Aufklärung heute schon zu geben, dazu sei er, David, nicht geneigt, er bäte, Stein möchte sie ihm erlassen, es handle sich um eine kleine Ueberraschung.

Franz Stein konnte durchaus nicht begreifen, was David meine und beabsichtige. Aber da es ihn drängte, sich die ge­

wonnene Auskunft über seiner Frieda Verbleib nuzbar zu machen, und da es ihm nicht schien, als wenn er von David, der ihm

noch nie so sonderbar vorgekommen war, als jezt, obgleich er