552
glaubte, erriet doch auch niemand den wahren Verfasser, bis Grimm in der literarischen Korrespondenz nach Holbachs Tode das lange bewahrte Geheimnis entdeckte. Paul Heinrich Dietrich von Holbach. ein reicher deutscher Baron, zu Heidenheim in der Pfalz 1723 geboren, war schon in früher Jugend nach Paris gekommen und hatte sich gleich seinem Freund und Landsmann Grimm ganz in die französische Nationalität hineingelebt. Seine ersten Studien waren naturwissenschaftliche, hauptsächlich chemische gewesen, später hatte er sich jedoch, besonders auf Anregung Diderot's , der Philosophie zugewendet.
Unsterblichkeit quillt aus dem Wunsch nach ewiger Fortdauer.| seit 10 Jahren verstorbenen Mirabaus, welcher Sekretär der Wo aber ist der Beweis, daß ein Wunsch auch wirkliche Tat- Akademie gewesen war; obgleich niemand an diese Autorschaft sache sei? Die Seele ist nur das Empfinden, Denken, Leiden und Genießen des Körpers; endet der Körper, so fehlt auch der für das Empfinden nötige Anreiz; ohne Sinne fein Denken und Empfinden. Wer behauptet, daß die Seele auch nach dem Tode zu empfinden und denken fortfährt, der muß auch behaupten, daß eine in Stücke gebrochene Uhr nach wie vor den Lauf der Stunden zeige. Wie seltsam, daß so viele, welche die Festigfeit ihres Unsterblichkeitsglaubens rühmen, gleichwohl so sehr an dem gegenwärtigen Leben hangen und nichts ärger fürchten als den Tod! Und dieser Glaube ist nicht einmal nüzlich. Schlechte Menschen lassen sich durch ihn nicht vom Schlechten abhalten; wer aber fein zweites Leben erwartet, sucht sich das diesseitige Leben glücklich zu machen und dieses Glück kann er nur im Streben nach der Liebe seiner Mitmenschen finden.
Vorzügliche und aufrichtige Sorgfalt verwandte Holbach auf die Grundlagen der Moral. Die Haupttriebfeder des menschDie Haupttriebfeder des menschlichen Handelns ist nach ihm die Selbstliebe, die Rücksicht auf das eigene Glück und Wohlsein; aber die wahre Glückseligkeit besteht nur in der Tugend; diese läßt die Selbstliebe nur insoweit bestehen, als diese mit dem Gesammtwohl der Menschen übereinstimmt.
"
,, Um meines Glückes willen muß ich die Freundschaft, Anerkennung und Hilfe anderer suchen; mein eigener Vorteil ist es, tugendhaft zu sein. Tugend ist die Kunst, sich glücklich zu machen, indem man zum Glück der andern beiträgt. Der Tugendhafte ist immer glücklich; auch wenn er verkannt wird, ist ihm die Gerechtigkeit seiner Sache ein Trost gegen die Ungerechtig keit der Menschen. Sehen wir so wenig Tugend auf Erden, so ist dies einzig die Schuld unseres verkommenen Kirchen- und Staatslebens. Nur deshalb sehen wir eine solche Menge von Verbrechern auf der Erde, weil alles sich verschwört, die Menschen verbrecherisch und lasterhaft zu machen. Vergebens predigt dann die Moral die Tugend in Gesellschaften, wo das Laster und die Verbrechen beständig gekrönt, gepriesen und belohnt werden und wo die Frevel nur an denen bestraft werden, welche zu schwach sind, um das Recht zu haben, sie ungestraft zu begehen. Man mache die Menschen aufgeklärter und glücklicher und man wird sie besser machen."
Die politischen Stellen des Werkes tragen einen so ent schiedenen Karakter einer festen, in sich geschlossenen und durch aus radikalen Doktrin, daß sie gewiß tiefer wirken mußten, als lange Tiraden einer aufgeregten Rhetorit. Mit ruhiger, leidenschaftsloser Gewalt entwickelt er das Recht der Völfer auf Selbstbestimmung, die Verpflichtung aller Obrigkeiten, sich diesem Recht zu beugen und dem Lebenszweck der Nationen zu dienen, das Verbrecherische jeder gegen die Volkssouveränität gerichteten Anmaßung und die Nichtigkeit aller Verträge, Geseze und Rechtsformen, welche solche verbrecherische Anmaßungen einzelner zu stüzen suchen.
