In Paris   konzentrirte sich damals nicht blos die französische, sondern auch die europäische   Gesellschaft; hier vereinte sich nicht nur der Adel aller europäischen   Nationen, die Blüte aller Schau spieler, Sänger, Tänzer und Musiker, ein Heer von wizigen Abbés, eine Legion von reizenden Hetären, sondern auch eine Auswahl aller Talente, die in der Wissenschaft empor strebten. Diderot  , d'Alembert  , Rousseau  , Marmontel und viele andere arbeiteten sich von unten nach oben empor. Talent, Schönheit, Wiz, Bildung machten gesellschaftsfähig. Die Aristokratie der Geburt wie die des Geldes durften nicht mehr als solche allein auf Anerkennung rechnen. Wenn man reich, aber dumm war ,. so mochte man wizigen Schmarozern gute Diners geben, respek tirt ward man deshalb nicht. Reiche Finanzmänner, wohlhabende Schauspielerinnen, verschwenderische Tänzerinnen, vermögend ge­wordene Manufakturisten u. a. fingen an, ein Haus zu machen und die Berühmtheiten des Tages bei sich zu sehen. Der Reiz der geistigen Erregung, der guten Unterhaltung, der wizigen Plauderei, der Neugierde, der Kritik der Tagesereignisse überwog die Rücksichten, die man früher genommen hatte. Die Stände fingen an sich in der Gesellschaft zu mischen. Angesehene Fremde, englische Lords, Gesandte, kleine deutsche und italienische Fürsten  brauchten sich ohnehin nicht an die Etikette zu binden und suchten gerne die Stätten auf, wo sie unter Künstlern, Gelehrten, Staats­männern, Philosophen sich auf die Höhe der damaligen Bildung versezen konnten. Der Salon wurde einer der gewichtigsten Hebel des damaligen Bildungs- und Literaturlebens; an ihrer Spize standen meist Frauen, welche, wie Voltaire scherzend sagt, einen oder zwei Schriftsteller als Minister zur Seite hatten. Doch wußten auch einzelne Schriftsteller selbst, wie Holbach   und Helvetius  , durch glänzende Vermögensverhältnisse begünstigt, treff­lich den Wirt zu machen.

Die eigentliche Schöpferin der Salons war d'Alembert's  geistreiche, aber zugleich leichtfertige und hartherzige Mutter, Frau v. Tencin  ; in ihrem Salon verkehrten hauptsächlich Fontenelle, Marivaux  , Montesquieu   und Bolingbroke  . Mit Schmerz mußte sie aber sehen, wie ihr das Scepter von Mad. Geoffrin entwunden wurde; diese eröffnete ihren Salon 1768. Sie war von bürgerlicher Geburt und heiratete einen Obersten der Nationalgarde, der die erste deutsche Spiegelmanufaktur er­richtete, ein Privilegium darauf erwarb und einen bedeutenden Gewinn daraus zog, welcher es seiner Frau möglich machte, Ge­lehrte und Künstler zu unterstüzen und jeden Montag und Mitt­woch ein großes Diner zu geben. Montag für Künstler und Kunstfreunde, Mittwoch für die Philosophen und deren Anhänger. Es war nicht der Luxus der Bewirtung, welcher anzog, sondern der Reiz der lebhaften Unterhaltung; nie aber durfte diese das Maß leichter Anmut überschreiten; erhob sich irgend etwas Schroffes und Verlezendes, so rief die Gebieterin mit einem lächelnden: Meine Herren, es ist genug" die Streitenden so­gleich zur Ordnung.

Später, außerhalb des Salons, wurden die Fragen dann wohl wieder aufgenommen; Morellet erzählt in seinen Memoiren, wie d'Alembert  , Raynal  , Helvetius  , Galiani  , Marmontel  , Diderot  nach dem Diner in der großen Allee des Tuileriengartens auf und ab wandelten, einem Gespräche sich überlassend, so belebt und frisch, wie die Luft, welche man einatmete.

Es zeugt von der Bedeutung und dem Einfluß dieses Salons, daß, als Mad. Geoffrin im Jahre 1766 ihren Schüzling, den König Stanislaus von Polen, in Warschau   besuchte, sie der polnische Adel völlig im Triumph empfing. Auch am Hofe in Wien   erhielt sie die größte Auszeichnung, und die Kaiserin Katharina zu Petersburg beehrte sie mit einer Einladung zur Tafel. D'Alembert  , Morellet, Marmontel  , empfingen von ihr nicht unbedeutende Jahrgelder und ehrten sie, als sie 1777 starb, jeder durch eine kleine ihrem Andenken gewidmete Schrift.

Eine liebenswürdige Erscheinung war Julie de l'Espinasse  , die Freundin und Vertraute d'Alembert's und, wie dieser selbst, ein Kind der Liebe. Von ihrer Mutter, der Gräfin d'Albion, niemals anerkannt, aber von derselben als armes Waiseukind erzogen, war sie, 22 Jahre alt, als Gesellschaftsdame zu Mad.

