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Gottsched, Götze, Lessing.

Ein Stück Kulturgeschichte.

Lessings siebzehnter Literaturbrief ist der beste Beweis, wie schwer es ist, sich bei der Beurteilung und Bekämpfung von Gegnern in den Grenzen strengster Gerechtigkeit zu halten. Lessing und Gottsched waren Gegner von der Zeit an, da Lessing   sich dieselbe Aufgabe gestellt hatte, als vor ihm Gott­Sched, ein Reformator der deutschen   Literatur zu werden. Schulter an Schulter konnten die beiden nicht kämpfen, dazu war der Unterschied der Befähigung zu groß und das Selbstgefühl grade des weitaus

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weniger Befähigten viel zu sehr

entwickelt.

Statt sich als den Vorläufer der Reformation deutscher Litera­tur zu geben, wozu er als völlig berechtigt heute noch erkannt wer­den muß, hielt er sich sehr bald nicht nur für den Reformator selbst, sondern trat ganz unver­holen wie ein Heiland unserer Literatur auf.

Solche Selbstüberschäzung mußte ihn lächerlich machen, mußte seine wirklichen Verdienste in Schatten stellen.

Gottsched   hatte, wie Lessing  ausdrücklich zugibt, die Verderb­nis der dramatischen Poesie ein­gesehen und war der erste ge­wesen, welcher unerschrocken und energisch daranging, ihr abzu­helfen.

Das erstere ist anerkennens­wert, das leztere iſt unzweifel­haft ein Verdienst.

Gottsched   würde sich als ein Genie bewährt haben, hätte er die Mängel der französischen   Dra­matik erkannt und, über sie, die von aller fremden Literatur in Deutschland   am meisten bekannt und beliebt war, hinausgreifend, angeknüpft an die lebensvolle, jugendfrische, mächtiger die Ge­

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( Fortsezung statt Schluß.)

er auch bewähren inbezug auf das englische Teater und dessen dem deutschen   Volkskarakter entsprechende Elemente; nicht minder inbezug auf das französische   Teater und dessen mit der fran­ zösischen   Karakteranlage übereinstimmenden und der deutschen widersprechenden Inhalt und Kern.

Das heißt das Menschenmögliche verlangen an Wissen und Verständnis. Es hieß sogar mehr verlangen als für Gottscheds Wirksamkeit gut gewesen wäre.

Bohm

Lessing spricht von dem deut­ schen   Volke und dessen Bedürf­nissen; das deutsche   Volt hatte aber damals noch garnicht zu entscheiden, was für Dramen auf den Wanderbühnen jener Zeit sich als beifallswert erweisen könnten. Auf das deutsche   Volk bei der Teaterreformation rechnen, hätte für Gottsched nichts anderes bedeutet, als einen in vorläufig unabsehbarer Zeit fälligen Wech­sel ziehen auf jemanden, von dem sehr zweifelhaft sein mußte, ob er jemals in die Lage käme, ihn zu honoriren. Gottsched   war nicht der Mann, sich ein Publikum zu schaffen. Er mußte es nehmen, wie er es fand. Und er fand es französirend", darum schuf

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er ein französirendes" Teater  und sezte nicht das absolut Gute sondern nur das Bessere an die Stelle des Schlechten.

Gottsched   hat auf den 17. Li­teraturbrief geantwortet oder viel­mehr antworten lassen. Die Ant­wort war nicht übel; sie ward gedruckt in einer 1760 in Frank­ furt   und Leipzig   erschienenen Schrift betitelt ,, Briefe über die Einführung des englischen Ge­schmacks in Schauspielen", worin sich der Verfasser in keineswegs geistloser und langweiliger Art zu zeigen bemüht, daß das, was Lessing für den wahren deutschen  Geschmack ausgibt, dieser keineswegs ist und daß auch das Ur­teil Lessings über den englischen Geschmack eine Korrektur sehr wohl vertragen könne.

Theodor Drobisch.( Seite 611.)

müter ergreifende, dem Karakter des deutschen Volkes viel mehr entsprechende Dramatik der Engländer, insbesondere Shake­speares.

Und noch weit mehr als solche Erkenntnis und die Ueber­nahme solch einer Aufgabe, erforderte ihre Durchführung ein Genie ersten Ranges, gewaltigster Tatkraft.

Gottsched   war kein Genie und Lessing   war eines der größten, welches die Menschheit hervorgebracht; Lessing   vermochte der Literaturbewegung vieler nach ihm kommenden Generationen den Stempel seines Geistes aufzudrücken, weil er das innerste Wesen und das treibende Element dieser Bewegung erfaßt hatte, weil sich die edelsten Kräfte des Volksgeistes in dem seinen vereint Wie vielen Menschen ist solche Stellung hoch über dem Strome der Zeit gegönnt und von wem darf verlangt werden, daß er sie sich erobert?

fanden.

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Und was verlangt dieser 17. Literaturbrief alles von Gottsched  ? Dieser sollte das deutsche Drama der damaligen Vergangen­heit nicht nur kennen, sondern aus dieser Kenntnis auch ein nach Lessings Einsicht richtiges Urteil über das innere Wesen der dramatischen Bedürfnisse des deutschen Volkes gewonnen haben; dieselbe Kenntnis und dasselbe zutreffende Urteil sollte

Am besten sind diese Antwortepisteln da, wo sie auf die Bemerkung Lessings über die Neuberin   und die Vertreibung des Harlekins durch Gottsched eingehen.

Der fragliche Passus enthält eine unzweifelhafte Widerlegung Lessings und ist um so interessanter, als er den Irrtum be­richtet, welcher bezüglich der berühmten und berüchtigten Harle­finsvertreibung*) noch heute verbreitet und in allen großen Lite­raturgeschichten, sowie auch in Devrients ausgezeichneter Ge­schichte des deutschen   Teaters, zu lesen ist"**)."

Wie wir oben gesehen haben, verlegt Lessing die dramati­tischen Reformbemühungen Gottscheds in die Zeit als die Neu­

*) Die Neuberin  , die bekannte Teaterprinzipalin, sollte auf Be­treiben Gottscheds eine feierliche Verbrennung der bis dahin für unent­behrlich gehaltenen Figur des Hanswurstes aufgeführt haben. **) Siehe über das Obige Danzel ,, Lessing   und seine Zeit", 454, 55, 56 und 495, 96, 97.