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Dies ist nun ein rechtes Meisterstück durcheinander gewirrter Metaphoren, und andrer übel ausgesonnener verblümter Ausdrückungen. Nichtsdestoweniger hat sich unser Baterland, eine geraume Zeit her, in dergleichen gefirnißte Verse aufs äußerste berliebt gehabt: und man hat feinen für einen Poeten halten wollen, der nicht diese hochtrabende Sprache reden können, die doch oft weder der Verfasser, noch sein Leser, mit allen ihren Sinnen haben erreichen können. Das beste Mittel wider den schwülstigen Geist ist das Lesen der alten Lateiner und der
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neueren Franzosen. Wer sich die Schönheiten des Terenz, Virgils, Horaz und Juvenals bekannt und geläufig gemacht hat; wer den Boileau, Racine, Corneille und Moliere mit Verstand gelesen und ihre natürliche Schönheit der Gedanken kennen gelernt: der wird gewiß unmöglich auf eine so seltsame Art des poetischen Ausdruckes verfallen; gesezt, daß er auch noch so erhaben zu schreiben gesonnen wäre." ( Fortsezung folgt.)
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Die Eröffnung der St. Gotthard Eisenbahn- Station Bellinzona. ( Illustration 1. S. 564 u. 565.) Das berühmte Wort des Sophokles: " Bieles Gewaltige lebt, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch" hat mit der Vollendung der im vorigen Monat eröffneten Gotthardbahn eine neue glänzende Bestätigung gefunden. Die ganze zivilifirte Menschheit nimmt freudigen Anteil am Gelingen dieses großartigen Kulturund Friedenswertes und feierte im Geiſte den Festtag der Eröffnung mit, ausgenommen etwa die Unterzeichner der famosen Petition süddeutscher Landwirte an den Reichstag , worin es u. a. hieß:" Möge der hohe Reichstag bei Zeiten Sorge tragen, daß nicht durch die neuen Berkehrswege eine Ueberschwemmung mit fremdem Getreide über unsere gefegneten Fluren hereinbreche. Wir wollen nicht die Frage aufwerfen, ob es gut gewesen, die natürlichen Schranken, welche die göttliche Allmacht zum Schuz der deutschen Landwirtschaft errichtet hat, künstlich zu durchbrechen 2c." Auch wir wollen die Frage nicht aufwerfen, ob es gut geweſen, Narrenhäuser für Individuen zu errichten, welche die göttliche Allmacht verrückt werden ließ und wollen lieber einiges über die Genesis dieser Bahn bemerken ( nach Bernek). Im Hinblick auf die ungemeinen Schwierigkeiten, welche besonders der Winter dem Ueberschreiten der schweizerischen Bergpässe in den Weg legte sie waren gewöhnlich acht Monate verschneit und die Bahn für die Postschlitten mußte von hunderten von Arbeitern notdürftig offen gehalten werden tauchte bereits anfangs der dreißiger Jahre der Gedanke an eine Alpeneisenbahn auf. Doch dachte man damals noch nicht an einen Durchstich des Gotthards. Man warf die Blide auf niedrigere Pässe und glaubte, dieselben leicht überschienen zu können. Nachdem verschiedene Projekte geplant waren, vereinigten sich mehrere schweizerische Kantone im August 1853 auf einer Konferenz in Luzern zu einer gemeinsamen Unterſtüzung für Ueberschienung des Gotthardpasses. Nachdem im Juni 1860 eine zweite größere Konferenz zujammen getreten war, bildete sich im September desselben Jahres im Kreise einiger Kantonsregierungen der Mittelschweiz, denen sich das Direktorium der schweizerischen Zentralbahn anschloß, ein Komité, das durch Delegirte derjenigen Kantone und Gesellschaften, welche eine Anzahl Gründungsaktien übernahmen, sich erheblich erweiterte. 12 Kantonsregierungen hatten sich jezt schon an einem Gründungsfond von 50 000 Fre. beteiligt und es waren überdies auch Beschlüsse hinsichtlich der finanziellen Beteiligung gefaßt worden und zwar von den Regierungen von Uri und Luzern , dem Stadtrat von Luzern und dem Verwaltungsrat der schweizerischen Zentralbahn, zusammen für 7 millionen Fre. weiterte sich der Kreis der die Gotthardbahn anstrebenden Kantone und die Grundlage aller späteren Arbeiten bildeten. Im Jahre 1863 erGesellschaften und zur Beförderung der Sache wurde eine ständige Kommission der Gotthardvereinigung mit einem engeren Ausschuß bestellt, welche eine große und schließlich erfolgreiche Tätigkeit entfaltete. Da teils durch Vermittlung des schweizerischen Bundesrats, teils direkt im nicht ausreichten, das große Werk zur Ausführung zu bringen, wurden Ausland erfolgreiche Schritte getan, um eine Mitbeteiligung zu erzielen. Noten vom 31. März 1869 eröffneten die Gesandten des Norddeutschen Bon entscheidender Bedeutung war die Entschließung Italiens . Mittelst Bundes und des Königreichs Italien: daß ihre Regierungen in Verbindung mit Baden sich definitiv für den Gotthard entschieden hätten mit Ausschluß jedes anderen Passes; der schweizerische Bundesrat wolle tember 1869 in Bern eine Konferenz aus Vertretern der beteiligten auswärtigen Staaten zusammen. In 15 Sizungen wurde das Gotthardprojekt behandelt und ihr Ergebnis war der bekannte Staatsvertrag vom 13. Oftober 1869, welchem die schweizerische Bundesversammlung im Juli 1870 die Genehmigung erteilte und dem im Oktober 1871 auch das neu erstandene deutsche Reich beitrat. In diesem Vertrag hatte man sich über die Linien der Bahn geeinigt; ferner waren darin über die Aufbringung des Baukapitals von 150 millionen die nötigen Bestimmungen getroffen; endlich wurde darin festgesezt, daß der Bau einschließlich des 14 920 Meter langen Tunnels in zehn Jahren vollendet sein müsse. Nachdem sich am 6. Dezember 1871 die Gotthardbahngesellschaft
