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, Was hältst du meinen Mantelkragen mit deinen Krallen fest?| Freunde zu beleidigen." Sie ließ dieser eigentümlichen Tröſtung Laß los, sage ich dir!" ein halblautes Gekicher folgen.

" Was? Was? Eine Here wäre ich und meine Hand nennst du eine Kralle, Halunke?" schrie ein langes dürres Weibsbild mit sehr gelbem Gesicht und gellender Stimme." Daß dein kurzer Hals dafür in einem der schmucken Halsbänder stecken möchte, wie mein Schwiegersohn sie seinen guten Freunden um­legt, wenn sie sich die Lumpenbrut auf Erden aus der Höhe ansehen sollen." Die Alte hatte diesen Wunsch so laut geäußert, daß alle, die nicht zu fern von ihr standen, ihn sehr deutlich verstehen konnten.

Die Lilli! Die Lilli! Henkers Schwiegermutter... Teufels Unterfutter!" schrie ein Teil der gottlosen Gesellschaft, für die es fein größeres Vergnügen geben fonnte, als die Alte in Zorn zu bringen, die einmal in Aufregung versezt, ohne Anstoß ein ganzes Register von Fluch- und Schimpfwörtern loszuorgeln verstand und jezt die Gelegenheit dazu für sehr geeignet zu halten schien.

Während dieses widrigen und durch Gejohle in allerlei Ton­arten zum Skandal aufgewachsenen Auftritts trat der Konstabler, welcher die Ordnung aufrecht zu erhalten hierher befohlen worden war, an den Mann heran, dessen Mantelfragen noch mit Lillis Kleid zusammen geheftet war und flüsterte ihm zu: Master Zecco , hier haben Sie mein Taschenmesser, schneiden Sie den Nähfaden durch und dann eilen Sie so rasch als möglich fort... ' s ist kein guter Umgang mit dem alten Ungetüm."

Daß

Dieser Weisung zufolge war Zecco eben im Begriffe, den in Rede stehenden Faden mittels eines Schnittes von dem Kleide Lillis zu trennen, als diese so nahe Verwandte des Henkers eine zufällige Wendung machte und ihn in dieser Beschäftigung überraschte. Ein wilder Schrei entflog ihrem Munde. dich der Bliz erschlage, schäbiger Schurke! Mein Kleid willst du zerfezen?" freischte sie wütend und riß ein unter ihrem linken, von einem kleinen Umschlagetuch verhüllten Arm getragenes Päck­chen hervor, streifte dessen Papierhülle mit einem raschen Strich ihrer dürren Finger ab und schwang ohne Zögern ein paar zu­sammen gebundene noch neu aussehende Stricke in der Luft, als wolle sie Zecco einen Hieb versezen.

Die rüde Gesellschaft- prallte voll Entsezen auseinander. Sie kannte diese Waffe des alten Weibes, vor der sie Scheu em­pfand.

Es waren Halsschlingen, welche Lillis Schwiegersohn, der Henker, den zum Strang verurteilten Delinquenten als lezten Schmuck, den das Leben ihnen bot, um den Hals gelegt hatte und welche nach der gesezlichen Zeit, da man den Tod dieser " Abgetanen" als erfolgt annimmt, ihm als Eigentum zufallen, mit denen ein immerhin gut rentirender Handel betrieben wird. Seit uralter Zeit herrscht der Aberglaube, daß alles, was aus Henkers Händen kommt, gewissermaßer gefeit sei und Glück bringe, und deshalb haben Spieler, Betrüger, Abenteurer und dergleichen vom Stegreif oder Zufall Lebende sich solcher Hilfs­mittel bedient... von diesen Stricken, die unter den lezten Zuckungen der Verbrecher sich gedehnt hatten, ein kleines Endchen bei sich getragen, verbürgt... so glaubt man... den sichern Erfolg bei schlechten Taten, so wie man sich auch überzeugt hält, daß ein Schlag mit dieser Henkerwaare den davon Berührten als dereinstigen Galgenkandidaten bezeichnet, weshalb jeder sich cinem solchen möglichst entzieht.

Wer hätte sich also einer derartigen näheren Bekanntschaft mit der alten Lilli aussezen sollen, da man sie als halb verrückte böse Sieben kannte?

Um so größer war die allgemeine Verwunderung, als man sah, daß sie ihre gefürchtete Waffe im Schwunge plözlich zurück­hielt, statt sie auf Zecco niederfallen zu lassen, dessen Gesicht leichenbleich geworden, während über das häßliche Gesicht der Alten ein feirendes Lachen hinglitt.