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du Deffans gekommen, von dieser aber, nach zehnjährigem Aufenthalt bei ihr, in eifersüchtiger Leidenschaftlichkeit entlassen worden. Seitdem wurde sie der Mittelpunkt der angeregtesten Geselligkeit. Ohne Vermögen, ohne Geburt, ohne Schönheit war es ihr nichtsdestoweniger gelungen, in ihrer Wohnung eine schr zahlreiche, mannigfaltige und geistreiche Gesellschaft zu versammeln; es war ihr im höchsten Grade die so schwere und köstliche Kunst angeboren, den Geiſt anderer anzuregen und ihn fruchtbar zu machen. Da sie nicht reich genug war, sich auf eine kostspielige Bewirtung einzulassen, entschloß sie sich von aller Bewirtung, ein Glas Zuckerwasser ausgenommen, abzusehen. Diese ökono mische Neuerung tat aber der Geselligkeit nicht nur keinen Ein­trag, sondern steigerte sie und ihr Salon war der glänzendſte, was den geistigen Gehalt betrifft. Das gute Essen und Trinken war überhaupt Nebensache; die Diners und Soupers sollten nur die Gelegenheit für das Gespräch sein. Bei den Soupers der Frl. Quinault z. B. stand in der Mitte des Tisches ein Tinten faß  , damit jeder der Gäste sogleich seine Gedanken niederschreiben fonnte und hier wurden viele pikante Brochüren verfaßt. Epochen weise herrschten verschiedene Temata vor; zwischen 1740-50 matematische und physikalische; zwischen 50-60 philosophische; zwischen 60-70 ökonomische; zwischen 70-80 politische; mos ralische und ästhetische waren immer gleich sehr kultivirt. Die Anzahl der Personen, welche sich in den Salons bewegten, war übrigens nicht sehr groß; 20 Personen scheint schon das Maxi­mum gewesen zu sein; Massen, wie sie heutzutage ohne allen geistigen Gehalt und Austausch die Zimmer füllen und jede Individualität schon in der quetschenden Enge des Raumes ſich erdrücken, existirten noch nicht.

Freier noch als diese Damensalons war der Salon des Baron Holbach  , wo sich das höchste philosophische Interesse konzentrirte, wo die extremisten Meinungen gleiche Berechtigung hatten, sich rücksichtslos allen Konsequenzen hinzugeben, wenn man nur die Toleranz gegen Andersdenkende bewahrte. Mit unbefangenfter Freiheit besprach man alle Fragen der Religion, Philosophie und Politik. Derselbe Kreis versammelte sich bei Helvetius  , nach dessen Tod( 1771) seine Frau sich nach Auteuil   zurückzog, wo sie mit Morellet, Laroche, Cabanis, sowie mit dem in dem nahen Bassy wohnenden Franklin bis zur Revolution in glücklicher Harmonie lebte.

Eine geistreichere, gedankentätigere, freimütigere Geselligkeit, in welcher die Würde ernster Forschung mit der Anmut gefälliger Einkleidung sich paarte, hat selten existirt. Es war eine schöne Zeit für die Glücklichen, besonders in Frankreich  . Zersprengt schienen die Fesseln des Aberglaubens, der 17 Jahrhunderte die Menschheit knechtete. Die Sonne des schönsten Tages erleuchtete und erwärmte die geistige Welt, während jenseits des Oceans eine Morgenröte der Völkerfreiheit und Menschenwürde anbrach. Der Despotismus in Staat und Kirche erbebte unter täglich fecker wiederholten Schlägen, denn noch hatte Cazotte's   Prophes zeiung*) nicht ihren blutigen Schatten über diesen glänzenden, lebensfrohen Kreis geworfen. Es galt als ein Zeichen der Vors nehmheit, ungläubig und freisinnig zu sein. Der Adel deklamirte gegen den Despotismus, der Abbé gegen den Fanatismus. Er leichtert atmete man auf mit der Entdeckung, daß kein über weltlicher Gott eristire, man brauchte keinen Scharfsinn mehr aufzubieten, eine Gottheit wegen einer solchen Welt voll Mängel und Uebel zu rechtfertigen; man mußte mit ihr wie sie war eben zufrieden sein.

Natur, Natur, das war das große Bedürfnis der Zeit, alle Prädikate, welche man seither Gott vorbehalten hatte, wur den nun der Natur beigelegt. Sie wurde das Absolute. Um den Ursprung und das Ende der Welt kümmerte man sich nicht mehr, denn nur die Materie existirt ewig; man brauchte sich nicht wegen der Zukunft nach dem Tode, mit der Vorstellung von ewigen Höllenstrafen und ähnlichen religiösen Phantasien

*) Ein Dichter und Mystiker, welcher im Jahre 1788 in einer lustigen Gesellschaft die Revolution und den blutigen Tod der meisten Anwesenden prophezeit hatte; was übrigens damals feine Kunst mehr war. Cazotte selbst wurde am 25. September 1792 guillotinirt.