egyptische, phönizische und Kleinasiatische Kolonisten die ersten Elemente der Zivilisation den ältesten Bewohnern von Griechen­ land übermittelten, worauf allerlei Sagen hinweisen, wie die von dem Egypter Kekrops , dem die Gründung der Burg( Kekropia) in Athen zugeschrieben wird, oder von dem Phönizier Kadmos, der den Grund zur Stadt Theben gelegt und die Buchstaben­schrift, sowie die Kunst, das Erz zu schmelzen, nach Griechen­ land gebracht haben soll. Auch die Griechen waren daher jenem Auch die Griechen waren daher jenem asiatischen Kultus der Menschenopfer ergeben und in den ältesten griechischen Göttergestalten erkennt man noch viele Züge der orien­talischen Gottheiten, von denen sie abstammten. Aber frühzeitig emanzipirten sich die Griechen von dem Einfluß des Orients, schafften ihren Moloch- Kronos ab und sezten an dessen Stelle einen Kreis freundlicher Gott­heiten, welche nichts anderes waren, als Ideale des Schön­Menschlichen. Die Menschenopfer fielen und auch die der Tieropfer traten, je höher die Sonne gei stiger Kultur am hellenischen Him­mel emporrückte, mehr und mehr zurück gegen einen edlen, ästhe tisch - moralischen Kultus.

Der

Kultus der Schönheit wurde zur Religion erhoben und er übte seine Wirkung nach zwei Richtungen: als Schönheit der sichtbaren Welt in der Kunst, als Schönheit des Fühlens und Handelns in Gesin­nung und Sitte. Der den Grie­chen innewohnende Drang zur Schönheit offenbarte sich nicht blos als das der Kunst lebengebende Prinzip, sondern ergoß sich auch über alle Verhältnisse und Zu­stände des Lebens und wurde überall das maßgebende und ord­nende Gesez. Die Schönheit ist jedem Dinge die völlige Befrie­digung und Gemäßheit seiner selbst, die schlackenlose Abrundung seiner Existenz, die Schönheit ist Ruhe, Glück und Friede, sie ist Tugend und Sitte, sie ist auch Gesez und Freiheit, denn nur in der Frei­heit kann die Schönheit reifen*). Froh zu sein, sich des Lebens zu freuen und diese Freude auch an­dern zu gönnen, das Dasein sich und andern heiter zu gestalten, war den Griechen Gottesdienst.

Alphornbläser.

Die Bewunderung sinnlicher Schönheit der Form veredelt sich zu dem Gefühl sittlicher Schönheit menschlichen Handelns und die Kalokagatie( harmonische Vereinigung von Schönheit und Güte) erscheint als das Ideal menschlicher Vollkommenheit. So wurde Hellas die Wiege der Kunst, der Poesie und Philosophie.

Mit einer fortschreitenden Kultur läuterten auch andere Völker ihre religiösen Begriffe und erweiterten den Kreis der reli­giösen Praris in's etische Gebiet. Nirgends aber erhob sich der Menschengeist zu einem so reifen und zugleich freien Humanismus, der als die schöne, harmonische Entfaltung der Menschennatur begriffen wurde, als im Vaterland der Homer , Sophokles , Phidias , Sokrates . Wie Aphrodite Anadyomene, umleuchtet von Grazie und Lieblichkeit, dem Meere entstieg und unter ihren Füßen Blumen aufsproßten, so wurde aus dem hellenischen Kultur­leben der Kultus der schönen Menschlichkeit geboren, in dessen milden Strahlen die Blumen des Guten und Edlen am schönsten gediehen. Nirgends hat dieser hellenische Humanismus eine so voll­*) S. Mundt, die Götterwelt der alten Völker.

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kommene poetische Gestaltung erfahren, als in Goethes wunder­barer Dichtung Iphigenie auf Tauris . In Iphigenie , der Tochter des zivilisirten Hellas, hat Goethe, der moderne Hellene, diesen Humanismus personifizirt. Der höchste sittliche Adel ist in ihr verkörpert und von einer sanften jungfräulichen Hoheit und heiligen Milde ist ihr ganzes Wesen umflossen und verklärt. Damit bildet sie einen scharfen Gegensaz gegen ihre Umgebung, die Halbbarbaren in Tauris, und dieser Gegensaz macht sich vorzugsweise in der Art der Götterverehrung geltend. Denn während die Taurier ihrer Göttin Menschenopfer darbringen, chrt Iphigenie die Göttin durch

ein reines Herz und Weihrauch und Gebet

und durch ihren Einfluß sagen sich auch die Taurier von den Men­schenopfern los. Wir haben ge­sehen, daß die Lossagung von den Menschenopfern einen bedeut samen Umschwung in den Kultur­verhältnissen der alten Völker be­zeichnet; denn mit ihm vollzieht sich der Uebergang aus einer nie­deren Kulturepoche zur höheren, aus der Religion der Barbarei zur Humanität.

Es ist viel darüber gestritten worden, ob und wiefern Goethe's Iphigenie ein griechisches Produkt sei. Schlegel nannte sie ein Echo griechischen Gesanges. Andere preisen sie als das schönste mo= derne griechische Drama. Die Korrektur, welche dieses Urteil sich gefallen lassen mußte, ließ es später in sein Gegenteil umschlagen und das Stück als ein deutsches, selbst christliches( G. Schlosser) bezeichnen. Lewes will das Grie­chische blos im langsamen Fort­schritt, in der Einfachheit der Handlung und der Sättigung mit mytischem Stoff erblicken. Das sind jedoch Aeußerlichkeiten, die für den Geist eines Kunstwerks nicht maßgebend sein können. Was uns aber als griechisch aus dem Stück entgegenweht, ist der von religiöser Weihe getragene schöne Humanismus der Heldin, welcher freilich mit manchen Elementen moderner Bildung verfeinert ist. Er ist ein unter milderem Kulturhimmel ausgereiftes griechisches Gewächs. Die Art, wie Iphigenie den starren Sinn des Scyten zu brechen sucht, gehört zu den schönsten Zügen der Dichtung.

( Seite 451.)

Der mißversteht die Himmlischen, der sie Blutgierig wähnt; er dichtet ihnen nur Die eignen grausamen Begierden an spricht sie zu Thoas und da dieser den Kanon aller Konserva­tiven im Munde führt:

Es ziemt sich nicht für uns, den heiligen Gebrauch mit leichtbeweglicher. Vernunft Nach unserm Sinn zu deuten und zu lenken und sich auf das alte Gesez beruft, erklärt sie ihm: Wir fassen ein Gesez begierig an,

Das unsrer Leidenschaft zur Waffe dient. Ein andres spricht zu mir, ein älteres, Mich dir zu widersezen, das Gebot,

Dem jeder Fremdling heilig ist.

In dem Verhalten Iphigeniens zu Thoas spiegelt sich so eine fulturhistorische Wahrheit. Wie Iphigenie den rauhen Scyten, so hat die griechische Bildung den Geist der Völker