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Limor bedurfte keines nochmaligen Befehls, das Papier mit den Zähnen fassend, trat er zu ihr an's Sopha... sie nahm es ihm ab. Es war ein Couvert ohne Adresse und ohne Siegel, nur durch eine Oblate geschlossen. Das erregte troz ihrer schweren Gemütserschütterung ihre Neugier, besonders da sie zwischen Daumen und Zeigefinger es nehmend, zu bemerken glaubte, daß inwendig etwas Verschiebbares liegen müsse. Sie öffnete das Couvert und eine zusammengelegte Fünfzig- Pfund Note, dem ein kleiner Zettel von Postpapier beilag, kam zum Vorschein. Auf lezterem fanden sich die beiden Worte in deut­scher Sprache: Auf Nimmerwiedersehen!" Sie erkannte Richards Handschrift. Mit einem halberstickten Schrei fiel sie an die Lehne des Sopha's zurück.

Der bitterste Hohn, die sie in den Schmuz der tiefsten Er­niedrigung hinabstoßende Verachtung sprach sich in diesen Ab­schiedsworten aus und er, an dessen Liebe sie so fest geglaubt hatte, konnte ihr diesen Schimpf der Verworfenheit antun? Sie zitterte wie von Krämpfen durchrast. Und als ihre Augen auf der Banknote hafteten, verzerrten sich ihre Gesichtszüge zum Ausdrucke wildester Leidenschaftlichkeit, die bis zum Gelächter ſich ſteigerte. Eine größere Demütigung als das Darbieten dieser Ablohnungssumme hätte sie nicht treffen können... Hierin lag der Sammelpunkt aller auf sie möglichst zu häufenden Schmach. Vergeltung! Vergeltung!" stöhnte sie fast in Zorn erstickend. In ihrem Hirn stieg ein Entschluß auf, den sie, wie es schien, in Ausführung bringen wollte. Die Fünfzig- Pfund- Note in fleine Fezen zerreißen und diese im Zimmer umher streuen er­schien ihr als vollgiltigster Ausdruck ihres Haffes, und schon Haſſes, war sie im Begriff, das Wertpapier auf diese Weise zu ver­nichten, was, wie sie in ihrer Verblendung meinte, eine Ant­wort für ihn sein würde, deren Sinn er sich leicht ausdeuten fönne; aber zur rechten Zeit erhob sich der Zweifel in ihrer Seele, ob er auch gewiß Kenntnis von ihrem Tun erhalten werde? Dieser Zweifel gewann in ihrer Ueberlegung bald so viel Uebermacht, daß sie von ihrer Absicht abstand... Die Fünfzig­Pfund- Note blieb unzerrissen und wurde von ihr zusammen mit dem Papier, das die beiden Abschiedsworte trug, in ein neues Couvert eingeschlossen und dies auf den Boden eines Kästchens gelegt, in dem sie ihre wenigen Schmuckgegenstände verwahrte, die sie mit herüber nach England gebracht hatte.

Nachdem sie dieses kleine Geschäft beendet, überließ sie sich einem langen Sinnen, welches sie jedoch so viele Ruhe gewinnen ließ, daß deren Einwirkung insofern von wohltätigen Folgen für sie war, um ihr eine Selbstbeherrschung möglich zu machen, durch welche sie frei von Aufregung über ihre Zukunft nachdenken konnte. Ein heiteres Denken war es freilich nicht, weil das, was ihr heute widerfahren, zu jenen Erlebnissen gehörte, für die es fein Vergessen giebt. England zu verlassen, wurde zum Borsaz bei ihr, in Deutschland hoffte sie mit Zuversicht, ſich eine Stellung erringen zu können. Ihr erster Weg von hier ſollte zu Miſtreß Stanhope führen, von dieser würdigen Frau durfte sie mit Sicherheit den besten Rat für sich erwarten.

Lage, in der sie sich befand, auch nicht anders möglich war. Der Nachmittag verging ihr sehr traurig, wie es in der Dhne Hilfe hatte sie ihre beiden Koffer gepackt. Daß in dem Hause, aus dem sie nach wenigen Stunden hinausgewiesen wer­den Lucie schmerzlich genug. Ruth war stets bei deren Mittags­mahle zugegen gewesen, heute blieb sie demselben fern, ein Küchenmädchen besorgte den Tisch... die bisherige Herrin war in den Augen der Dienerschaft degradirt. Lucie durch wanderte dann die ihr bis heute gehörenden Zimmer, in denen

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binde störte sie in dem traurigen Denken. Er meldete ihr, daß er nach Verlauf einer Stunde kommen werde, um ihr Gepäck auf's Schiff zu bringen. Sie antwortete nur mit einem Kopf­nicken, worauf der Meldende sich rasch zurückzog.