Was das„ System der Natur" von den meisten materialistischen Schriften unterscheidet, das ist die Unumwundenheit, mit welcher es in 14 weitläufigen Kapiteln den Gottesbegriff in jeder denkbaren Form bekämpft. Die bisherige materialistische Literatur wagte diese Konsequenz nur schüchtern oder garnicht zu ziehen. Indem aber Holbach die Religion für den Hauptquell alles menschlichen Unglücks ansieht, sucht er daher den frankhaften Gang der Menschheit auch die lezten Grundlagen zu entziehen und verfolgt daher die deistischen und panteistischen Borstellungen von Gott, welche sein Zeitalter so sehr liebte, mit nicht geringerem Eifer, als die Ideen der Kirche. Dieser Um stand machte seinem Buch auch unter den Freigeistern viele Feinde; namentlich Voltaire und Friedrich d. Gr. fühlten sich unangenehm aufgeschreckt; nur Diderot und seine nächsten Freunde zollten ihm ihre volle Anerkennung.
Wie beinahe alle literarischen Produkte jener Zeit, erschien auch das„ System der Natur" aus Furcht vor der Censur unter falschem Namen, angeblich in London , in Wirklichkeit aber in Amsterdam im Jahre 1770. Es trug den Namen des schon
"
Holbachs übrige Schriften, deren es viele sind, behandeln größtenteils dieselben Fragen, wie das System der Natur", zumteil in populärer Form und mit der bestimmten Absicht auf die Massen zu wirken. Hettner in seiner Literaturgeschichte nennt ihn einen hartschaligen Menschen mit weichem Kern, durchaus edel und hochherzig." Grimm widmete ihm folgenden Nachruf: " Ich habe wenig so gelehrte und allgemein gebildete Männer wie Holbach angetroffen; ich habe deren nie gesehen, welche es mit weniger Eitelkeit und Ruhmsucht gewesen wären. Ohne den lebendigen Eifer, welchen er für den Fortschritt aller Wissenschaften hatte, ohne den ihm zur zweiten Natur gewordenen Drang, anderen alles mitzuteilen, was ihm nüzlich und wichtig schien, hätte er seine beispiellose Belesenheit wohl niemals verraten. Es verhielt sich mit seiner Gelehrsamkeit wie mit seinem Vermögen; nie hätte man es geahnt, hätte er es verbergen fönnen, ohne seinem eigenen Genuß und besonders dem Genuß seiner Freunde zu schaden. Einem Menschen von dieser Ge sinnung mußte es nur wenig Mühe kosten, an die Herrschaft der Vernunft zu glauben, denn seine Leidenschaften und Vergnügungen waren gerade so wie sie sein müssen, um das Uebergewicht guter Grundsäze geltend zu machen. Er liebte die Frauen, er liebte die Freuden der Tafel, er war neugierig; aber keine dieser Neigungen hatte ihn unterjocht. Er vermochte es nicht, jemand zu hassen, nur wenn er vor den Beförderern des Des potismus und des Aberglaubens sprach, verwandelte sich seine angeborene Sanftmut in Bitterkeit und Kampflust."
Holbach starb den 21. Juni 1789; wenige Tage, nachdem sich die Abgeordneten des dritten Standes als Nationalversamm lung tonstituirt hatten. Die Revolution trat auf die Schwelle der Wirklichkeit, als der Mann verschied, der ihr so mächtig vorgearbeitet hatte, indem er sie als ein notwendiges Natur ereignis betrachten lehrte. Leider war diese Katastrophe eine der blutigsten in der Weltgeschichte. Vom Gerüst der Guillotine auf dem Greveplaz rann das Blut in Strömen den Wellen der Seine zu. Alle Parteien, welche sich vor der Revolution ge bildet hatten, kamen nacheinander an die Reihe, ihr Haupt unter das Beil zu legen. Und wie oft noch sollte das Blut in den Straßen von Paris vergossen werden, nur weil die zur Macht gelangte Partei in den Aberglauben an die Autorität und an den Despotismus zurückfiel, während nur eine karaktervolle und aufgeklärte Regierung, welche die von der Aufklärung geheiligten Menschenrechte respektirt, Aussicht auf dauernden Erfolg hat.
Seit der Reformation des 16. Jahrhunderts hatte sich keine so tiefe und allgemeine Umwälzung in den Meinungen und Ge sinnungen der Menschen vollzogen, als sie die Gedanken und Forderungen jener großen Franzosen bewirkten.
Diese neue Denkweise leugnet den Begriff der göttlichen Offenbarung und stellt die religiöse Erkenntnis lediglich in das menschliche Denken und Wollen; sie erweckt im Menschen das Bewußtsein, daß, weil die Regierung wesentlich menschlichen Zwecken diene, sie selbst nach den in Zeit und Ort wandelbaren Zwecken wandelbar und vom Volk, dessen Ausdruck und Leitung sie ist, aus eigener Einsicht und Machtvollkommenheit bestimmt sei. Nichts gilt blos darum, weil es überliefert und von außen auferlegt ist. Einzig das freie, rein auf sich selbst gestellte Denken entscheidet über die Wahrheit und Berechtigung der Dinge, über die sittlichen und gesellschaftlichen Rechte und Pflichten. Die Vernunft hat ihre verlorene Selbstherrlichkeit wieder erobert;