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ternen Alltagsmenschen, dem bildungsstolzen Philister in der Uebersättigung seines Geschmacks ist die Natur stumm; wie das Volkslied, dies echteste Kind der Natur, ihm ein entarteter Wildling voller Ungereimtheiten und Widersprüche ist, weil keine Stimme in seiner Brust der leisen und eindringlichen Sprache antwortet, die es zu ihm redet.
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Nach alle dem sollte man nun glauben, daß die Linde auch in den Liedern vom Streite zwischen Sommer und Winter eine hervorragende, ja die erste Stelle einnähme. Dem ist aber nicht so. Für sie tritt vielmehr ein frühzeitigeres Gewächs, der Fahlweidenbaum" oder der„ Felbinger", ein, der mit seinen frühgrünen Zweigen und den flaumigen Käzchen daran zu dem Winter in der Tat in einem weit schärferen Gegensaze steht, als die spät knospende Linde. Dem Felbinger entsprechend ist der immergrüne Buchsbaum, der Anwalt des Winters, der für diesen den Kampf mit dessen Gegner aufnimmt.
Der Streit zwischen ihnen dreht sich ursprünglich nur um die Vorgänge der beiden Jahreszeiten, die sie darstellen, wobei jeder in dem regelmäßig wiederkehrenden Schlußreim die anwesenden Zuhörer als Zeugen anruft, daß er dem andern obgesiegt habe und jener folglich sein Knecht und er sein Herr sei. Am Ende erklärt sich der Winter für besiegt u. s. w.
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Wie weit verbreitet in der älteren Zeit dieses Spiel war, denn mit einem solchen, einem Festspiel zur Feier der beginnenden schönen Jahreszeit haben wir es hier zu tun, dafür liegen zahlreiche Belege vor. Zum besseren Verständnis des ganzen Vorganges möge hier einiges dem dritten Bande von Ludwig Uhlands Schriften Entlehntes mitgeteilt werden, woselbst in einem besonderen Abschnitte, der die Ueberschrift„ Sommer und Winter" trägt, alles hier Einschlagende mit fleißiger Hand gesammelt und auf's trefflichste gesichtet worden ist. Wieder wird man dabei durch die Mannigfaltigkeit der Erfindung in Erstaunen gesezt, über welche die alte Zeit in der Ausgestaltung eines poetischen Gedankens zu verfügen hatte, bei aller Einfachheit der Mittel und sicherster Wirkung auf das Gemüt. Was hierher gehört, ist etwa folgendes:
Am Sonntag Lätare, zu Mitfasten, wenn Frost und Früh ling sich die Wage halten, wurde, noch in neuerer Zeit, hauptsächlich zu beiden Seiten des Ober- und Mittelrheins ein ländliches Kampfspiel begangen. Zwei Personen, Sommer und Winter vorstellend, die eine in Laubwerk, die andere in Stroh oder Moos gekleidet, ringen mit einander. Der Winter unterliegt und wird seiner Hülle beraubt. Von der versammelten Jugend, die mit weißen Stäben ausgezogen ist, wird dabei mancherlei gesungen, dem Sommer zum frohen Empfange, dem Winter zum Hohn und Troze:„ stabaus! stabaus!( stäubaus!) stecht dem Winter die Augen aus!" Die älteste bestimmte Meldung von diesem Spiele steht in Sebastian Frank's Weltbuch 1542: Zuo mitterfasten ist der Rosensonntag 2c. Un disem tag hat man an etlichen orten( in Franken) ein spil, daß die
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fnaben an langen runten brezeln herumb tragen in der statt, und zwen angetane mann, einer in Sinngrüen oder Ephew, der heißt der Sommer, der andre mit gmöß( Moos) angelegt, der heißt der Winter, diese streitten miteinander, da siegt der Sommer ob und erschlacht den Winter, darnach geht man darauff zum wein." Des Singens ist hier nicht besonders gedacht, auch in den übrigen Nachrichten erscheint der Aufzug als Hauptsache, die altertümlichen Reime sind begleitender Zuruf. Daneben aber hat sich früher schon das ausgeführte Gesprächslied der streitenden Jahreszeiten entwickelt, und während die vorwaltend mimische Darstellung sich in der sichtbaren Niederlage des Winters am besten verständlich machte, war umgekehrt der Wettstreit mit Gründen wohl geeignet, die beiderseitige Berechtigung im wohlgeordneten Jahreslaufe darzutun und hierdurch einen versöhnlichen Ausgang herbeizuführen.