Lucie bedurfte Zerstreuung, die Einsamkeit, in der sie sich befand, machte sie schauern. Sie eilte in das Eckzimmer, aus dessen Fenstern man die Aussicht auf die Battersea Brücke hatte, welche vor Einbruch der Abenddämmerung stets lebhafteren Ver kehr zeigt. Nach einer langen Weile rief sie lachend: Sind alle diejenigen Glückliche, welche da auf der Brücke so eilig her­über- und hinüber fahren und laufen?" Nach kurzer Pause gab sie sich selbst die Antwort: Nein, nein, gewiß nicht Alle, die Wenigsten nur... sie wollen sich nur nicht die Nacht über den Hals kommen lassen. Mir geschieht ganz dasselbe, freilich in anderer Weise. Es ist bei mir eine Sache, die sich nicht ver­gessen läßt." Und wieder ließ sie eine Pause ihren Worten folgen, ein Ausdruck düstern Ernstes überlagerte ihr Gesicht und sie redete vor sich hin: Wer kann's bestreiten, daß mir ein Tag kommen wird, an dem ich werde vergelten können!" Und diese Hoffnung erhob ihren erschütterten Mut.

Als der Kommissionär mit ein par Tagearbeitern erschien und ihre Koffer an die Gartenpforte hinabtragen ließ, folgte sic ihnen mit feſter Haltung aus dem Hause und durch den Vor­garten. Der Limor hielt sich immer vor dem Hause auf und begrüßte sie jezt mit größter Freundlichkeit. Von ihm begleitet schritt sie durch die Pforte, aber der Saum ihres Oberkleides blieb am unteren Riegel hängen. Um ihn loszumachen, mußte sie einige Sekunden verweilen und als sie sich aus der nieder­gebeugten Stellung aufrichtete, fiel ihr Blick unwillkürlich auf die Front des Landhauses. Aus einigen dessen Fenstern schaute die wenige männliche und weibliche Dienerschaft ihr nach, wel­cher es ein ganz besonderes Vergnügen zu gewähren schien, die so bitter Gedemütigte zu guterlezt noch zu verhöhnen. In dieser

Kunst zeichnete sich Ruth vor Allen aus... ihr Gelächter er­reichte Luciens Ohr.

Als wäre dies nicht der Fall gewesen, begab sich die Schei­dende mit ruhigen Schritten, von ihrem vierfüßigen Freunde begleitet, ohne sich umzusehen, zu dem vor der Pforte stehenden Handwagen, auf welchen die Arbeiter eben die Koffer mit Stricken befestigten. War es nicht gerade, als nähme sie Abschied von dent treuen Tier, deſſen mächtigen Kopf sie zwischen ihre Hände nahm und ihn zur höchsten Verwunderung des ehedem ruhm­reichen Preisborers liebkoste und wenn dieser würdige Mann noch durch etwas in Staunen versezt wurde, so bestand dies in gewiesenen sichtbar erschien. dem heitern Lächeln, welches in dem blassen Gesicht der Aus­

John vermochte nicht sich zu erklären, wie es möglich sein

könne, daß jemand, der hilflos in die Welt hinausgestoßen werde, noch ein Lächeln übrig habe... in einem solchen Mio­mente!... das verwirrte ihn faſt, obwohl er durchaus nicht zu den weichherzigen Leuten gehörte.

In ihrer Heimat kursirte der Aberglaube, daß, wenn man beim Verlassen eines Hauses, in dem man Uebels erfahren, Beleidigungen, Mißhandlungen, durch irgendwelchen Zufall am

Ueberschreiten der Tür - oder Torschwelle gehindert werde, dies

die Bedeutung habe, mit dem zurückgebliebenen Feinde oder Be­

leidiger später wieder zuſammen zu treffen, um an ihm Nache nehmen zu können. Es war gewiß sehr begreiflich, daß ein ver­artiger Aberglaube in einem so heftig empörten Gemüte, wie

das Luciens, leicht Wurzel schlug... und sie lächeln konnte.

So rasch wie die Arbeiter mit dem Handwagen und der

ihnen zur Seite schreitende Kommissionär den Weg nach dem

zur Abfahrt bereit liegenden Schiffe zurücklegten, eilte Lucie mit

fühlt hatte, unbewußt rollten ihr schwere Tränen über ihre ihnen vorwärts. Mit keinem Blicke hatte sie sich nach dem Land­Wangen. Wie sie vom Unglück, welches jezt auf ihr lastete, hause umgewendet. Sie war froh, von einem Orte fortzukom= hart niedergedrückt wurde, so noch mehr von dem Schicksal, das Das Ungewisse, von welchem die Hoff

men, der, wie sie glaubte, ihr noch mehr Verderben bringend gewesen sein würde, wenn sie sich nicht in das über sie ver­hängte Geschick so ergebungsvoll gefügt hätte.

"

Wo wollen Sie aussteigen, Mistreß?" fragte John, als

ihrer fünftig wartete. nung viel ferner liegt, als die Furcht, ängstet weit mehr und Lucie barg sich nicht, daß ihre Zukunft sicher eine sehr freud­lose sein werde. Der Eintritt des Kommissionärs mit der Augen sie das Schiff betraten.