" Hast Angst, Zuckerkind? Nein, keine Angst... ich schlage dich nicht... gewiß nicht," sagte sie. Gehörst ja so zu meines Schwiegersohns Sippschaft... sehe dir's an... und ich bin viel zu fashionabel wie eine hochgeborne Lady, um seine guten

Unterdes hatte der Konstabler aus Zeccos herabhängender Hand das Messer genommen und rasch den Faden durchschnitten, welcher dessen Mantelkragen und Lillis Kleid noch zusammen geheftet hielt. Die Alte machte ihm keine böse Miene darüber und zupfte mit großer Ruhe das Stück herunterhängenden Faden aus ihrem Gewande, hob dann die auf den Boden gefallene Papierhülle auf, in die sie die Stricke wickelte und dann Zecco wie einem Herzensfreund zunickend, schritt sie unbekümmert durch die kleine Bedfordstraße hin, wo sie bald verschwand.

Nun, Master, hat Ihnen die alte abscheuliche Vogelscheuche nicht Spaß gemacht?" fragte der Polizeimann. Weil Sie in Ihrer Galerie eine Sammlung Räuber und Mörder haben, glaubt sie, Sie gehören auch zu dieser saubern Sippschaft. Ist das nicht lustig?"

" Ja wohl... sehr lustig." In dem Tone, in welchem er diese Beistimmung äußerte, klang aber nichts heraus, was sich auf Heiterkeit hätte deuten lassen. Wie mag sie mich nur haben kennen lernen? Ich habe sie nie gesehen."

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" Sie haben das alte Gespenst nur nicht beachtet, wollen Sie wahrscheinlich sagen. Wie Hofbediente, Kammerherren und solche vornehme Gesellschaft es nicht unterlassen, Ausstellungen zu be­suchen, wo die Portraits großer Potentaten zu sehen sind, gerade so denkt auch die Sippschaft des Henkers, wenn seine Galgen­zöglinge so täuschend nachgeahmt, wie das in Ihrer Galerie der Fall ist, von ihr beaugenscheinigt werden können. Das ist jedenfalls..."

Der Konstabler mußte seine Erklärung unterbrechen, um Ordnung unter der Menge zu stiften, die vom Strand in die Bedfort- Street herein drängte, die Herrlichkeit der Schweizer­bäckerei anzustaunen; Zecco erblickte einen Omnibus, der die Tour nach der Endstation des Strandes Charing croß befuhr; es gelang ihm einen Siz darin zu erhalten und so verließ er denn den Plaz, wo er eine Bekanntschaft gemacht, bei deren Erinnerung ihn ein Schauer durchfröstelte, als fühle er den An­zug eines falten Fiebers.

War es der feuchtkalte Nebel, dem er sich vor der Schweizer­bäckerei ausgesezt, welcher ihn so eisig durchdrungen, daß selbst sein Mantelkragen, den er dicht um sich gezogen, ihn nicht er­wärmen fonnte? Nein, der Nebel hatte das nicht getan, wohl aber, daß die alte Lilli in ihm einen von ihres Schwieger­sohnes Sippschaft erkannt und ihm dies einfach mit den Worten sehe dir's an" versichert hatte. Wie? trug er das Zeichen eines Verbrechers an seiner Stirn, gleich Kain, dem Bruder­mörder? In tiefes Schweigen versunken durchfuhr er die nicht allzulange Tour bis zur Station Charing croß, wo er mit Be­stimmtheit wußte, ein Cab zu finden, das ihn zur Galerie am Hydepark corner bringen würde.

Trafalgar Square , der große schöne Plaz, dessen Mitte Nelson's Monument trägt, während sein nördlicher Teil durch die National galerie begrenzt wird, wurde damals, also vor sechzig Jahren, noch von einer Menge winklicher Straßen bestanden, welche König Georg der Vierte entfernen ließ, wodurch der sehr umfangreiche Flächenraum frei von verhunzenden Gebäuden wurde und Licht und freie Luft empfing. Der südliche Teil des großen Plazes heißt Eharing croß, von einem vor langen Zeiten von König Eduard I. zum Andenken an seine Gemahlin Eleonore errichteten Kreuze, das im Verlauf der Zeit entfernt wurde, der Name aber ist geblieben. Hier endigt der Strand und Omnibusse( von den Engländern nur" Bus" genannt), Cabs und andere Wagen haben hier ihre Stationen.

Troz des sich tief senkenden dichten Nebels, der den Ge­brauch von Fahrgelegenheiten nötig machte, hatte Master Zecco doch Glück genug, um eins der leichthin rollenden zweirädrigen Cabs für sich zu finden. In einem kleinen halben Stündchen befand er sich vor dem großen Eingang in die Galerie, deren Tor ihm der Portier auf sein Klingelzeichen öffnete.

" Wir haben die Lampen noch brennen lassen müssen, Master Zecco," berichtete der Mann diensteifrig. Die Dunkelheit in den Sälen ist zu groß."

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