Eine Solistin wird sich hüten und singen, wenn sie heiser ist; sie darf Vorstellungen absagen und das Repertoir empfindlich stören. Eine arme Choristin muß immer schrein, dafür wird sie bezahlt"; andernfalls wird sie einfach sofort entlassen.
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" Weinen Sie doch nicht, Fräulein Jolly", sagt eine mitleidige Seele im Probezimmer.„ Es wird schon besser werden." Jolly hält das Notenblatt dicht ans Gesicht und weint bittere Tränen, weil sie feinen Ton mehr herausbringt.
Bei der nächsten Gagezahlung nimmt der Direktor Gelegenheit, Jolly zu sagen:
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Mein Fräulein, Sie haben ja eine schöne Figur, haben auch Garderobe, sehn immer sehr nett und sauber aus; ich würde Sie ab und zu in kleinen Partieen hinausstellen, aber ich kann Sie beim besten Willen nicht drei Worte sprechen lassen." Jolly muß weinen, wenn sie sich auch gleich selbst ohrfeigen möchte.
" Freilich", fährt der Direktor fort ,,, wird die Heiserkeit nicht besser, wenn Sie nachts in der rauchigen Kneipe sizen."
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,, Ach Jotte doch, Herr Direktor, das bischen, was ich kneipe Na, schon gut, schon gut. Ich warne Sie.-"
Dieser Vorwurf wurmt Jolly tief. Ein befreundeter Bierplantscher hatte ihr als das beste Mittel gegen Heiserkeit geraten, sich dieselbe wegzu- trinken, und sie hatte allerdings einige verzweifelte Versuche in dieser Richtung, aber ganz ohne Erfolg gemacht.
Nun soll das wieder schuld sein an der Heiserkeit!
Wie ein Schreckgespenst steigt der Paragraph ihres Kontrakts vor ihr auf: Bei chronischen Krankheiten die zur Ausübung des Berufs untauglich machen, steht der Direktion das Recht der Entlassung zu.
Der Direktor wird doch nicht? Jolly denkt viel zu harmlos und obenhin, um die Heiserkeit mit dem Fußbruch in Zusammenhang zu bringen und aus der Schädigung ihrer Gesundheit und damit ihres Erwerbs im Dienst ihrerseits einen Rechtsanspruch an die Direktion abzuleiten.
Also auch das Wegtrinken, hilft nichts? Was denn? Ein Teaterarzt ist billig, aber kann auch nicht immer helfen.
Deshalb feiert Jolly doch die Feste, wie sie fallen, und da gerade eine ihrer Kolleginnen Hochzeit hat, ist Jolly obenauf, d. h. sie möchte, aber ,, na, laßt mich blos erst wieder reden können!" Die Gesellschaft lacht und Jolly ,, laßt sie blos erst wieder
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reden können u. s. w."
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Ein Liedervortrag am Klavier folgt dem andern. Wie sie die Töne herausschmettern, die Glücklichen, aus voller Brust. Gerade so schmetterte Jolly, als sie noch reden konnte. Alle umringen das Klavier. Jolly sizt in einer Ece. Vor ihr auf dem Tisch steht eine Liqueurflasche, ein Hochzeitsgeschenk. Wie die Töne ihr ins Herz schneiden o weh, o weh dafür ist ein Glas Liqueur gut. Noch eins, und noch eins. Es kredenzt sich selbst am besten. Kein Mensch kümmert sich um sie, die wohl ehmals die Tollste, die Ausgelassenste bei solchen Gelegenheiten war. Ha ha ha, einmal hatte sich ihr Nachbar Watte in die Ohren gestopft; ja, ja der Liqueur die Stimme, wollte ich sagen, ist eine Gabe der
Natur.
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Auf einmal beliebt es jemand, zu fragen:„ Wo ist denn die Jolly?" Jolly ist nicht da. Man sucht sie überall. Sie ist mitsammt Mantel, Muff und Pelzkappe verschwunden.-
Da unten weit da unten könnt ihr das arme, tolle Ding durch die nächtlichen Straßen taumeln sehen, herüber, hinüber und wieder herüber. Pelzmüze und Halstuch hat sie abgerissen und bietet den schweren wüsten Kopf und den kranken Hals der schneidend kalten Nachtluft.
" Ist da nicht noch Licht im Kafé? Ach, nur noch ein frisches Glas. Die Kehle ist zu trocken!"
Einer fidelen Gesellschaft junger Leute, unter denen sie einen und den andern kennt, kommt das saubere Dämchen gerade gelegen. Bald fizt sie in ihrer Mitte; mit dem Reden geht's doch nicht" aber mit dem Küssen geht's noch!
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Wie ist sie eigentlich in jener Nacht nach Hause gekommen? ,, Allgerechter", ruft sie am andern Morgen stodheiser, jezt bringe ich keine Eilbe mehr heraus!"
In diesem Engagement wird sie noch so geduldet. Der Direktor fann sich gegen den Ehrenmann in einer Person nicht wehren und bringt das Opfer, ihr die Gage zu zahlen, obwohl sie nur noch für " schöne Leiber" und" Gruppen" zu verwenden ist.
Jm nächsten Engagement schickt sie der Chordirigent als gänzlich unbrauchbar von der ersten Klavierprobe.
Das passirt ihr zwei, drei, vielmals, immer!
Der Schmuck, der Zeuge einstiger Herrlichkeit wandert ins Pfandhaus, die Scheine verfallen und Jolly bleibt heiser.
Was nun? Was weiter? Was weiter
oder Gefängnis.