an der Spize konstituirt hatte und Baudirektor Gerrig aus Karlsruhe als Oberingenieur installirt worden war, begannen in Göschenen am 4. Juni und in Airolo am 1. Juli 1872 die Vorarbeiten, während die Direktion bereits mit dem Bauunternehmer Louis Favre aus Genf wegen Uebertragung der Tunnelbohrung in Unterhandlungen stand, welche am 7. August zum förmlichen Abschluß und bindenden Vertrag führten. Wir müssen bei diesem Manne ein wenig näher verweilen. Louis Favre , geb. 1826 als Sohn eines einfachen Zimmermanns, entwickelte schon früh, troz mangelhafter Schulbildung, bedeutende Anlagen. Mit 18 Jahren ging er, das Felleisen auf dem Rücken und 100 ersparte Frank in der Tasche, auf die Wanderschaft und ließ sich schließlich in Lyon als Zimmermeister nieder. Als solcher beteiligte er sich
bei den Brückenbauten an der Mittelmeerbahn und ersann für das Einrammen von Pfählen in sumpfige Gründe eine neue Metode, die den hervorragendsten Ingenieuren imponirte und auch volle Anerkennung
fand. Es wurden ihm größere Arbeiten übertragen und bald beteiligte
er sich bei Eisenbahnunternehmungen. 1872 wurde ihm der Durchstich des Gotthard übertragen, dessen ungeheure Schwierigkeiten er mit eisernem Willen und bewundernswerter Ausdauer überwand. Leider erlebte er nicht mehr den Triumph seines Riesenwerks. Mitten in seiner aufreibenden Tätigkeit ereilte ihn der erbarmungslose Tod. Als er am 19. Juli 1879 einen französischen Ingenieur in den Tunnel geleitete, erlag er, wahrscheinlich infolge der drückenden Hize im Innern, einem plözlichen Schlaganfall. Er wurde in seiner Heimat, Chêne bei Genf , unter Begleitung von Tausenden begraben und der lezte Redner schloß mit den Worten:„ Wenn einst die bekränzte Lokomotive durch den Tunnel braust, der zwei Völker verbinden soll, dann trage sie auf ihrem Schlot eine Trauerflagge zur Ehre und zum Gedächtnis des unermüdlichen Pioniers, der sich um die Menschheit ein unsterbliches Verdienst erworben, und diese Flagge trage die Inschrift:
Troz Favre's Tod wurden die Arbeiten ununterbrochen fortgesezt und mit Hilfe sinnreich konstruirter Maschinen und Apparate wurden die immenſen Schwierigkeiten aller Art glücklich überwunden. Der völlige Durchschlag des Tunnels, dessen beide Hälften beim Durchbruch fast haarscharf aufeinander trafen, erfolgte am Schalttag des Jahres 1880. Mittags 11 Uhr 10 Minuten, nachdem schon am Abend zuvor der Bohrer von Airolo durch die lezte Felswand gedrungen und Favre's
Photographie durch die Deffnung gewandert war. Das langerſehnte,
frohe Ereignis wurde nicht allein in der Schweiz durch Böllerschüsse, Musit, Beflaggung, Freudenfeuer und Festessen gefeiert, sondern auch in Deutschland und Italien durch sympatische Kundgebungen freudig begrüßt. 7 Jahre und 5 Monate hatte der Durchstich in Anspruch genommen. Dabei wurden 500 000 Kilo Dynamit verbraucht, 320 000
Löcher gebohrt und 1 650 000 Stück Bohrer abgenüzt. Es waren täg
lich durchschnittlich 3500 Arbeiter tätig.( Diese Zahlen beziehen sich indes nur auf den„ Firststollen", d. h. den ersten Durchstich, der unmittelbar unter der obersten Längelinie hinlief; der völlige Ausbruch und die Aufmauerung u. s. f. nahmen noch fast 3 Jahre in Anspruch.) Der höchste Punkt der Bahn liegt mit 1154 Meter über Meer im großen Tunnel. Da das Portal Göschenen 1109 Meter Meereshöhe zeigt, so hat die Linie im Tunnel bis zum Scheitelpunkt 45 Meter zu steigen, um dann wieder bis auf 1145 Meter die Portalhöhe bei Airolo abzusinken. Der Tunnel läuft von Göschenen aus 14,787 Meter in grader Linie, dann aber 125 Meter in einer Curve: Die Fahrt durch den Tunnel beansprucht etwa 26 Minuten. Die ganze Bahn von Luzern nach Mailand , welche in 10 Stunden befahren wird, zählt 62 Tunnels in der Gesammtlänge von 41 Kilometern, ferner 32 Brücken, 10 Viadukte und 24 Uebergänge. Der Preis der Fahrt ist auf 25 Frc. feſtgejezt. Bernet, unser Gewährsmann, gedenft in seiner Darstellung mit warmen Worten der bei dem großen Werke tätig gewesenen Arbeiter. Es sei eine heilige Pflicht, sagt er, des Heldentums der armen Arbeiter, meist Italiener , zu gedenken, mit welchem sie ihre lebensgefährliche Mission erfüllten. Sie hatten Schweres zu erdulden! Ein Blick auf die Tätigkeit im Innern des Tunnels erfüllte die Seele mit Vellom
mit menheit und Staunen. Diese halbnadten Gestalten, von Schweiß be