- 518
herumzuängstigen, denn der Mensch hatte gar keine Zukunft mehr nach dem Tode. Man fühlte sich erlöst von dem Glauben an eine Erlösung durch die unbegreifliche Vermittlung von Reliquien, Heiligen, Sacramenten u. dgl. Die Materie wurde als das cinzig wahrhaft Seiende erkannt. Der abstrakte Gott des Deis mus , das sog.„ höchste Wesen" versant vor der Gegenwart der sich stets aus sich selbst verjüngenden Materie wie ein markloser Schatten. Die Empirie suchte als exakte Forschung die Geseze aufzudecken, die in der Natur mit matematischer Unfehlbarkeit regierten und einen Gott vollkommen überflüssig machten. Das Newton'sche Gesez der Attraktion stand oben an; alle Geseze, welche Galilei , Toricelli, Harvey, Huyghens, Maupertuis u. a. entdeckten, kamen zulezt immer auf die Schwere und die Bewegung zurück. Die Wissenschaft enthüllte aber auch die Formseite der Natur. Buffon in seinen ,, Epoques de la nature," welche die Geschichte der geologischen Formation unseres Planeten erzählen, nahm sich zwar noch die Mühe, die Bildungsepochen der Erdschichten an die mosaische Schöpfungsgeschichte anzuknüpfen, aber der schließliche Eindruck blieb auch hier die so zu sagen ateistische Arbeit der sich selbst metamorphosirenden Materie. Der Deismus , welcher noch einen Gott voraussezt, wurde als ein Wahn bekämpft, denn der Materialismus konnte außer der Materie und ihrer Bewegung nichts mehr anerkennen; ein
Gott war für ihn überflüssig und so bekannte er sich folgerichtig zum Ateismus. In Ansehung des Staates verglich man mit den korrupten und unhaltbaren Zuständen des damaligen Frank reich das Ideal der Gesellschaft im natürlichen Zustand und wendete sich zum Republikanismus, weil man fand, daß von Natur alle Menschen gleich seien.
Derjenige, welcher diese ganze Welt der pariser Philosophen und Salons beherrschte, lebte weit entfernt von diesem aufregenden Treiben in Ferney an den Ufern des Genfersees. Es war Voltaire , dessen unerschöpfliche Vielseitigkeit und unermüdliche Tätigkeit nicht nur Paris , sondern ganz Europa beschäftigte. Grade dadurch, daß er seit der Mitte des Jahrhunderts nicht in Paris lebte, daß er der pariser Gesellschaft fern stand, wurde ihm eine Herrschaft erleichtert, auf welche er eifersüchtig war. Vor wenigen Jahren, 1879, hatten wir Veranlassung, das Andenken Voltaire's und Rousseau's, ohne Frage der beiden bedeutendsten unter allen diesen Philosophen, in diesen Blättern zu feiern und begnügen uns deshalb auf jene Abhandlung zurückzuweisen*), dagegen werden wir auf die übrigen ,, Encyclopädisten" und ihre Werke etwas näher eingehen.
"
*) Neue Welt" 1879. Zum hundertjährigen Todestag Voltaire's und Rousseau's.
Gibt es Gespenster?
Von Dr. Richard Ernst.
Mehrere merkwürdige Fälle ähnlicher Art, wie der Nikolai's, führt Hurley an in seinen„ Grundzügen der Physiologie." Hier war eine Frau die Geisterseherin, glücklicherweise eine äußerst gebildete Dame, Frau A., die sich so wenig wie der Berliner Aufklärungsapostel von den Herrn Gespenstern foppen ließ.
