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Zeit. Verehrten doch unsre Vorjahren ihre Götter, nicht wie die Griechen, Römer und andre heidnischen Völker in Tempeln und unter dem Bilde menschlicher oder tierischer Gestalten oder einer Vermischung von beiden, wie die Aegypter, sondern im geraden Gegensaze hierzu als unsichtbare Wesen, die sie in Felsen oder Bäumen sich wohnend dachten, und deren Nähe sie in dem geheimnisvollen Rauschen heiliger Haine mit ahnendem Geiſte empfanden. Und es ist kein Zufall, daß derselbe Ludwig Uhland , der als Sammler und Kenner der deutschen Volkspocsie in der Wissenschaft einen ebenso gefeierten Namen hat, wie er als Dichter von seinem Volke hoch verehrt wird, daß gerade er diesen Grundzug des deutschen Wesens mit jenen vielberühmten Worten besungen, die die Schlußstrophe eines seiner bekanntesten Gedichte bilden:
Nicht in falten Marmorsteinen, Nicht in Tempeln, dumpf und tot, In den frischen Eichenhainen Weht und rauscht der deutsche Gott!
Durch einen an dren Dichter, den noch weit christlicher gesinnten Klopstock, den Sänger des„ Me sias ", ist der Hain geradezu das Sinnbild der deut
schen Poesie ge worden, und auch Uhland spricht in dem erwähnten Gedichte von dem „ deutschen Dichterwald."
Hierzu kommt noch der echt ger manische Hang zum Einzelwohnen am Waldessaum, zwischen den Fel= dern und auf ein Berg
samen
gipfeln, wie er im Unterschiede vor allem von den flavischen Nachbarvölkern unsern Vorfahren gleichfalls eigen war. Schon dies be dingte ein
in
nigeres Zusam
mit ihnen wurde vielmehr nur menschlicher, inniger und geläuterter, zumal mit der Tier- und Pflanzenwelt, die dem menschlichen Empfinden ohnehin so viel näher steht, als die übrige Natur. In einem Minneliede des 12. Jahrhunderts ruft die Herrin der Burg einem Falken zu, den sie über dem Walde fliegen sicht:
Du erkiesest dir im Walde
Einen Baum, der dir gefalle.
und flagt ihm ihr Leid, daß sie um ihres Trauten willen von Die Nachtigall wird so vielen Mißgünstigen beneidet werde. Liebesbotin und singt vor den Fenstern des Mädchens die Grüße des Geliebten u. s. w.
Ganz ähnlich mit der Pflanzenwelt, in welcher die lieblichere Blumenwelt wieder den Vorrang vor den Bäumen und Gesträuchen hat. Doch fehlt es auch den lezteren nicht an reicher poetischer Verklärung. Dies gilt namentlich von der Linde, unter deren von Urzeit geheiligtem Wipfel und breiten
Der Heringstönig.( Seite 463.)
Aesten die fröhlichen Reigentänze abgehalten wurden, mit denen man die Wiederkehr des jungen Maien festlich beging. Es gibt
kaum ein Liedchen, welches die Herrlichkeit des Sommers be= singt, in dem sie nicht der unentbehrliche Mittelpunkt aller Freude ist, während in ihrem grünen Geäste„ Frau Nach tigall sizt und singt." Und wie zu ihr schmucke Tänzer und Tänzerinnen eilen nnd glücklich Liebende unter ihrem schüzenden Dache sich zusammenfinden auf blumiger Bettestatt, wie in dem berühmten Lindenliedchen Walthers von der Vogelweide; so ist
sie zugleich die Vertraute der sehnenden, unerwiderten oder
menleben mit der Natur, die den wenigen Bewohnern eines Gehöftes oder selbst einer Burg den öfteren Verkehr mit ihres verschmähten Liebe: gleichen ersezen mußte.
Bei einem so veranlagten Volke kann es daher nicht Wunder nehmen, wenn die Poesie desselben mit der Natur gleichsam verwachsen erscheint. Sommer und Winter, Tag und Nacht, mit ihren Lichtern, das Wasser, die Luft, die gesamte Pflanzenund Tierwelt, ja selbst das leblose Gestein wurden in den poe= tischen Vorstellungskreis mit hineingezogen und zu selbständigen Wesenheiten erhöht, die Sprache und Empfindung mit den Menschen teilten. In der altdeutschen Mytologie erscheinen sie zumteil als gewaltige Göttergestalten, wie Thor und Wodan , oder als Riesen, wie die Frost- und Reifriesen, oder als seltsame Ungeheuer, die man wegen ihrer übernatürlichen Kraft scheute und verehrte. Als das eindringende Christentum dann die heidnischen Gottheiten ihrer Würden entsezte und in die Hölle, die christliche Unterwelt verbannte, verloren die Naturerscheinungen, welche sie dargestellt hatten, ihren poetischen Wert und ihre innige Beziehung zu den Menschen damit nicht.
Es steht eine Lind' in jenem Tale Ach Gott, was tut sie da? Sie will mir helfen trauern, Daß ich keinen Buhlen han.
Wie ist in diesen schwermütigen Strophen, mit denen ein altes Volkslied beginnt, die Linde in den Kreis menschlicher Empfindungen gerückt, ja recht eigentlich an die Stelle der Menschen selbst getreten! So wenig aber eine solche Poesie in ihrer schlichten Wahrheit und rührenden Herzenseinfalt übertroffen oder nur nachgeahmt werden kann, so wenig kann sie wiederum von dem verstanden werden, der nicht, gleich dem Sänger dieses Liedes, die Natur als die stille, aber innig teilnehmende Verwandte des eigenen Seelenlebens anzusehen vermag. Er wird wohl Bäume, Felsen und Ströme in ihr erblicken, doch was sie dem tieferen Gemüte bedeuten, was sie dem poetischen Sinne des Volkes seit unvordenklichen Zeiten geworden sind, das wird Der Verkehr ihnen immer unverständlich und verborgen sein. Dem nüch