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gehaltlosen Aufklärichts, wie er sich in den Ecken und Winkeln eines vom freien Luftzug wissenschaftlicher Forschung wenig berührten Völkerhaushalts absezt.
Beide Richtungen mußten einem Lessing in den Tod zuwider sein, und beide zu bekämpfen ging er in den siebziger Jahren in seinen„ Beiträgen zur Geschichte und Literatur aus den Schäzen der wolfenbüttelschen Bibliotek" an die Veröffentlichung der wolfenbüttelschen Fragmente.
Diese Fragmente bestehen aus mehreren Teilen der Schrift eines Ungenannten, die eine„ Apologie oder Schuzschrift für die bernünftigen Verehrer Gottes " sein sollte und in Wahrheit ein Angriff auf die Grundlagen der christlichen Religion war- so kühn, wie er damals in Deutschland unerhört und so teologisch gelehrt, wie es überhaupt in der ganzen Welt noch nicht geschehen war.
Der Verfasser war ein wissenschaftlich hochgebildeter und mit den edelsten Karakteranlagen ausgestatteter Professor an dem akademischen Gymnasium in Hamburg , Hermann Samuel Reimarus
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Derselbe blieb lange Zeit als Verfasser der durch Lessings Veröffentlichung bei den Frommen zu einem Gegenstande furchtbarsten Aergernisses gewordenen Schrift unbekannt, und das stimmte mit seinen Wünschen überein, denn der Beweggrund, warum er seine Gedanken niederschrieb, war nach seiner eigenen, später gleichfalls von Lessing veröffentlichten Vorrede, vom ersten Anfange bloß seine eigene Gemütsberuhigung. Und ich bin nachher nimmer," sagt er,„ auf den Vorsaz geraten, die Welt durch meine bekannt gemachten Einsichten irre zu machen oder zu Unruhen Anlaß zu geben. Die Schrift sollte blos im Verborgenen zum Gebrauch verständiger Freunde liegen bleiben. Lieber mag der gemeine Haufe noch eine Weile irren, als daß ich ihn, obwohl es auch ohne meine Schuld geschehen würde, mit Wahrheiten ärgern und in einen wütenden Religionscifer sezen sollte." Solche Verheimlichung einer Wahrheit vor dem gemeinen Haufen" mochte des vorsichtigen Rimarus Sache sein, Lessing aber mußte damit hinaus vor alles Volk.
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Der Ungenannte," sagt Lessing ,„ war ein so kluger Mann, daß er durch allzufrühzeitige Aeußerungen weder sich noch andere unglücklich mache wollte: und ich, ich schlage als ein Rasender meine eigene Sicherheit zuerst in die Schanze, weil ich der Meinung bin, daß Aeußerungen, wenn sie nur Grund haben, dem menschlichen Geschlecht nicht früh genug kommen können."
Die Fragmente des Ungenannten handelten zuerst von der Duldung, dann von der Verschreiung der Vernunft auf den Kanzeln, ferner von der Unmöglichkeit einer Offenbarung, welche von allen Menschen auf eine genügende
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Art geglaubt werden kann, darauf widerlegen sie die Erzählung von dem wunderbaren Durchzug der Kinder Israel durch das rote Meer, und beweisen, daß das alte Testament nicht geschrieben sei, um eine Religion zu offenbaren, wenden sich darnach in einer Abhandlung gegen die Auferstehungsgeschichte Christi , gegen die Hauptgrundlage der christlichen Religion, und wagen endlich sogar in der Arbeit„ Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger," die Frage zu diskutiren, ob bei der Gründung des Christentums und den Wundern seines Stifters nicht offenbarer Betrug mit untergelaufen sei.
Wie diese nicht allzurasch hintereinander erscheinenden, dem Christentume immer erbarmungsloser zu Leibe gehenden Veröffentlichungen bei den Starken im Glauben einschlugen, kann man sich vorstellen.
Man würde sich übrigens sehr täuschen, wollte man auf Grund der Temata der Fragmente annehmen, Lessing hätte gleich Voltaire und den Encyclopädisten und anderen persönlichen Feinden der Pfaffheit oder des lieben Herrgotts die christliche Religion oder gar die Religion überhaupt flugs in Grund und Boden hinein vernichten wollen- écraser, wie Voltaire sagte.