Von den beiden, in Uhland's Volksliedersammlung uns erhaltenen Liedern dieser Art, ist das echtere und aller Wahrscheinlichkeit nach auch ältere derselben noch in lebendigster Gesprächsform von rasch auf einander folgender Rede und Gegenrede gehalten:
Sommer.
Heut ist auch ein frölicher Tag,
daß man den Sommer gewinnen mag, alle ir herren mein,
der Sommer ist sein!
Winter.
So bin ich der Winter ich gib dirs nit recht,
o lieber Sommer, du bist mein knecht! alle ir herren mein,
der Winter ist sein! 2c.
Im Verlaufe des Liedes heißt es vom Sommer u. a., er fomme mit den Seinen aus Desterreich, dem sonnigen Dsten, und darum heißt er den Winter sich aus dem Lande heben. Dieser andererseits kommt aus dem Gebirge und bringt mit sich den kühlen Wind, er droht mit einem frischen Schnee und will sich nicht verjagen lassen; der Winter rühmt sich der weißen Felder, der Sommer der grünen; jener ist ein grober Bauer, trägt rauhe Pelzschauben,
So bin ich der Winter, ein grober bauer, ich trag' an mir manch pelz und schauben alle ir herren mein 2c.
zu des Sommers Zeiten wächst Laub und Gras, zu denen des Winters wird manch' kühler Trunk gefunden; der Sommer bringt Hen, Korn und Wein, aber was er einführt, wird alles im Winter verzehrt; zulezt behält gleichwohl der Sommer Recht, der Winter nennt sich seinen Knecht und bittet ihn um seine Hand, damit sie zusammen in fremde Lande ziehen, hierauf erklärt der Sommer ihren Streit für beendigt und wünscht allen eine gute Nacht. ( Schluß folgt.)
Die Falascha. Eine etnographische Skizze.
Unter den fünf, durch Sprache, Körperbau und Hautfarbe sich unterscheidenden Völkerschaften Abyssiniens, deren Gesammt feelenzahl auf etwa 12 Millionen geschäzt wird, lebt unter dem Namen Falascha ein etnographisch merkwürdiger jüdischer Stamm, der sich von den Juden in allen übrigen Weltteilen sehr wesentlich unterscheidet und von dem erst in neuester Zeit nähere Kunde zu uns gedrungen ist*).
*) Durch Herrn M. Flad in Kornthal, der längere Zeit unter den Falascha lebte und seine Wahrnehmungen in einer Schrift:„ Kurze Schilderung der bisher fast unbekannten abessinischen Juden( Falascha)" Kornthal, Selbstverlag, veröffentlicht hat. Diese Schrift, welche in weitere Kreise nicht gedrungen ist, was wohl ihrer unwissenschaftlichen Form zuzuschreiben ist, liegt der obigen Darstellung zu Grunde, wozu Herr Flad feine Ermächtigung erteilte.
Das Wort Falascha soll„ Auswanderer" oder„ Vertriebene" bedeuten, und es liegt nahe, anzunehmen, daß dieser Name den nach Abyssinien eingewanderten Juden von den Ureinwohnern dieses Landes beigelegt wurde*). Ueber Zeit und Ursache dieser Einwanderung herrschen unter den Falascha selbst verschiedene Meinungen. Geben wir zuerst der Legende des Wort. Nach dem 2. Buche der Könige Kap. 10 und der Parallelstelle 2. Chronit Kap. 9 kam die Königin von Saba( ein Distrikt im südwestlichen Arabien ), welche von der großen Weisheit des Königs Salomo gehört hatte, mit einer mächtigen Karawane nach Je
*) Es sei daran erinnert, daß auch der älteste Name der Israeliten, Hebräer, Einwanderer bedeuten kann, da dieselben aus den Euphratländern nach Palästina eingewandert sein sollen.