An einem Dezembertag, gegen 4 Uhr Nachmittags, betrat Frau A. ihr Wohnzimmer und sah ihren Mann, der kaum eine halbe Stunde vorher spazieren gegangen war, am Kamine stehen, mit dem Rücken nach dem Feuer gekehrt. Ueberrascht fragte sie ihn, weßhalb er so bald heimgekehrt sei. Sie erhielt jedoch feine Antwort. Frau A., welche glaubte, ihr Mann sei in Gedanken versunken, sezte sich auf einen Sessel. Nach Verlauf einiger Minuten, während welcher die Augen der Erscheinung fest auf sie gerichtet blieben, fragte sie: Warum sprichst du nicht? Da bewegte sich die Gestalt nach einem Fenster am äußersten Ende des Zimmers, behielt aber die Augen fest auf sie gerichtet und kam so dicht an ihr vorbei, daß sie betroffen war, feinen Schritt und kein Geräusch zu hören, ja nicht einmal ein Anstreifen der Kleider oder eine Bewegung der Luft zu verspüren. Frau A. war nun überzeugt, daß sie es mit einem Gebilde der Augentäuschung zu tun habe und kaum war sie hierüber im Reinen, als die Gestalt das Fenster erreichte, wo sie verschwand. Fünf Tage später Abends 10 Uhr ereignete sich in Gegen wart des Herrn A. ein anderer Fall. Frau A. glaubte in der Nähe ihres Mannes eine Kaze ſizen zu sehen, die sonst fast nie ins Wohnzimmer kommen durfte. Obgleich ihr Mann behaup tete, daß nichts da sei, rief sie die Kaze, griff nach ihr und glaubte sie unter einen Stuhl friechen zu sehen. Vergebens versicherte Herr A. seiner Frau, daß sie sich täusche. Als er aber den Stuhl aufhob, war die Erscheinung verschwunden. Das Alibi der Kaze wurde sofort festgestellt. Einen Monat später hatte dieselbe dann wiederum eine Vision. Als sie Abends gegen 11 Uhr nach einer Ausfahrt vor ihrem Toilettenspiegel saß und mit ihrem Haar beschäftigt war, sah sie plözlich im Spiegel das Bild eines Verwandten, welcher damals in voller Gesundheit in Schottland lebte. Die Erscheinung schien hinter ihr zu stehen und ragte über ihrer linken Schulter hervor; die Augen derselben begegneten im Spiegel den ihrigen. Die Gestalt war in ein Leichengewand gehüllt, das um den Kopf und
-
-
-
( Schluß.)
unter dem Kinn dicht zugesteckt war und Frau A. bemerkte sogar die Einzelheiten im Muster des Leichengewandes. Die Augen des Phantoms standen offen, die Gesichtszüge waren ernst und düster. Frau A. erzählte später, daß sie sich unter dem Banne eines Gefühls befunden habe, das sie zwang, eine Zeit lang auf diese traurige Erscheinung zu blicken, die so lebhaft und deutlich gewesen sei, als das Spiegelbild eines leibhaftigen Menschen nur immer sein kann, und daß das Gesicht hell von dem Lichte einer Kerze, die vor dem Spiegel stand, beleuchtet war. Nach einigen Minuten drehte Frau A. sich um, um die wirkliche Gestalt hinter ihrer Schulter zu betrachten, sah aber nichts und als sie wieder nach dem Spiegel blickte, war auch hier die Erscheinung verschwunden. Im März desselben Jahres, als Frau A. im Begriff war, zu Bett zu gehen, erblickte sie vor sich in einem Lehnstuhl die Gestalt ihrer verstorbenen Schwä gerin. Dieselbe war sauber und nett gekleidet, wie bei Lebzeiten, trug aber ein Kleid von besonderer Art, wie es Frau A. niemals an ihr gesehen hatte, das jedoch genau der Beschreibung entsprach, welche Frau A. über das Kleid ihrer Schwägerin vernommen hatte. Frau A. betrachtete mit Auf merksamkeit die Gestalt, die in bequemer Haltung im Sessel saß und in einer Hand ein Taschentuch hielt. Sie versuchte, dieselbe anzureden, brachte dies jedoch nicht zu Stande. Nach ungefähr drei Minuten war die Erscheinung verschwunden. Etwa sieben Monate später, im Oktober, sah dieselbe Dame, als sie in ihrer Wohnung am Kamin saß, die Gestalt einer andern verstorbenen Freundin, welche sich von einem Fenster am Ende des Zimmers zu ihr hinbewegte und sich dann nahe dem Kamin ihr gegenüber auf einen Stuhl sezte. Es waren noch mehrere Personen im Zimmer und Frau A., die sich be wußt war, daß sie es mit einem Trugbild zu tun habe, sich aber gleichwohl gedrungen fühlte, die Erscheinung anzublicken, befürchtete, die Anwesenden möchten ihren starren Blick ins Leere mißdeuten und glauben, ihr Verstand sei gestört. Sie nahm daher ihre ganze moralische Kraft zusammen, schritt auf die Gestalt zu und sezte sich auf denselben Stuhl, auf dem die Gestalt saß, so daß sich Frau A. gleichsam in deren Schoos sezte, worauf die Gestalt verschwand.
Es muß hervorgehoben werden, daß Frau A. zwar von