Man mag solchem Wunsche Sympatie entgegentragen, soviel als nur möglich ist; wer aber die Menschen kennt und von der Geschichte der menschlichen Geistesentwicklung eine Ahnung hat, wird nicht läugnen können, daß die christliche Religon wie die andern Religionen einem tiefen geistigen und gemütlichen Bedürfnisse der Völker ihren Bestand zu danken hat, und daß sie vor hundert Jahren noch mehr als heut, aber dennoch auch heute noch, mit tausend Fäden die Herzen und Köpfe von Millionen umsponnen hält.
Und wer das weiß, der kann den Wunsch, die christliche Religion möchte heut oder morgen, in diesem oder im nächsten Jahrhundert vernichtet, ausgerottet werden, als einen findlichen, wenn nicht kindischen nur belächeln, kindisch desto mehr, je flammender und selbstbewußter er ausgesprochen wird.
Die christliche Religion kann nicht rasch und gewaltsam vernichtet werden, selbst nicht durch die giftige Lauge Voltairischen Spottes, sie kann nur in hartem, unermüdlichem Geistesringen langsam überwunden werden.
Zu solchem Geistesringen war Lessing der Mann. Wie er es anfangen, wie er es durchkämpfen wollte, mag er selber sagen.
( Schluß folgt.)
Der Volksschriftsteller Theodor Drobisch .
Ein Gedenkblatt dem Heimgegangenen. Von Dr. Mar Vogler.
Im heurigen Lenz, der so früh seine Reize entfaltete, ist ein deutscher Schriftsteller zur ewigen Ruhe gegangen, der die Erinnerungen an eine ganze Generation in Literatur und Kunst mit sich hinabgenommen hat. Theodor Drobisch war eine eigenartige Individualität, eine schlichte, biedere Natur, einer von jenen in unserer Zeit noch recht vereinzelt dastehenden trefflichen Menschen, die stets das Herz auf den Lippen haben, was bekanntlich heutzutage nicht blos nicht immer praktisch, sondern mitunter, ja häufig, sogar gefährlich ist. Daß ein solcher Mann eine feineswegs glatte Lebenslaufbahn und die mannigfachsten äußeren und inneren Kämpfe zu überstehen hatte, begreift sich leicht. Mir, der ich das Glück gehabt habe, dem Verblichenen persönlich nahe zu stehen, ist es eine Herzenssache, den Lesern der„ Neuen Welt", der er feit zwei Jahren als Mitarbeiter angehörte, ein wenn auch nur flüchtig gezeichnetes Bild seines Daseins zu entrollen, und ich wünsche
als lezten Liebesbeweis.
Theodor Drobisch ward am 26. Dezember 1811 dieser Welt geboren, deren kleinere und größere Torheiten dann so oft die urwüchsig
fräftigen Auslaffungen seiner behaglichen Laune, seines unerschöpflichen Wizes gegolten haben. Seine Wiege stand in Dresden , aber er verlebte seine Jugend in Leipzig , wo sein Vater als Mitglied des Teaterorchesters tätig war. Diese Stellung seines Vaters machte ihn früh mit teatralischen und künstlerischen Verhältnissen überhaupt be= fannt und erweckte in ihm die Neigung zum Schriftstellerberus, eine
Neigung, die hauptsächlich durch eine früh in ihm tätige, start pulsirende kritische Ader belebt wurde. Aber mittellos, wie seine Eltern waren, hat er sich Stufe um Stufe zu dem Wege der Vorbildung für diesen Beruf mit sauren Mühen durchkämpfen müssen, und es verdient wahrlich volle Anerkennung, daß er es im Alter von zwanzig Jahren so weit gebracht hatte, zum erstenmale mit schriftstellerischen Leistungen vor die Oeffentlichkeit zu treten. Er tat es als Mitarbeiter verschiedener belletristischen Zeitschriften, was damals noch mit weit schwierigeren Umständen verknüpft war als jezt. Wie es mit dem greifbaren Lohn für seine literarische Anfangstätigkeit, mit dem Ertrag literarischer Arbeit überhaupt damals aussah, dürfte aus folgender Stelle eines von ihm an mich gerichteten Briefes, mit dem er meine damalige jugendliche „ MertSchriftstellerungeduld zu beschwichtigen suchte, hervorgehen. würdige Zeiten!" schrieb er mir. Als ich vor fünfundzwanzig Jahren zu schriftstellern anfing, schrieb ich an wenigstens dreißig Druckbogen umsonst für„ Komet"," Rosen"," Planet " u. s. w. Und ich nicht allein, sondern alle, von denen viele später als Heroen in der Literatur prang