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als Untergang in Nacht und Graus, in Hospital
Arme Jolly!„ Wenn du blos reden könntest, würde dich die Welt besser und milder beurteilen!
Das., Rauben" in den oberschlesischen Kohlenbergwerken.( Illustration s. S. 553.) Beruhige dich, geschäzte Leserin! Es sind keine Genossen Rinaldo Rinaldini's, Schinderhannes ', oder Karl Moor's, welche dir unser Bild vorführt. Das„ Rauben" bedeutet in der Bergmannsprache nicht einen gewaltsamen Eingriff in das Eigentum anderer, sondern ein ganz harmloses, aber überaus schwieriges und gefahrvolles Geschäft, nämlich das Zusammenwerfen der abgebauten Räume unter Wiedergewinnung der eingebauten Hölzer. Es geschieht fast stets in der Nacht, oder in der Zeit, in welcher die Kohlenförderung( Förderung heißt die Bergarbeit, durch welche die gewonnenen Fossilien von einem Ort zum andern geschafft werden) ruht, weil da große Stille herrscht, was eine durchaus erforderliche Bedingung zum Gelingen des„ Raubens" ist. Denn nach jedem Schlage, den der Häuer mit der Art oder dem Großfäustel gegen eines der Hölzer( Stempel) führt, um dasselbe herauszuschlagen, muß einen Augenblick innegehalten werden, um das Geräusch beobachten zu können, das im Dachgebirge sich bemerkbar macht; denn aus der Art und Weise dieses Geräuschs vermögen die Arbeiter genau zu unterscheiden, ob nur der Schieferton bricht, oder das völlige Zusammenbrechen bevorsteht. Das erstere kündigt sich durch ein Knistern, das leztere durch ein dumpfes Krachen an und in diesem Falle ist für die Arbeiter die größte Eile nötig, um sich in Sicherheit zu bringen. Troz der großen Gefährlichkeit der Arbeit weist indessen die Unfallstatistik erfreulicherweise verhältnismäßig wenige beim Rauben" vor gekommene Unglüdsfälle auf, dank der großen Aufmerksamkeit und vortrefflichen Uebung der Bergleute.
St.
Maori - König Tawhiao.( Illustration s. S. 555.) Er ist gestreift wie ein Banter und gefledt wie ein Tiger und sein psychischer Habitus rechtfertigt vielleicht diesen Vergleich. Die Maori(„ Eingeborene"), wie man jezt die Urbevölkerung von Neuseeland nennt, gehören zu den edelsten, physisch wie geistig bevorzugten Menschen des polynesischen Volksstammes. Sie zeichnen sich durch Kriegslust und Streitbarkeit, womit freilich List und arge Grausamkeit verbunden sind, durch Stolz und Selbstgefühl, Leidenschaftlichkeit und unverkennbare Bildsamkeit vor den übrigen Polynesiern sehr vorteilhaft aus. Die Maori standen früher unter vielen kleinen Häuptlingen, waren aber ohne jedwede staat liche Ordnung und in fortwährende Kämpfe unter sich verwickelt. Bei der langen und engen Verbindung mit den Europäern haben sie von diesen viele Anschauungen und Bräuche angenommen. Besonders ist mit dem Jahre 1814 ein Umschwung eingetreten, indem es englischen und französischen Missionären gelang, das Christentum unter ihnen zu verbreiten und der Antropophagie wie den inneren Kriegen im wesent lichen ein Ende zu machen. Nach der Besiznahme durch England 1840, in welchem Jahre Neuseeland durch einen mit den Eingeborenen ge schlossenen Vertrag zu einer selbständigen Kolonie der britischen Krone erklärt wurde, ließen sich Gesellschaften von englischen Auswanderern an verschiedenen Teilen der Küsten nieder und hieraus ging die jezige politische Gestaltung der englischen Kolonie hervor, die den Karakter eines Bundesstaates hat. 1857 empörten sich die drei mächtigsten Stämme der Maori gegen die englische Herrschaft und wählten einen Häuptling zum König. Es kam zu blutigen Zusammenstößen und schließlich zu einem förmlichen Krieg. Doch gelang es den Engländern, sich im Besize zu behaupten, versöhnliche Wilde beschwichtigte die Er bitterung der Besiegten und 1866 war die Ruhe wieder hergestellt.
Brieffaften der Expedition.
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St.
Bon verschiedenen Seiten sind uns Beschwerden über unregelmäßige Lieferung der„ Neuen Welt" zugegangen. Wir teilen hierdurch unsern geehrten Abonnenten mit, daß die„ Neue Welt" regelmäßig Sonnabends zur Versendung gelangt. Die Schuld einer verspäteten Lieferung kann uns also nicht treffen. Bei Postabonnements wolle man sich mit der Reklamation direkt an die betreffende Postanstalt, bei welcher das
Blatt bestellt ist, wenden.
( Forts.)- Die pariser Salons und die Encyclopädisten. Bon - Gottsched, Göße, Lessing. Ein Stück Kulturgeschichte. ( Fort.) Das„ Rauben" in den oberschlesischen Kohlenberg
Inhalt: Verschlungene Lebenswege. Roman von Franz Carion. C. Fehleisen.( Forts.)- Die Satire der Alten. Bon Dr. Richard Ernst. Nächtlicher Ritt. Schattenrisse aus der Kulissenwelt. Bon Eduard- werken.( Mit Illustration.) Maori - König Tawhiao.( Mit Illustration.) Briefkasten der Expedition.
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